Contemporary Vision Award für 3-D-Pionierin Neri Oxman (Foto: Katherine Du Tiel)
#architektur

Lieber experimentelle Kunst als Brad Pitt

Ihre visionären Kunst- und Architektur-Projekte sind legendär, ihre Arbeiten vielfach preisgekrönt. Jetzt bekommt die Designerin Neri Oxman im New Yorker Museum of Modern Art (MoMa) eine Ausstellung.

Sie ist brillant, erfolgreich und berühmt. Letzteres allerdings seltsamerweise weniger für ihre herausragenden Leistungen als Designerin, Architektin und Professorin am hoch-renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA:

Wer Neri Oxman googelt, findet zuerst unzählige Klatschberichte. Denn der attraktiven 43-Jährigen wurde vor nicht allzu langer Zeit eine Liebelei mit Hollywood-Beau Brad Pitt nachgesagt. Publicity, die der Leiterin der innovativen Mediated Matter Forschungsgruppe am MIT vermutlich wenig Freude macht.

Designerin der Extraklasse

Neri Oxman braucht keinen Promi-Lover, um Anerkennung zu ernten. Dies beweist die lange Liste der Auszeichnungen, die sie bereits für ihre Arbeit erhalten hat. Von der London Design Innovation Medal (2018) und dem Cooper Hewitt National Design Award (2018) bis zur Ehrenmitgliedschaft des Royal Institute of British Architects (2019): Die Künstlerin ist ein internationaler Star ihrer Branche.  

Wer innovative Architektur und Design schätzt, kommt an ihr nicht vorbei: MIT-Professorin und 3-D-Pionierin Neri Oxman (Bild: Noah Kalina)
Wer innovative Architektur und Design schätzt, kommt an ihr nicht vorbei: MIT-Professorin und 3-D-Pionierin Neri Oxman (Bild: Noah Kalina)

Prototyp aus Oxmans Ideen-Manufaktur: Die Chaiselongue „Beast“, die Form und Festigkeit an den Benutzer anpasst (Bild: Neri Oxman - Mediated Matter site)
Prototyp aus Oxmans Ideen-Manufaktur: Die Chaiselongue „Beast“, die Form und Festigkeit an den Benutzer anpasst (Bild: Neri Oxman – Mediated Matter site)

Oxmans Werke sind längst in den Sammlungen zahlreicher honoriger Museen vertreten. So kann man sie unter anderem in den Museen für Moderne Kunst in New York und San Francisco ebenso bewundern, wie in jenem des Pariser Centre Pompidou oder im Smithsonian Design Museum.

Award-Gala in San Francisco

Am 30.Oktober 2019 hat ein weiterer, begehrter Preis Oxmans Erfolgsliste erweitert: Die israelisch-amerikanische Künstlerin erhielt den Contemporary Vision Award des San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA). 

Eine Ehre, die Kreativen und Innovatoren aus aller Welt zuteil wird, deren außerordentliche Leistungen zeitgemäße Kunst zum bedeutenden Teil des täglichen Lebens machen. Verliehen wurde die Ehrung im Rahmen eines Cocktail-Empfanges mit anschließendem Dinner. Und wer dabei sein wollte, musste recht tief in die Tasche greifen: Die Tickets kosteten zwischen 500 und 1.200 US-Dollar pro Gast.

Neri Oxmans Aguahoja, 2018; San Francisco Museum of Modern Art (Bild: Mediated Matter Group)
Neri Oxmans Aguahoja, 2018; San Francisco Museum of Modern Art (Bild: Mediated Matter Group)

An Interesse hat es nicht gefehlt. Schließlich verehren Design- und Architektur-Begeisterte aus aller Welt Oxman für ihre Errungenschaften. Und was die Gründerin und Direktorin der Mediated Matter Group des MIT kreiert, lässt auch interessierte Laien staunen. In ihren experimentellen Design-Werken führt Oxman Auftragsarbeiten mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammen, indem sie neue Technologien auf bisher ungekannte Art einsetzt.

Oxman lässt neue Welten wachsen

Neri Oxmans Team erforscht neue Verbindungsmöglichkeiten von Computerentwürfen, digitaler Fertigung, Materialwissenschaften und synthetischer Biologie. Die so gewonnenen Kenntnisse werden in der Folge auf allen Design-Ebenen umsetzbar gemacht – vom Detail bis zum Bauprojekt.

Ein Ausstellungsstück aus Oxmans Projekt „Penumbra“ – einer bunten Variation von „Raycounting“.  (Bild: Neri Oxman)
Ein Ausstellungsstück aus Oxmans Projekt „Penumbra“ – einer bunten Variation von „Raycounting“. (Bild: Neri Oxman)

„Raycounting“: Im Museum of Modern Art gezeigtes Objekt aus seiden-beschichtetem Nylon (Bild: Neri Oxman)
„Raycounting“: Im Museum of Modern Art gezeigtes Objekt aus seiden-beschichtetem Nylon (Bild: Neri Oxman)

Als Pionierin gilt Oxman vor allem auch in Sachen Materialökologie. Ihre Studien zur Interaktion designter Objekte und Strukturen mit deren Umgebung eröffnen völlig neue Zugänge. Im Fokus: Eine enge Verbindung von Objekt und natürlichem Umfeld.

Design-Vorbild & „Mitarbeiter“ Seidenwurm

Hier entwickelt Oxman seit 20 Jahren neue Wege der interdisziplinären Zusammenarbeit – und sogar des arten-übergreifenden Zusammenwirkens. Ob Baumrinde, Schalentier oder Seidenwurm: Die engagierte Forscherin betrachtet natürlich Systeme und Prozesse im Detail und entwickelt daraus eine neue, revolutionäre Design-Philosophie. Mitunter arbeitet die Natur gar an Projekten mit: Für die Installation „Silk Pavilion“ ließ Oxman Seidenwürmern freie Bahn im Kunstobjekt.

