Skelleftea Kulturhus, White Arkitekter
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Der neue ISO-Standard fürs Bauen

Bislang fehlte es bei der Bewertung der Klimaneutralität an einem einheitlichen Maßstab. Ein globaler ISO-Standard für CO₂-Neutralität soll das nun ändern. Der Baustoff Holz gilt künftig nicht automatisch als CO₂-negativ.

Bedeutet Net Zero dasselbe wie klimaneutral? Ist ein Null-Emissionshaus gleichbedeutend mit einem klimapositiven Gebäude? Geht es dabei um die Emissionen im laufenden Betrieb oder um Kohlendioxid, das beim Bau eines Gebäudes anfällt? In der ökologischen Bewertung von Architektur herrscht eine babylonische Sprachverwirrung. Die International Organization for Standardization will dem nun ein Ende bereiten. Ein neuer ISO-Standard für CO₂-neutrale Gebäude soll in Zukunft eine einheitliche Sprache schaffen.

Ein strengerer Kriterienkatalog soll in der Baubranche außerdem Dampf machen und in der Zukunft keine Schlupflöcher mehr für Carbon-Washing bieten. Denn darüber sind sich Klimaexperten einig: Vom Ziel des Pariser Klimaabkommens, nämlich einer Halbierung der CO₂-Emissionen bis 2030, sind wir derzeit noch weit entfernt. Und die Zeit drängt.

Das Svart Resort vom Architekturbüro Snøhetta ist das weltweit erste Hotel mit einer positiven Energiebilanz.

Strengere Regeln für die CO₂-Neutralität

Der neue Standard soll nächstes Jahr kommen, wie das Architekturmagazin „Dezeen“ berichtet. Ziel ist es, „zu einer gemeinsamen Definition zu kommen, die nicht der kleinste gemeinsame Nenner ist“, erklärt Ian Byrne. Er ist der Vorsitzende einer internationalen Gruppe von Experten, die den Standard festlegt. Die Internationale Organisation für Normung mit Sitz in Genf ist eine unabhängige Vereinigung, in der die Normungsorganisationen von 165 Mitgliedsstaaten vertreten sind.

Der neue Standard wird vermutlich eher strenger sein als die, die derzeit am Markt sind.

Ian Byrne, International Organization for Standardization

Künftig soll genau geregelt sein, nach welchen Richtlinien der CO₂-Fußabdruck ermittelt wird. Außerdem soll der neue Standard festlegen, welche Art von Kompensationsgeschäften bei CO₂-Emissionen erlaubt sind, und welche nicht. „Der neue Standard wird vermutlich eher strenger sein als die, die derzeit am Markt sind“, so Byrne. 

Verbauter Kohlenstoff versus Energiebedarf

Herkömmliche Zertifikate wie DNGB, LEED, CASBEE oder BREEAM legen den Fokus bei der Nachhaltigkeit von Gebäuden auf einen CO₂-freundlichen Betrieb. Die Emissionen, die beim Bau selbst anfallen, werden oft nur am Rand berücksichtigt. Dieser tatsächlich verbaute Kohlenstoff soll beim künftigen ISO-Standard nicht mehr unter den Tisch fallen.

Im aktuellen System ist es möglich, dass Gebäude, die mit den höchsten Umweltzertifikaten ausgezeichnet sind, eine desaströse CO₂-Bilanz aufweisen. Ein Zustand, den der britische Architekt Simon Sturgis wiederholt kritisiert. Der ehemalige Umweltberater des renommierten RIBA Sterling Prize fordert eine CO₂-Bewertung über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes. Man spricht dabei von whole-life carbon (WLC).

Null-Emissionshaus, HafenCity Hamburg
Das Null-Emissionshaus der HafenCity Hamburg wurde mit dem Green BIM Award ausgezeichnet.

Keine Materialschlachten mehr

Ein konkretes Beispiel, das von Kritikern oft genannt wird, ist das Bloomberg HQ von Foster + Partners. Es wurde 2018 mit dem Sterling Prize ausgezeichnet und gilt aufgrund der höchsten BREEAM-Zertifizierung aller Zeiten als „das nachhaltigste Bürogebäude der Welt“. Doch bei seiner Errichtung wurden wahre Materialschlachten ausgefochten, so Kritiker.

„Dieses Gebäude ist außergewöhnlich und tatsächlich ein Labor der Nachhaltigkeit. Allerdings ist es in meinen Augen weder ein wirklich nachhaltiges Gebäude, noch ein Vorbild für andere in der Zukunft“, lautete das Urteil von Sturgis. Der verbaute Kohlenstoff des Gebäudes sei ein Vielfaches von dem eines gewöhnlichen Bürohauses. Er hoffe, dies sei der letzte Auswuchs eines ressourcenintensiven Ansatzes im Design und in der Konstruktion.

Holz nicht automatisch CO₂-negativ

Holz wird auch als Kohlenstoffsenke bezeichnet, da der Baum während seines Wachstums CO₂ aufnimmt und bindet. In der Baubranche gibt es derzeit keine einheitliche Regelung darüber, ob Holz ein kohlenstoffnegatives Baumaterial ist. Oft wird das enthaltene CO₂ von Emissionen, die an anderer Stelle der Lieferkette entstehen, abgezogen. Diesen Usus werde der neue Standard nicht mehr so einfach erlauben, bekräftigt Ian Byrne. Damit das Holz als CO₂-negativ gilt, muss nachgewiesen werden, dass es auch tatsächlich wieder nachwächst.

Das Sara Kulturhus im schwedischen Skellefteå zählt zu den höchsten Highrise-Strukturen der Welt, die zur Gänze aus Holz gebaut sind.

Um zu verhindern, dass das Holz verrottet, verbrennt oder auf einer Deponie landet, muss die kommerzielle Forstwirtschaft die langfristige Bindung von Kohlenstoff garantieren. Als zeitlicher Rahmen sind hundert Jahre angedacht, manche pochen laut Byrne sogar auf tausend Jahre. „Man muss sichergehen, dass es (das CO₂) nicht wieder zurück in den Kreislauf gerät“, wie er sagt.

Ein Gebäude, das vermutlich jetzt schon dem geplanten ISO-Standard entspricht, ist das Null-Emissionshaus der HafenCity Hamburg. Das BIM-Modell des Gebäudes erfasst jedes einzelne Bauteil mit seinem ökologischen Fußabdruck. Dafür wurde es jetzt mit dem Green BIM-Award ausgezeichnet.

Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: White View, Luxigon, White Arkitekter, Snøhetta Plompmozes, Heinle Wischer und Partner

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