Nicht für die Ewigkeit
Das rückbaubare und multifunktionale Gebäude Darwin Bucky – eine Kooperation des Designstudios andblack mit dem indischen Startup Darwin Live Light – ist zukunftsweisend. Zumindest für Länder in warmen Klimazonen.
Im indischen Ahmedabad hat das Designstudio andblack das Projekt „Darwin Bucky“ vorgestellt. Es reiht sich ein in die innovative, architektonische Praxis nicht-dauerhafter, rückbaubarer Gebäude. Statt Gebäude für die Ewigkeit zu errichten, propagiert auch das Team um Architekt Jwalant Mahadevwala vom studio andblack eine Architektur, die flexibel und anpassungsfähig ist – entworfen für eine Welt im Wandel. Wobei Darwin Bucky ein besonderes „Gebäude“ ist.
Es ist nämlich vielmehr ein „architektonisches Produkt“, gedacht für temporäre Nutzung. Was besonders schön ist: Es vereint lokale, indische Handwerkskunst sowie hochmoderne Fertigung mit der Anmutung eines skulpturalen Objekts.
Architektur ohne bleibenden Fußabdruck
„Wir sind nur vorübergehende Besucher auf diesem Planeten“, sagt Architekt Mahadevwala. Diese Haltung bildet die konzeptionelle Grundlage des Projekts. In einer Zeit, in der Ressourcenknappheit, Klimakrise und urbane Verdichtung die Baubranche herausfordern, stellt Darwin Bucky eine zukunftsweisende Alternative zum klassischen Bauwesen dar.
Der Pavillon – ein freistehender, schwarzer, konischer Baukörper – kommt ohne Fundament, Kräne oder aufwendige Infrastruktur aus. Er ist vollständig vorgefertigt, wird trocken montiert und lässt sich ebenso leicht wieder abbauen und an anderer Stelle aufbauen.
Modulares System für maximale Flexibilität
Die Bauteile – darunter nur ein Millimeter dünne, gefaltete und isolierte Metallpaneele – lassen sich flach verpacken und leicht transportieren. Sodann lassen sie sich vor Ort zu einer Schalenstruktur mit einem Volumen von 520 Kubikmetern und einer Grundfläche von 116 Quadratmetern zusammensetzen. Diese Leichtbauweise erlaubt eine Errichtung auch an schwer zugänglichen Orten mit wenig Infrastruktur.
Die einzelnen Paneele ergeben eine geometrisch raffinierte Hülle mit integrierten „Rippen“. Diese tragen nicht nur statisch, sondern nehmen auch Funktionen wie Elektrifizierung und Beleuchtung auf. Weitere zum Einsatz gelangende Materialien neben Aluminium und Stahl sind Holz und Glas.
Durch die konische Form und die dreieckigen Fassadenelemente wird einerseits Material gespart. Denn der Materialeinsatz ist etwa halb so hoch wie bei herkömmlichen Strukturen. Andererseits optimiert genau diese Struktur die Raumakustik. Die natürliche Belüftung ist durch Öffnungen in der unteren Hälfte des Baukörpers sichergestellt. Zusätzlich sorgt ein einzigartiges Fensterpaneel um die Mittelachse für weitere Frischluftzufuhr.
Architektur als kulturelle Plattform
Was auf den ersten Blick wie ein futuristisches Flugobjekt erscheint, ist in Wahrheit tief in lokaler indischer Kultur und Handwerkskunst verwurzelt. So wurde die Außenhülle eines Prototyps von Künstlern des indigenen Volkes der Gond bemalt. Dabei handelt es sich um eine Stammeskunstform, die mythologische Motive mit sozialem Kommentar verbindet. Damit wird Darwin Bucky gleichzeitig zur Leinwand für kulturelle Ausdrucksformen und/oder gesellschaftlichen Diskurs.
