Twin Peaks für Toronto
Die Wohnanlage Aqualuna in Torontos Bayside feiert das Revival des Terrassenhauses. Das renommierte Büro 3XN lieferte einen außergewöhnlichen Entwurf und das Kopenhagener Knowhow, wie man einen ehemaligen Industriehafen für die Menschen öffnet.
Sind bereits in der antiken Architektur Terrassenhäuser überliefert – etwa die Hängenden Gärten von Babylon –, so erlebten sie in der Spätmoderne des 20. Jahrhunderts ihre Hochblüte. Mit seinen Ideenskizzen für die Wohnberge lieferte Walter Gropius schon im Jahr 1928 eine richtungsweisende Vorlage. Herzstück dieser experimentellen Sonderbauform des Mehrfamilienhauses ist die großzügige Wohnterrasse, die sich durch die stufenförmigen Rücksprünge in der Kubatur ergeben. Die meisten dieser Terrassen- und Hügelhäuser entstanden während der Wohnbauoffensive in den 1960er- und 1970er-Jahren. Zu den bekanntesten Vertretern zählen Harry Glücks Wohnpark Alt-Erlaa in Wien oder das Bochumer Terrassenhaus Girondelle von Albin Hennig.
Dass diese Bauform in jüngster Zeit wieder in den Fokus von Architektinnen und Planern gerückt ist, liegt einerseits am gestiegenen Interesse an der Spätmoderne und andererseits daran, dass das Terrassenhaus einen nachhaltigen Gegenentwurf zum Einfamilienhaus bietet. Während es mit dem intensiv nutzbaren Außenbereich eine hohe Wohnqualität schafft, erlangt man damit zugleich eine hohe Bebauungsdichte und vermeidet die mit dem Einfamilienhaus einhergehende Zersiedelung.
Zwei Gipfel und ein Tal
Das renommierte dänische Architekturbüro 3XN setzte an Torontos revitalisierter Bayside – neben dem höchsten Bürogebäude Nordamerikas in Holzbauweise – gleich zweifach auf die terrassierte Bauform.
Nach der L-förmigen Wohnhausanlage Aquabella am Merchants’ Wharf, folgte nun das Projekt Aqualuna als östlicher Abschluss des neuen Stadtgebietes. Seine skulpturale Fassade mit den auskragenden, runden Balkonformen sei eine Anlehnung an „die Wellen des Ontariosees“, wie das Architekturbüro erklärt.
Durch die leichte Versetzung der beiden ‚Gipfel‘ konnten wir den Blick auf das Wasser von jeder Einheit aus maximieren.
3XN, Architekturbüro
Das Gebäude steigt an zwei Seiten stufenförmig an und bildet in der Mitte ein Tal, in dem sich die gemeinschaftlichen Räume und der Poolbereich befinden. Diese Formgebung mit den „Twin Peaks“ habe sich aus den unterschiedlichen Anforderungen an den Standort ergeben.
Das Gebäude sollte sich einerseits gut in die Umgebung einfügen und andererseits die Aussicht und Sichtachsen der benachbarten Häuser respektieren und den umliegenden öffentlichen Räumen nicht zu viel Tageslicht wegnehmen.
Auch die künftigen Bewohner von Aqualuna sollten möglichst demokratisch an der Aussicht aufs Wasser beteiligt sein. „Durch die leichte Versetzung der beiden ‚Gipfel‘ konnten wir den Blick auf das Wasser von jeder Einheit aus maximieren“, heißt es in der Projektbeschreibung.
Auflösung der Fassade
Die in einem Schwung auskragenden Terrassen und die Rundungen der Wintergärten schaffen einen organischen Gesamteindruck des Gebäudes.
Die vielen Außenflächen bilden eine Art Puffer um die Baukörper, sodass die tatsächlichen Fassaden aufgelöst scheinen. Die in den Außenraum wachsenden Freiflächen verlängern den Wohnbereich und verwischen die Grenze zwischen Innen und Außen.
Die Gartenterrassen beleben die Außenfassade und verleihen ihr durch Textur, Farbe, Tiefe und Vielfalt einen menschlichen Maßstab.
3XN, Architekturbüro
„Die außergewöhnlichen Gartenterrassen sind das Markenzeichen des Entwurfs“, erklärt das Architektenteam. „Sie beleben die Außenfassade des Gebäudes und verleihen ihr durch Textur, Farbe, Tiefe und Vielfalt einen menschlichen Maßstab.“
Ein guter Nachbar
Aqualuna möchte nicht nur durch sein respektvolles Einfügen in den städtischen Kontext ein „guter Nachbar“ sein, es soll auch zur Belebung des neuen Viertels am Wasser beitragen. Um dem neu bebauten Quartier straßenseitig Leben einzuhauchen, sind Teile des Erdgeschosses für eine gewerbliche Nutzung bestimmt.
Das Architekturbüro 3XN ist auch angetreten, um ein Stück gelungene Stadtentwicklung von Kopenhagen nach Kanada zu exportieren. Die Öffnung des Hafens und der Uferbereiche für die Menschen ist eine Erfolgsgeschichte in der dänischen Hauptstadt. In diesem Zusammenhang hat sich die Wortschöpfung Copenhagenization etabliert, die den Prozess beschreibt, eine Stadt für die Menschen sicherer und zugänglicher zu machen.
So soll auch Aqualuna nicht nur den künftigen Bewohnern viel Lebensqualität bringen, sondern auch einen Mehrwert für die kanadische Metropole schaffen. „Toronto ist dabei, sein ehemaliges Industriegebiet am Hafen zurückzugewinnen, und wir freuen uns, Teil dieses Prozesses zu sein“, sagt 3XN-Chef Kim Herforth Nielsen. „Mit Aqualuna wollen wir einen attraktiven urbanen Raum schaffen, der die Stadt näher ans Wasser bringt.“
Text: Gertraud Gerst
Fotos: 3XN







