Neue Gebaeude für eine neue Gesellschaft1
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Neue Gebäude für eine neue Gesellschaft

Der legendäre deutsch-amerikanische Architekt und Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe hat nur ein einziges Fabrikgelände gestaltet. Das bislang weitgehend unbekannte Industrie-Ensemble steht in Krefeld am Niederrhein. Die Gebäude sind beeindruckende Zeugen des Aufbruchs in eine neue Zeit.

Dass Mies van der Rohe die atemberaubenden Villen „Haus Lange“ und „Haus Esters“ in Krefeld entworfen hat, ist weithin bekannt. Die beiden benachbarten, spektakulär-schlichten Backsteingebäude im Bauhausstil sind seit langem unter Denkmalschutz und vielbesuchte Museen. Mies van der Rohes Auftraggeber, die Industriellen Hermann Lange und Josef Esters, schlossen ihre Unternehmen Anfang der 30er-Jahre zur Vereinigten Seidenwebereien AG, kurz „VerSeidAG“, zusammen. Dass sich Mies van der Rohe auch den neuen Krefelder Produktionshallen widmete, lag seinerzeit auf der Hand. Aus heutiger Sicht ist es ein absoluter Glücksfall. 

Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969 ): old school und hochmodern

Bauhaus von der Pforte an

Zwei Industriebauten, die Alte Färberei und das HE-Gebäude (Gebäude für Herrenfutterstoffe) hat Mies van der Rohe noch vor seiner Emigration in die USA 1937 für die VerSeidAG Krefeld gezeichnet. Sie bildeten die Keimzelle eines schnell wachsenden Industrieareals im Norden der damals namhaften und blühenden Textilstadt. Bis 1939 expandierte die VerSeidAG und zahlreiche weitere Bauten wurden in ihrer Gestaltung und Formensprache an die Entwürfe Mies van der Rohes angelehnt. Neben der Alten Färberei mit den markanten Shed-Hallen (Sägezahndach) und dem HE-Gebäude entstanden ein Kesselhaus, ein Gebäude für die Warendurchsicht mit dem prägnanten Uhrenturm, eine Schlichterei, ein Pförtnerhaus sowie ein Bürotrakt mit weiteren Shed-Hallen. Alles wuchs zu einem einzigartigen „Bau“, ganz im Sinne des Bauhauses, zusammen.  

Der Mies van der Rohe Business Park: Bauhaus-Baudenkmal in Krefeld
Der Mies van der Rohe Business Park: Bauhaus-Baudenkmal in Krefeld

Verkannt und wiederentdeckt

Im Zweiten Weltkrieg wurde das gesamte Industrie-Areal zum Zielobjekt und entsprechend stark beschädigt. Diverse Wiederaufbau- und Umbauarbeiten in den späten 40er- und frühen 50er Jahren folgten. Wegen mangelnder Ressourcen und großer Eile waren dabei jedoch lediglich die rein funktionalen Bedürfnisse der damaligen Zeit im Blick; an eine stilgerechte Restauration war nicht zu denken. Zunehmender Wohlstand und ein gesteigertes Verständnis für Baukultur räumten dem Denkmalschutz in Deutschland nach und nach immer mehr Mittel und Einfluss ein. So wurden auch die VerSeidAG-Gebäude letztlich 1999 zum Denkmal ernannt und mit viel Liebe zum Detail sukzessive restauriert. Dazu gehörten in erster Linie eine umfassende Fassadensanierung und die Wiederherstellung der freien Raumfolgen, einem wesentlichen Merkmal dieser Bauten.

Ein Business-Park mit Geschichte

Nicht nur durch die Restaurierung kam Mies van der Rohe in Krefeld erneut zu Ehren. Der von 2009 an sorgsam entwickelte moderne Business Park auf dem ehemaligen VerSeidAG-Gelände trägt seinen Namen. Und das zu Recht. Denn damals wie heute sind die Gebäude beeindruckende Zeugen des Aufbruchs in eine neue Zeit. Unternehmen, die hier ihre Niederlassung gewählt haben, sicherten sich mehr als nur großzügige und inspirierende Räumlichkeiten. Sie partizipieren an der wiederbelebten repräsentativen Wirkung und der nachhaltigen Anziehungskraft dieses Architekturdenkmals.

Mies van der Rohe Business Park
Motivation und Funktion an historischer Bauhaus-Städte: ein gekonntes Update

Mies van der Rohe Business Park
Die Alte Färberei: offen für die innovativen Arbeitsformen von heute

Jetzt werden hier Netzwerke gewebt

Die Alte Färberei, beispielsweise, vermittelt mit ihren Shed-Dächern und der offenen Gebäudestruktur den Charakter eines Lofts und unterstricht damit maßgeblich die wiedergewonnene Aura des Mies van der Rohe Business Parks. Die weitläufigen Innenräume und die besondere Dachkonstruktion gestatten eine optimale Ausleuchtung. Alle Arbeitsbereiche kommen weitgehend mit natürlichem Tageslicht aus. Während die historische Fassade und der äußere Gesamteindruck erhalten bleiben, entsprechen die Arbeitsflächen im Inneren den aktuellen Raum- und Technik-Anforderungen bis hin zu High-Tech Start-ups.

Form still follows Function

Mies van der Rohe entwarf die Halle der Alten Färberei bewusst ohne tragende Wände. Damit erfüllt sie auch 80 Jahre später die Anforderungen einer modernen Arbeitswelt. Alle Flächen sind offengeblieben und lassen sich durch frei positionierbare Akustikwände flexibel unterteilen. So entstehen, nach Bedarf, wandlungsfähige Meeting-Räume und kommunikative Zonen.

Der Neubau des HE Gebäudes, nun HE2 genannt, schließt sich am ursprünglichen Standort südlich an die Alte Färberei an. Seine äußere Formensprache und das klare Fensterraster zitieren das Vorbild. Im Innern wird die strenge Anordnung allerdings durch eine Doppelfassade aufgehoben, die eine flexible Planung des gesamten Raumes ermöglicht. Tragende Elemente sind so angeordnet, dass eine Aufteilung der Etagen in Open-Space-Büros, Team-Büros oder klassische Single-Offices ohne großen Aufwand möglich ist. Eine neue Konstruktion „nutzungsvariabler Universalräume“, wie Mies van der Rohe sie postulierte, ist also verwirklicht. 

Wie einst für die VerSeidAG gilt auch für den Business Park: Die Form folgt der Funktion. Und auch das Flair stimmt. Im Jahr 2019 – und weit darüber hinaus. 

Text: Tobias Sckaer

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