Duftes Design im Holzbau
Bei der AEAJ Green Terrace, entworfen vom renommierten Architekturstudio Kengo Kuma & Associates, trifft Duft auf Design. Der neue Hauptsitz der Aroma Environment Association of Japan erfreut nicht nur das Auge, sondern auch die Nase.
Kengo Kuma ist einer der Großmeister im Umgang mit Holz. Der japanische Stararchitekt nutzt das Baumaterial, um Leichtigkeit, Atmosphäre und Naturverbundenheit auszudrücken. Seine Bauten sind häufig filigran, durchlässig und feinsinnig in die Umgebung eingebettet – wie gewebt aus Licht und Schatten. Obwohl Kuma traditionelle Techniken aufgreift, kombiniert er sie mit modernster digitaler Planung und innovativer Konstruktion. Kuma ist ein Architekt des Stillen, Subtilen und Sinnlichen.
Duft trifft Design
Auch bei der AEAJ Green Terrace, einem Zentrum für Aromatherapie, trifft Sinnlichkeit auf Design – nicht nur in Bezug auf die Optik sondern auch in Form von olfaktorischer Wahrnehmung.
Das Bauwerk erhebt sich mitten im vibrierenden Shibuya-Viertel Tokios, im Südwesten des Zentrums. Es ist gleichermaßen architektonisches Statement, sinnlicher Erfahrungsraum und stille Oase.
Und das von Kengo Kuma & Associates entworfene Gebäude erfüllt auch eine offizielle Funktion: Es ist der neue Hauptsitz der Aroma Environment Association of Japan (AEAJ).
Das dreigeschossige Objekt ist dabei weit mehr als nur ein funktionaler Bau. Es ist eine fein abgestimmte, multisensorische Komposition, die die Verbindung von Natur, Architektur und Aromatherapie verkörpert. Die Aromatherapie basiert als alternative Heilmethode auf der Nutzung von ätherischen Ölen zur Förderung des körperlichen und emotionalen Wohlbefindens.
Eine baumartige Komposition
Die Konstruktion erinnert in ihrer Grundform an einen Baum, dessen Krone sich aus tausenden kleinen Holzbalken entfaltet. Diese 105 Mal 105 Millimeter großen Stücke aus japanischer Zypresse bilden ein dreidimensionales Gitterwerk. Dieses ist zugleich Struktur, Ornament und: Duftquelle.
Da die Holzstücke wie Partikel zusammengefügt sind, entsteht eine organische, fast schwebende Struktur. Dieses filigrane Kunsthandwerk macht das Gebäude zu einem Gegenentwurf zu monumentalen Betonbauten wie der ikonischen Kokuritsu Yoyogi Kyōgijō Yoyogi (deutsch: Nationale Sporthalle Yoyogi), die sich direkt gegenüber auf der anderen Seite der Bahngleise befindet. Die von Kenzō Tange entworfene Mehrzweckhalle ist berühmt für ihre Hängedachkonstruktion. Im ersten Stock befinden sich die Yoyogi-Turnhallen, die ein nach innen gewölbtes, konkaves Dach haben.
Begehbarer „Diffuser“
Doch zurück zur AEAJ Green Terrace: Das Gebäude selbst wird zum „Diffuser“, wie diese Geräte, die dazu dienen, ätherische Öle in feiner Form in die Luft abzugeben. Denn der Korpus ist von einer gläsernen Hülle umgeben. Und damit halten sich die Duftmoleküle des Holzes in den Räumlichkeiten.
Durch natürliche Belüftungssysteme wird das ätherische Öl der Zypresse kontinuierlich im Raum verteilt – Architektur zum Atmen sozusagen.
Stahl und Holz – eine stille Allianz
Das Tragwerk besteht aus Stahl. Das bemerkt der Gast, die Besucherin jedoch erst bei genauerem Hinsehen. Denn die Dimensionen der Stahlelemente entsprechen fast genau jenen der Holzelemente. Das Ziel: eine optische und haptische Verschmelzung beider Materialien.
Diese subtile Annäherung lässt das „Rückgrat“ des Gebäudes nahezu verschwinden. Diese raffinierte Tarnung des Technischen ist typisch für Kengo Kuma, der immer wieder die Grenzen zwischen Natur und Konstruktion auflöst. Das Zusammenspiel aus filigraner Gitterstruktur und massivem Tragwerk erzeugt ein ausgewogenes Spannungsfeld aus Leichtigkeit und Sicherheit. Ein weiteres Beispiele dafür ist der Botanical Pavilion, ein Holzpavillon, der gänzlich ohne Schrauben auskommt.
Lichtspiele und kulturelle Anklänge
Das Holzgitter erzeugt faszinierende Licht-Schatten-Effekte, die an ein Phänomen erinnern, für die das Deutsche kein Wort kennt, das Japanische aber sehr wohl: „Komorebi“. Das bedeutet „Sonnenlicht, das durch die Blätter der Bäume, durch ein Blätterdach gefiltert wird“. Das Gebäude selbst wird somit zu einem „städtischen Wald“, einem Ort, an dem man Licht, Holz und Duft wie in freier Natur erleben kann.
