Pulverbeschichteter Edelstahl in klarer Formensprache ist ihr Metier. Doch die dänischen Designer von Vipp haben längst Kurs auf die Architektur genommen. Wie durch einen Zufall das Vipp Hotel entstanden ist, erzählt CEO Kasper Egelund im Interview mit dem ubm magazin.

Der Hotelschlüssel entsperrt die schwere Eingangstür der ehemaligen Druckerei im Kopenhagener Viertel Islands Brygge. Am Ende des Flurs fällt der Blick auf die beiden Originalmodelle des wohl berühmtesten Treteimers der Welt: der Vipp Pedal Bin. Er ist ein fester Bestandteil der Designgeschichte und zählt mittlerweile zur dauerhaften Sammlung des Museum of Modern Art in New York. 

Vorbei an den Glastüren des Vipp Headquarters folgt man den Treppen bis ganz nach oben. Ein dezentes Schild mit der Aufschrift „Vipp Loft“ verrät dem Hotelgast, dass er sein Domizil erreicht hat. Hinter der Tür tut sich ein wandfreier Raum auf, der sich nicht gleich fassen lässt. Vom Schlafzimmer am einen bis zum Kamin am anderen Ende durchmisst man die gesamte Länge des historischen Gebäudes. Dazwischen erstreckt sich die Welt von Vipp und lädt zu einem kuratierten Design-Erlebnis ein – im mit Abstand größten Hotelzimmer der Stadt.

Vipp Headquarter, Vipp Loft
Für seinen Firmensitz hat Vipp eine Druckerei aus dem Jahr 1910 adaptiert. In den beiden obersten Geschossen befindet sich das Vipp Loft, das Showroom und Hotel zugleich ist.

Vom Treteimer zum Vipp Hotel

Um genau zu sein sind es 400 Quadratmeter, die sich über zwei Stockwerke und eine Galerie erstrecken. Der designaffine Gast kann hier die gesamte Produktpalette des dänischen Designunternehmens im Alltagsgebrauch testen. Und ja, auch den zuvor erwähnten Treteimer. Das gedämpfte Geräusch, mit dem sich sein Deckel schließt, steckt im lautmalerischen „Vipp“ des Markennamens. Es steht stellvertretend für die Funktionalität und Solidität, die in allen Produkten zu spüren ist – ob das nun der Seifenspender ist oder die ausgeklügelte Modulküche. 

Von der einstigen Metalldrehbank des Firmengründers Holger Nielsen bis zum neuen Konzept der Vipp Hotels spannt sich ein weiter Bogen innovationsfreudiger Unternehmensgeschichte. Wie es zu dieser Entwicklung kam, erklärt Kasper Egelund, der das Familienunternehmen in dritter Generation leitet.

Hotelzimmer zu kreieren, die zugleich als Showroom fungieren, ist ein neues Hospitality-Konzept. Wie kam es zu dieser Idee?

Die Vipp Hotels sind im Grunde genommen aus einem Zufall heraus entstanden. Alles begann mit meinem Traum eines Wochenendhauses im Grünen, um dem Großstadtgetöse Manhattans zu entfliehen, wo ich damals lebte. Daraus entstand das Vipp Shelter, ein All-Inclusive-Retreat mit allen Merkmalen unserer Vipp-Produkt-DNA.

Vipp Shelter, innen
Das Vipp Shelter ist ein mobiles, fix und fertig eingerichtetes Wochenendhaus, das beim dänischen Designunternehmen bestellt werden kann.

Vipp Shelter, außen
Designliebhabern steht es aber auch als Wochenend-Destination zur Verfügung, in der sie einchecken können.

Von dem Tag an, als wir dieses Produkt vorstellten, quillten unsere Briefkästen über mit Anfragen von Kunden und Design-Enthusiasten, die es für ein Wochenende mieten wollten. Diese unerwartete Nachfrage nach einer einzelnen Übernachtung hat uns dazu gebracht, das Konzept zu testen. 2016 haben wir zehn Wochenendaufenthalte im Shelter zum Verkauf angeboten. Die Resonanz war überwältigend, und wir sagten: „Lasst uns aus der Unterkunft ein Hotel machen.“

In der Folge sind noch weitere hinzugekommen…

Ja, aufgrund des großen Erfolgs eröffneten wir weniger später das Vipp Loft. Es ist der Dachbodenausbau unseres Firmensitzes, den das dänische Architekturbüro David Thulstrup für uns umsetzte. Danach kam das Chimney House, eine historische Wasserpumpstation mit einem hochragenden Kamin aus der Gründerzeit. Auf der Insel Lolland folgte das Vipp Farmhouse und dieses Jahr das Vipp Pencil Case in einer ehemaligen Bleistiftfabrik aus den 1930er-Jahren. Die letzte Ergänzung der Kollektion ist The Bolder Sky Lodge, zwei Avantgarde-Cabins mit atemberaubender Aussicht über Norwegens Lysefjord.

Kasper Egelund, Vipp CEO
Kasper Egelund leitet das Familienunternehmen in dritter Generation.

