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Die größte Blase der Welt

In Frankreich entsteht das größte Gewächshaus der Welt. Im „Tropicalia“ sollen aber nicht nur Flora und Fauna unter einen Hut gebracht werden, sondern vor allem auch moderne Energiesparformen.

Keine Frage, das Palmenhaus im Schloss Schönbrunn ist eine wahre Augenweide. Außerdem ist es auch im internationalen Vergleich ein echter Hingucker: Mit einer Länge von 111 Metern, 2.500 Quadratmetern Grund- und 4.900 Quadratmetern Glasfläche ist es ein wahrlich grünes Juwel im Herzen Wiens. Noch dazu eines, dass schon verdammt viele Jahre auf dem Buckel hat: 1882 wurde es von Kaiser Franz Joseph in Auftrag gegeben und von Architekt Franz Segenschmid dann in einem wahren Kraftakt realisiert.

140 Jahre später soll nun im Norden Frankreichs sozusagen der Urenkel des Wiener Palmenhauses das Licht der Welt erblicken. Unter dem Namen Tropicalia entwickelte das Architekten-Team von Coldefy & Associés ein spektakuläres Gewächshaus, das spätestens 2024 eröffnet werden soll. Und zwar als das größte Gewächshaus der Welt, das alle Bereiche unter einer einzigen Kuppel vereint.

Sozusagen der Großvater aller Gewächshäuser: Das Palmenhaus in Wien.

So ist es den Planern gelungen, den 20.000 Quadratmeter großen Komplex gänzlich ohne tragende Säulen zu konzipieren. Hintergrund: Die Besucher sollen durch keine nicht zwingend notwendigen Bauteile vom Blick auf das Wesentliche abgelenkt werden. Sprich: Wer auf den kilometerlangen Wanderwegen von Tropicalia unterwegs ist, möge seine volle Aufmerksamkeit der vorherrschenden Flora und Fauna schenken.

Richtige Blicke in Tropicalia

Wird bei dem geplanten Angebot aber auch nicht sonderlich schwierig sein: tropischer Wald, Schildkrötenstrand, Becken für Amazonasfische, die über drei Meter lang werden, werden hier genau so unter ein Dach gebracht wie Wasserfälle in einer hügeligen Landschaft. Und damit auch ja niemand auf die Idee kommt, den Blick durch die Glasfassaden in die Umgebung schweifen zu lassen – wird selbst das verhindert.

Kuppel teilweise unter der Erde

Dazu kurz zur Erklärung: Den Architekten gelang es durch ein Versenken der gigantischen Kuppel in der Erde mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Der gigantische Bau bettet sich so weit besser in die umgebende Landschaft ein. Die Sicht nach außen wird verhindert und der Blick stattdessen automatisch nach oben gerichtet. Dorthin also, wo bei einer konstanten Innenraumtemperatur von 26° C eine Vielzahl von Vögeln, Schmetterlingen und Insekten durch die Lüfte schwirren werden. Apropos Temperatur: Auch diese kann durch diese Methode besser kontrolliert und vor allem sinnvoller weiterverarbeitet werden.

Und das führt uns auch schon zum vor allem in diesem Spezialfall aus architektonischer Sicht besonders spektakulären Thema – Energie! Wenig verwunderlich, ist die Sache bei einer derart gigantischen Bubble – das Teil ist 35 Meter hoch – alles andere als trivial. Zumal in Zeiten von Energiewende und Mission 2030 dieser Aspekt mit Argusaugen betrachtet wird. Also haben Coldefy & Associate schon in der Planungsphase das Energieunternehmen Dalkia engagiert, um möglichst effizient operieren zu können.

Tropicalia als gigantischer Energie-Speicher

Was ist bei dem 62 Millionen Dollar teuren Tropicalia-Projekt konkret der heikle Punkt? Es müssen gigantische Luftmassen konstant auf 26 Grad Celsius gehalten werden. Das heißt: Im Winter muss Wärme wohl dosiert zugeführt werden. Im Sommer muss Wärme teilweise sehr rasch in großen Mengen abgeführt werden. Um dies zu erreichen, wählten die Architekten eine Kombination aus Baustahl und ETFE-Kunststofftechnologie. Kurzer Ausflug in die Welt der Baustoff-Sprache: EFTE ist insofern interessant, als es sehr langlebig und recycelbar ist und einen geringen Energiebedarf hat.

Mehr als nur eine Glaskuppel

Das bedeutet jedenfalls: Die sichtbare Kuppel besteht in Wahrheit nicht aus einer, sondern vielmehr aus zwei Kuppeln. Diese Doppelkuppel entsteht aber eben nicht einfach durch zwei übereinander gebaute Ebenen, sondern durch die erwähnten ETFE-Streifen. Diese 60 mal vier Meter großen Elemente kann man sich wie große Kissen vorstellen, die unter Druck stehen und UV-Licht durchscheinen lassen. Gleichzeitig aber ermöglicht jedes dieser Elemente die Kontrolle der thermischen Bedingungen im Inneren. Hinzu kommt eine dritte ETFE-Schicht darunter, die die durch den Treibhauseffekt erzeugte Wärme aufnimmt und als Energieleitsystem fungiert.

Tropicalia

Um die Energieleistung des Systems weiter zu verbessern und die große Struktur in die natürliche Umgebung zu integrieren, wird die Kuppel teilweise in die Landschaft eingebettet. In Kombination schaffen diese Maßnahmen ein energieautarkes System, das eine Umverteilung der Energie auf die umliegenden Gebäude ermöglicht.

Der Experte klärt auf

Das erklärt der zuständige Experte, Denis Bobillier, technischer Direktor für Großprojekte von Dalkia, dann so: „Diese doppelt isolierende Kuppel wird das tropische Ökosystem im Sommer schützen und im Winter seine Temperatur aufrechterhalten. Das teilweise Eingraben des Gewächshauses wird diese Isolierung noch verstärken. Die überschüssige Wärme kann so direkt genutzt, gespeichert, als Teil eines privaten Wärmenetzes oder eines „Smart Grids“ an Nachbarn weiterverteilt werden.“

Sprich: Das gesamte Gebäude wurde so entwickelt, dass es energieautark ist. Die gesamte Wärme, die Tropicalia erzeugt, wird recycelt und gespeichert. Die überschüssige Energie exportiert man über ein ausgeklügeltes Wärmenetz in angrenzende Gebäude und zu umliegende Unternehmen.

Tropicalia

Damit sind freilich vor allem die touristischen Nebengeräusche gemeint. Denn neben der tropischen Umgebung wird Tropicalia um ein Auditorium, eine Bar, ein Restaurant, ein Bed & Breakfast und einen wissenschaftlichen Bereich erweitert. Dieser soll der nationalen und internationalen Zusammenarbeit gewidmet sein und einen Konferenzraum, ein Labor und eine Klinik beherbergen.

Zur Not: In Wien nachfragen

Und wenn das alles steht, soll die Sache international vermarktet werden. 500.000 Besucher pro Jahr will man durch diese künstliche Naturwelt lotsen. Kurz zum Vergleich: Die Dimension des Wiener Palmenhauses entspricht einem Viertel von Tropicalia. Dennoch lockt es jährlich 220.000 Interessierte an. Wenn die Franzosen also dann einmal Hilfe brauchen – einfach beim Großvater der Gewächshäuser nachfragen, wie’s geht.

Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Wikipedia; Coldefy & Associés

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