Neue Stärke für den Ortskern
Das neue Posthus in der Vorarlberger Dorfgemeinde Egg hat Autos und Asphalt zurückgedrängt und soll zusammen mit dem neuen Dorfplatz den Ortskern stärken. Der monolithische Baukörper feiert ein Revival des traditionellen Lochfensters.
Es ist eine Entwicklung, die sich in sehr vielen ländlichen Siedlungsstrukturen abspielt. Während die historisch gewachsenen Ortskerne mehr und mehr von einer Aushöhlung betroffen sind, wachsen neue und größere Gebäude an den Ortsrändern heran. Dieser sogenannte Doughnut-Effekt geht mit einer Reihe negativer Folgen einher, allen voran den hohen Bodenverbrauch und die Infrastrukturkosten für die Erschließung neuer Baugebiete. Die aussterbenden Dorfzentren mit den typischen Leerständen und kaum noch Nahversorgern lassen aber auch das Zusammengehörigkeitsgefühl schwinden.
Ein schleichender Identitätsverlust macht sich breit, der für die Abwanderung in ländlichen Regionen mit verantwortlich gemacht wird. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, müssen die Ortszentren wieder gestärkt werden.
Stärkung des Ortskerns
Obwohl die Vorarlberger Marktgemeinde Egg als heimliche Hauptstadt des Bregenzerwaldes gilt, weil hier viele Hauptstraßen zusammenlaufen, gab es in der Vergangenheit eine ähnliche Entwicklung.
Die Gebäude am Rand des Dorfes sind jünger und größer. Wir wollten eine Wende in diesem Abwärtstrend, denn das Zentrum steht für die Gemeinschaft.
Philipp Lutz, Architekt
„Die Gebäude am Rand des Dorfes sind jünger und größer. Wir wollten eine Wende in diesem Abwärtstrend, denn das Zentrum steht für die Gemeinschaft“, so Architekt Philipp Lutz gegenüber der Plattform Big See.
Gemeinsam mit seinem Büro Ludescher + Lutz steht er hinter einem markanten Neubau im Zentrum von Egg, dem Posthus. Das stattliche Gebäude mit sechs Geschossen schafft eine räumliche Transformation im Ortskern und soll diesen mit seiner gemischten Nutzung beleben. Im Erdgeschoss gibt es ein Gasthaus und einen Eissalon, in den oberen Geschossen Büros und unter dem Dach Wohnungen.
Ein Ort für Menschen statt für Autos
Das Haus gibt sich sehr selbstbewusst und ragt monolithisch in die Höhe, an einem neuralgischen Punkt, an dem die Planer zuvor „zu viel Weite, zu viel Asphalt und zu viele Autos“ verorteten. Mit seinem mächtigen und kompakten Volumen hat es den großen Bauten am Ortsrand etwas entgegenzusetzen. „Ein kräftiger, punktförmiger Baukörper mit Walmdach schafft einen neuen Fixpunkt im Ortszentrum“, heißt es vonseiten des Bregenzer Büros. „Er ordnet die vielen Teilräume des Ortes um sich herum neu und spannt einen Dorfplatz im Süden auf.“
Durch die Ausrichtung des neuen Dorfplatzes entsteht ein Sichtbezug zur etwas höher gelegenen Kirche, dem traditionellen Mittelpunkt des dörflichen Lebens. Statt parkender Autos stehen heute schattenspendende Bäume auf dem einst so eifrig versiegelten Platz. Den Asphalt hat man einem Kleinsteinpflaster weichen lassen, das die Nutzung für Fußgänger auf den ersten Blick klar macht und eine neue Aufenthaltsqualität ins verkehrsberuhigte Zentrum bringt.
Das Platzniveau wurde im Zuge der Bauarbeiten etwas angehoben, sodass man nun mit der Kreuzung auf Augenhöhe ist. Durch diese topografische Veränderung sind sowohl das alte Gemeindeamt am Platz als auch das neue Posthus barrierefrei erreichbar.
Ortstypische Schindelfassade
Der massive, kubische Baukörper präsentiert sich auf allen vier Seiten im einheitlichen Raster der tiefen Fensteröffnungen und in ortstypischer Fassade aus Tannenschindeln. Die Gebäudefront gibt sich Richtung Süden zu erkennen, wo sich das Gesimse an der Fensteroberkante in einem leichten Schwung hebt und das Augenmerk auf die zentrale Türanlage darunter fällt.
Die Hülle des Gebäudes sucht eine Symbiose aus klarer Struktur, nachhaltiger Bauweise und regionaler Bautradition.
Ludescher + Lutz, Architekturbüro
Die leicht auskragende Gaupe liefert einen konstruktiven Witterungsschutz für den Eingangsbereich und relativiert mit ihrer geschwungenen Form die strenge Orthogonalität des Gebäudes.
Zwei weitere Gaupen befinden sich an Vorder- und Rückseite des Walmdaches und wurden von den Architekten ganz bewusst eingesetzt: „Die tradierte Form der Fledermausgaupe erschien uns als das richtige Motiv, um einen fokussierten Raum und gleichzeitig eine zurückhaltende
Zentrierung des Hauses zu schaffen.“
Inspiriert am Wälderhaus
Die in jedem Geschoss auskragenden Gesimse sorgen für eine spannende Fassadentektonik und sind eine weitere Referenz an die lokale Baukultur. Derartige Traufkanten findet man auch beim sogenannten Wälderhaus, dem historischen Bauernhaus im Bregenzerwald, wo sie als Witterungsschutz für die Fenster dienen. Auch wenn dieser traditionelle Bautypus seine ursprüngliche Bedeutung verloren hat, spiegeln sich seine Qualitäten vielfach in der zeitgenössischen Architektur der Region wider.
So auch beim Posthus in Egg. Seine traditionalistische Ästhetik der Lochfenster verabschiedet sich vom internationalen Stil und kann als Ausdruck einer neuen Moderne gelten, die auf zeitlose Beständigkeit setzt. Aber nicht nur. Die tiefen Laibungen der Fenster und die auskragenden Gesimse darüber reduzieren den sommerlichen Wärmeeintrag und senken den Energiebedarf. „Die Hülle des Gebäudes sucht eine Symbiose aus klarer Struktur, nachhaltiger Bauweise und regionaler Bautradition“, bringen es Ludescher + Lutz auf den Punkt.
Ob das neue Haus und der transformierte Dorfplatz zu einer Belebung des Ortskerns von Egg beitragen, wird die Zukunft zeigen. Die Voraussetzungen dafür sind geschaffen.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Gustav Willeit