Als multifunktionaler Raum konzipiert, kann Darwin Bucky als Ausstellungsgalerie, Blackbox-Theater, Konzerthalle, Marktstand oder sogar als Bar oder Club fungieren. Die Konstruktion unterstützt diese Vielseitigkeit mit integrierter Beleuchtung, audiovisueller Technik, Klimatisierung und Ausstellungsinfrastruktur. Im Umfeld von Ahmedabad, das ist die fünftgrößte Stadt Indiens, wurde ein 12-Meter-Prototyp bereits erfolgreich für kulturelle Veranstaltungen eingesetzt. Bis zu 100 Personen passen hinein.
Designintelligenz trifft auf Kreislaufwirtschaft
Hinter dem Projekt steht das indische Startup Darwin Live Light, das sich auf architektonische Lösungen für die Kreislaufwirtschaft spezialisiert hat. In enger Zusammenarbeit mit andblack design studio entstanden bislang drei modulare Bausysteme, die vollständig demontierbar und wiederverwendbar sind. Neben dem „Bucky“ sind dies „Nomad“, eine kokkonähnliche Wohnstruktur und das etwas größere „Dwello“ (von „dwelling“, i.e. Wohnhaus), das sich auch zu Büros umfunktionieren lässt.
Die Zusammenarbeit ist exemplarisch für die Philosophie von andblack: ein interdisziplinäres Designverständnis, das parametrisches Modellieren mit physischen Prototypen verbindet. Dabei versteht sich das Studio nicht als Schöpfer endgültiger Formen, sondern als Entwickler robuster Designprozesse.
Zwischen Architektur und Produktdesign
Die architektonische Form ist das Resultat eines Ansatzes, bei dem Struktur, Funktion, Fertigung und Nutzung gleichermaßen berücksichtigt werden. Das Design ist nicht nur formal stark, sondern auch technisch intelligent: Die Rippenstruktur übernimmt Lastverteilung und Abdichtung, während gleichzeitig die Technik darin Platz findet.
Mit Darwin Bucky wird die Grenze zwischen Architektur und Produktdesign bewusst aufgehoben. Es ist ein Gebäude, das wie ein industrielles Produkt behandelt werden kann: reproduzierbar, transportierbar, skalierbar. Die Blackbox ist in zwei Größen – zwölf oder 18 Meter Durchmesser – erhältlich, wobei auch Kombinationen mehrerer Einheiten möglich sind.
Auch als Notunterkunft einsetzbar
Diese Skalierbarkeit erlaubt es Investoren und Institutionen, flexibel auf wechselnde Nutzungsbedarfe oder Standortvorgaben zu reagieren. So eröffnet Darwin Bucky neue Wege für temporäre Kulturformate, Pop-Up-Architektur oder Notunterkünfte, die bislang mit hohem logistischem Aufwand verbunden waren.
Weiteres Prinzip von Darwin Live Light: Man will bewusst lokale Handwerker in den Fertigungsprozess einbinden und schulen. So erweitern sie ihr Wissen und ihre Fähigkeiten – ein wichtiges soziales Nebenprodukt des Projekts.
Ausgezeichnetes Design mit Zukunft
Die Innovationskraft des Projekts blieb nicht unbeachtet: Darwin Bucky hat bereits einige Auszeichnungen eingeheimst, darunter den Silbernen Design Intelligence Award sowie den Bronzepreis der Design Educates Awards 2023. Diese Anerkennung unterstreicht die Relevanz eines architektonischen Ansatzes, der Gestaltung, Technologie, Nachhaltigkeit und kulturelle Identität miteinander verbindet.
Wie gesagt ist Darwin Bucky ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Architektur auf die drängenden Fragen unserer Zeit – zumindest in wärmeren Gefilden – reagieren kann: Mit technischer Raffinesse, kultureller Tiefe und einem offenen, zukunftsgerichteten Verständnis von Raum.
Das Projekt hebt sich nicht nur durch seine Formensprache ab, sondern vor allem durch seinen Beitrag zu einer verantwortungsbewussten, mobilen und inklusiven Baukultur. Es zeigt, dass temporäre Architektur kein Kompromiss, sondern ein Gewinn sein kann – für Städte, Gemeinschaften und letztlich auch für unseren Planeten.
Text: Linda Benkö
Fotos: Vinay Panjwani