Trotz der unterschiedlichen architektonischen Erlebnisse, die wir geschaffen haben, sind die Unterkünfte alle durch die Design-Vision von Vipp miteinander verbunden.

Kasper Egelund, CEO Vipp

Wie wird diese Idee des One-Room-Hotels angenommen?

Die Kunden sind erst überrascht, dann begeistert. Die Vipp Hotels lassen die Besucher staunen, weil niemand ein Rundum-Vipp-Erlebnis erwartet. Die Reaktionen sind sehr positiv und die Kunden kommen aus der ganzen Welt. Letztes Wochenende hatten wir zum Beispiel koreanischen Besuch im Pencil Case.

Vipp Kitchen, Vipp Loft, Copenhagen
Die Vipp Kitchen ist eine ausgeklügelte Modulküche und zentraler Bestand aller buchbaren Vipp Hotels.

Was gibt es im Vipp Hotel im Vergleich zu einem konventionellen Hotelbetrieb nicht?

Unsere Hotels sind nicht alltäglich: Anstelle eines einzigen Standorts mit identischen Zimmern und einem kontinentalen Frühstück bieten wir individuelle Räume an verschiedenen Orten der Welt an. Wir haben also weder eine Rezeption noch einen Concierge, keine 24-Stunden-Lobby, kein Restaurant, keine tägliche Reinigung und keinen Fitnessbereich.

Wir bauen nie von Grund auf neu, sondern wandeln bereits bestehende Bauwerke um, nutzen sie weiter, geben ihnen neues Leben und verhindern dadurch, dass sie abgerissen werden.

Kasper Egelund, CEO Vipp

Was bekommt der Gast stattdessen geboten?

Stattdessen bieten wir maßgeschneiderte, kuratierte Design-Destinationen, die aus dem Rahmen fallen. Trotz der unterschiedlichen architektonischen Erlebnisse, die wir geschaffen haben, sind die Unterkünfte alle durch die Design-Vision von Vipp miteinander verbunden. Der Kontakt mit dem Vipp-Universum ist ein wichtiger Teil dieses Erlebnisses. Selbstverständlich ist jedes Hotel mit einer Küche ausgestattet, die nur darauf wartet, von den Gästen benutzt zu werden.

Swivel Chair, Vipp Loft, Copenhagen
Das Vipp Loft ist mit allen bekannten Klassikern der Design-Marke ausgestattet, so auch mit dem Swivel Chair.

Desk Lamp, Vipp Loft, Copenhagen
Die Desk Lamp fungiert im Schlafzimmer als Leselicht.

Die Bandbreite reicht vom urbanen Loft bis zur stylischen Hütte am See. Welches Zimmer fehlt noch in der Kollektion?

Auf die Frage, welches mein Lieblings-Vipp-Hotel ist, antworte ich immer: das nächste. Wir haben so viele Ideen, die wir noch umsetzen wollen. Ich persönlich bevorzuge Hotels in der Natur, aber im Grunde ist es einfach spannend, mit unserem Hospitality-Konzept zu spielen. Die Möglichkeiten sind endlos.

War es ein logischer Schritt vom Design zur Architektur?

Der Schritt vom Design zur Architektur war naheliegend. In gewisser Weise ist das Vipp Hotel unsere Auffassung von Haute Couture im Design. Wir haben versucht, uns die idealen Orte für unsere Möbel vorzustellen, und haben sie dann realisiert. Aber anstatt unerreichbare Orte als Setting für ein Werbeprospekt zu schaffen, kann man hier tatsächlich einchecken.

Das Vipp Shelter ist ein Design-Objekt im Großformat. Was hat es mit dem kleinsten Design-Objekt im Portfolio gemeinsam?

Alle unsere Produkte, vom Saughaken bis zum Shelter, zeichnen sich durch die Liebe zum Detail und den besonderen Wunsch aus, etwas Bleibendes zu schaffen, fernab von flüchtigen Trends.

Vipp Chimney House, Copenhagen
Auch mit dem Chimney House hat Vipp wertvollen historischen Bestand adaptiert und für die Nachwelt gerettet.

Nachhaltige Bauweise und kreislauffähiges Produktdesign werden für Konsumenten immer wichtiger. Wie begegnen Sie dieser steigenden Verantwortung als Produzent?

Die Produkte von Vipp waren schon immer auf Langlebigkeit ausgelegt. Unsere Kunden bekommen immer Ersatzteile für jedes Modell, das am Markt ist, deshalb werden unsere Produkte nie weggeworfen, und es besteht auch keine Notwendigkeit sie zu entsorgen. 

Auch die Gebäude, in denen sich sowohl unser Hauptsitz als auch unsere Hotels befinden, sind Bestandsgebäude. Wir bauen nie von Grund auf neu, sondern wandeln bereits bestehende Bauwerke um, nutzen sie weiter, geben ihnen neues Leben und verhindern dadurch, dass sie abgerissen werden.

Interview: Gertraud Gerst
Fotos: VIPP

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