Diese gezielte Lichtregie macht das Innere des Zentrums zum meditativen Erfahrungsraum. Die Struktur selbst zitiert traditionelle japanische Zimmermannstechniken, bei denen Holz ohne Nägel oder Schrauben verbunden wird. Kuma überführt dieses Prinzip in eine zeitgenössische Ästhetik und schafft eine Hommage an diese Bauweise.
Offene Räume – verbunden mit der Stadt
Trotz der dichten Struktur öffnet sich das Gebäude großzügig zur Umgebung. Die großflächigen Fenster und eine markant gestaltete Dachterrasse bieten Ausblicke auf den benachbarten Jingumae-Wald. Das Gebäude ist so visuell mit der umgebenden Natur verbunden.
Die Terrasse selbst erinnert in ihrer Form an ein balancierendes Spielzeug – eine spielerische Geste im ansonsten ruhigen Ausdruck des Gebäudes, eine poetische Anspielung auf das Gleichgewicht zwischen Natur, Mensch und Architektur.
Architektur zum Riechen
Ein zentrales Anliegen des Projekts – ganz nach den Wünschen des Auftraggebers – ist die Integration von Duft als architektonisches Medium. Neben der Zypresse wurden auch andere Holzarten, etwa Zeder, verwendet. Auch sie sondern ätherische Öle ab, die den Raum durchdringen.
Das Gebäude bietet darüber hinaus spezielle Räume wie eine Aromabibliothek, ein Aromalabor und eine Aromalounge. Sie dienen der Sinnesbildung, Entspannung und dem interaktiven Erleben der Welt der ätherischen Öle. Hier wird Aromatherapie also nicht nur praktiziert, sondern auch erforscht und vermittelt. Architektur wird so zum sinnlichen aber auch wissenschaftlichen Erfahrungsfeld.
Nachhaltig gedacht, poetisch gestaltet
Auch ökologisch setzt das Gebäude Maßstäbe. Das verwendete Holz stammt aus nachhaltig bewirtschafteten heimischen Wäldern, und die Holzbauweise reduziert den CO₂-Fußabdruck erheblich. Im Außenraum wurden recycelte Tondachziegel als Pflastersteine genutzt und leere Fläschchen ätherischer Öle in kunstvolle Lichtobjekte verwandelt.
Die Verwendung natürlicher Materialien geht aber weit über die Verwendung von Holz hinaus: Steinböden und beruhigende Erdtöne tragen ebenfalls zu der ruhigen Atmosphäre bei.
Botanisch-olfaktorischen Entdeckungsreise
Ein besonderes Highlight ist der Aromakorridor, ein begehbarer Bereich mit über 40 verschiedenen aromatischen Pflanzenarten. Sie dienen nicht nur als Quelle ätherischer Öle, sondern bilden ein Lern- und Erfahrungsfeld zur Bedeutung pflanzlicher Biodiversität.
Dieser botanische Parcours führt den Besucher durch eine Welt der Gerüche – von beruhigend bis belebend – und lädt zur achtsamen Sinneswahrnehmung ein.
Eine Architektur der Verbundenheit
Alles in allem ist die AEAJ Green Terrace ein Manifest für eine Architektur der Sinne, die Natur, Kultur und Gesundheit auf harmonische Weise miteinander verbindet. Sie zeigt, wie Materialwahl, Konstruktion, Lichtführung und duftbasierte Raumgestaltung ein Gebäude zu einem lebendigen, atmenden Organismus machen.
Kengo Kuma gelingt es mit diesem Projekt, die Grenzen zwischen traditioneller Handwerkskunst und zeitgenössischer Architektur zu verwischen. Die AEAJ Green Terrace ist ein Gebäude, das nicht nur Raum bietet, sondern „dufte Stimmung“ erzeugt. Es erfreut nicht nur die Augen, sondern spricht den ganzen Menschen an. Damit steht das Projekt exemplarisch für eine neue, poetische Form von Architektur, die sich dem Wohlbefinden des Menschen und dem Respekt gegenüber der Natur verschreibt.
Prämiertes Projekt
Das Projekt wurde kürzlich mit dem Großen Preis des Wood City TOKYO Model Architecture Award ausgezeichnet, der von der Stadtregierung von Tokio gesponsert wird. Die Jury hob „die überwältigende Verwendung von Holz in der Konstruktion hervor, das die Schwingungen der Stahlkonstruktion wirksam dämpft und ästhetisch hervorsticht, insbesondere in der Nachtansicht“.
Die AEAJ ist eine gemeinnützige Organisation. Sie verkauft keine ätherischen Öle, aber in den Einkaufsstraßen von Harajuku, dem Stadtteil rund um den Bahnhof, die nur einen kurzen Spaziergang entfernt sind, findet man zahlreiche Läden, wo man ätherische Öle erstehen kann.
Jedoch steht die AEAJ Green Terrace Besuchern offen. Die Adresse lautet: 6-34-24 Jingumae, Shibuya City, Tokyo. Und es empfiehlt sich, zu reservieren.
Text: Linda Benkö
Fotos: Fotos: Masaki Hamada / kkpo