Kooperation der Arten, Verbindung der Materialien: Seidenwürmer bei der Arbeit an einem Projekt der Mediated Matter Group (Bild: Neri Oxman)
Kooperation der Arten, Verbindung der Materialien: Seidenwürmer bei der Arbeit an einem Projekt der Mediated Matter Group (Bild: Neri Oxman)

„Silk Pavilion“: Von Seidenwürmern an Ort und Stelle in einem hängenden Rahmen gebaut (Bild: Neri Oxman, Mediated Matter Group)
„Silk Pavilion“: Von Seidenwürmern an Ort und Stelle in einem hängenden Rahmen gebaut (Bild: Neri Oxman, Mediated Matter Group)

Viel Aufsehen erregten auch Oxmans Experimente mit eigens entwickelten 3-D-Druckern. Hier wurde unter anderem eine Digital Construction Platform (DCP) verwendet – ein automatisches Bausystem, das Umweltdaten für den Prozess auswertet und damit die Herstellung vor Ort lenkt.

Kuppel aus dem Drucker

Ein mit Laser ausgestatteter Roboterarm steuerte die Materialschaum-Düse. Hohlräume zwischen den schichtweise aufgebauten Wänden wurden mit Beton gefüllt. Und Oxmans Forschungsgruppe schaffte es, in nur 13,5 Stunden eine offene Kuppel mit 14,6 Metern Durchmesser und 3,7 Metern Höhe fertigzustellen – genauer gesagt: auszudrucken.

„Lebende“ Kleidung für die Zukunft

Nicht minder faszinierend: Ebenfalls mittels Computer-Design und Druck hergestellte „Wearable Skins: „Mushtari“, ein von Stratasys im 3D-Druck hergestelltes Kunstobjekt, gilt als weltweit erstes Wearable, das additive Multimaterial-Fertigung mit synthetischer Biologie verbindet. 2015 bei der TED in Vancouver präsentiert, erntete dieses Projekt großen Applaus. „Die Bekleidungsobjekte besitzen ein integriertes Kanalsystem für die Unterbringung von Mikroorganismen“, schilderte Oxman. 

„Anthozoa“ Kleidungsstück – eine Zusammenarbeit von Neri Oxman, Iris Van Herpen und Craig Carter – zu sehen im Bostoner Museum of Fine Arts. (Foto: Neri Oxman)
Anthozoa“ Kleidungsstück – eine Zusammenarbeit von Neri Oxman, Iris Van Herpen und Craig Carter – zu sehen im Bostoner Museum of Fine Arts. (Foto: Neri Oxman)

Mushtari beherbergt – ähnlich dem menschlichen Verdauungstrakt – Mikroorganismen in einer Parallelkultur aus Kolibakterien und fotosynthetischen Cyanobakterien. Diese synthetischen Organismen fluoreszieren im Dunklen und können unter Sonneneinstrahlung Zucker oder sogar Biokraftstoff produzieren.

Material, das künftig heilen kann

„Solche und andere Anwendungsmöglichkeiten werden in naher Zukunft das Leben der damit ausgerüsteten Personen verbessern. Zum Beispiel durch Hautscans, Heilung von verletztem Gewebe und Unterstützung der Körperfunktionen“, erklärte die Professorin.

Frühere Werkschau mit Stücken aus Subterrain, Cartesian Wax, Monocoque, Raycounting 1&2 und Penumbra. Von 22.Februar bis 25.Mai 2020 wird Oxman im New Yorker Museum of Modern Art abermals eine Ausstellung gewidmet. (Foto: Mikey Siegel - Mediated Matter)
Frühere Werkschau mit Stücken aus SubterrainCartesian WaxMonocoqueRaycounting 1&2 und Penumbra. Von 22.Februar bis 25.Mai 2020 wird Oxman im New Yorker Museum of Modern Art abermals eine Ausstellung gewidmet. (Foto: Mikey Siegel – Mediated Matter)

Auch ihre aktuellen Arbeiten und Design-Objekte gelten als bahnbrechend. Und schon bald wird Neri Oxman die nächste Ehre zuteil: Das New Yorker Museum of Modern Art (MoMa) widmet der Künstlerin von 22. Februar bis 25. Mai 2020 eine eigene Ausstellung

Neue Ausstellung in New York

In der Ankündigung heißt es etwa: „Die acht präsentierten Projekte sind Beispiele für eine Bibliothek von Materialien und Prozessen, die eines Tages für alle Architekten und Designer verfügbar sein könnten. All diese Objekte und Strukturen sind so designt, als wären sie gewachsen – ohne zusammengeführt werden zu müssen. Zusammen zelebrieren sie ein neues Zeitalter, in dem Biologie, Architektur, Ingenieurwesen und Design sich zusammenschließen, um die Zukunft zu gestalten“.

Ob bis dahin noch jemand Brad Pitt kennt, ist fraglich. Wer Pionierarbeit für nachhaltige Errungenschaften geleistet hat, wird indes kaum so rasch in Vergessenheit geraten wie Hollywoods Society-Gerüchte. Gut möglich, dass man dann im Kleingedruckten von Neri Oxmans Google-Nennungen nach ihrem einstigen Vielleicht-Lover wird suchen müssen. 

Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Neri Oxman, Mikey Siegel, Mediated Matter Group, Noah Kalina, Katherine Du Tiel 

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