Neuer Rhythmus im Funkhaus
Lange Zeit war das Funkhaus Wien jenen vorbehalten, die mit dem ORF zu tun hatten. Nun entsteht nach einem Konzept von BWM Designers & Architects ein öffentlicher Hotspot, in dem Wohnen, Arbeiten, Gastronomie und Kultur übereinander gedacht werden.
In den Neunzigern war ich selbst einmal als Musiker bei FM4 zu Gast“, erinnert sich Markus Kaplan, Partner bei BWM Designers & Architects, an seinen ersten Besuch in jenem kultur- und geschichtsträchtigen Gebäude, in dem bis 2022 noch die öffentlich-rechtlichen Sender Ö1, FM4 und Radio Wien beheimatet waren: dem Funkhaus in der Argentinierstraße im vierten Wiener Gemeindebezirk. „Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich einmal die Chance bekomme, das Funkhaus umzubauen, hätte ich das kaum für möglich gehalten“, so Kaplan.
Hintergrund dieser Chance: Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude, in der Zwischenkriegszeit von Hermann Aichinger und Heinrich Schmid in Zusammenarbeit mit Clemens Holzmeister errichtet, wurde 2015 im Zuge von Einsparungsmaßnahmen vom ORF zum Verkauf ausgeschrieben. Die Radiosender zogen aus; den Zuschlag für das unter Denkmalschutz stehende Funkhaus erhielt die Rhomberg Bau Gruppe. Bereits 2023 wurden auf einem Teil der Liegenschaft 22 Eigentumswohnungen gebaut. Nun werden weitere Pläne umgesetzt.
Was passiert im neuen Funkhaus?
Rhomberg beauftragte BWM, ein europaweit tätiges Wiener Architekturbüro, mit der Neugestaltung des Funkhauses. Geplant ist ein vielfältiger Nutzungsmix: Gastronomie, Studios, Wohnungen sowie ein Hotel, für das derzeit noch ein Betreiber gesucht wird. Das Gebäude wird äußerlich kaum verändert; hinter der Fassade entsteht allerdings ein völlig neues Konzept.
Die denkmalgeschützte Lobby bleibt, abgesehen von Möblierung und Lichtkonzept, weitgehend unverändert. Dahinter öffnet sich der Hoftrakt, der sich bis in den Garten des benachbarten Gymnasiums Theresianum zieht. Hier entsteht eine große Gastronomiefläche, die für viel Leben im Gebäude sorgen soll. „Dieser lange Flügel wird komplett geöffnet und auf seine Grundstruktur zurückgebaut“, erläutert Kaplan. Das sei mit dem Denkmalamt abgesprochen – auch das ursprüngliche Gebäudekonzept der Architekten Schmid/Aichinger sah eine Stahlbetonskelettstruktur vor, damit das Haus grundsätzlich wandelbar bleibt. „Dieser Wandel wird jetzt vollzogen“, so Kaplan.
Geschichte in Schichten
Wie nähert man sich einem solchen Projekt? „Wir haben uns intensiv mit der Entstehungsgeschichte beschäftigt“, so Kaplan. „In den ursprünglichen Wettbewerbsunterlagen gab es auch Einreichungen mit modernen, gläsernen, offenen Konzepten. Jedoch war in den 1930ern nicht unbedingt die richtige Zeit für eine große, demokratische Öffnung. Der Anspruch an das Funkhaus war, dass der Rundfunk krisensicher gewährleistet sein musste – nicht nur technisch, sondern auch physisch“, erklärt Kaplan, weshalb das Gebäude optisch hermetisch, fast faschistoid anmutet. „Auch der Sockel ist wehrhaft konstruiert: mit Steinfassungen, Ornamenten, nahezu burgartig robust. Wir wollten das Haus trotzdem öffnen. Nur: Wie macht man ein Gebäude zugänglicher, das von seiner Haltung her genau das Gegenteil erzählt?“
Ein gestapeltes Grätzel
So entstand die Idee des „gestapelten Grätzels“. „Wir wollen die Öffnung über die neue Nutzung des Gebäudes erreichen“, erzählt Kaplan. Die Vision war von Beginn an, öffentlich wirksame Funktionen wie Gastronomie und Kulturangebote ins Foyer zu bringen und von dort aus eine Verbindung ins restliche Gebäude zu schaffen. Für die geplanten Wohnungen gibt es eigene Zugänge, aber: „Die Funkhauslobby soll die zentrale Schnittstelle sein, an der sich alle Wege kreuzen.“
Ich finde es schön, wenn aus Alt und Neu ein stimmiges Ganzes entsteht – so, als wäre es immer schon so gewesen.
Markus Kaplan, Partner bei BWM Designers & Architects
Entsprechend konzipiert sind die Wohnungen, die im Appendix entstehen. „Im Sockelgeschoss gibt es spezielle Studiowohnungen für Musiker:innen oder Kreative, die mehr Platz benötigen“, erklärt Kaplan. Die Idee dahinter: Man soll auch ein Tonstudio oder große Instrumente unterbringen können. Bei der Besiedlung sollte also auch ganz bewusst darauf geachtet werden: Wer passt zu diesem Haus? „Unser Wunsch ist, dass dort Menschen leben, arbeiten, essen, Musik machen, die sich mit diesem Ort identifizieren.“
Holz, Beton und Haltung
Dass diese Frage auch auf gestalterischer Ebene konsequent weitergedacht wird, zeigt sich im Umgang mit Materialien und Strukturen. Insgesamt entstehen 57 Eigentumswohnungen – die meisten davon in einem neuen Baukörper, der als Terrassenhaus konzipiert ist, um großzügige Freiflächen zu schaffen. Der geplante Neubau im Hof entsteht in Holz-Hybrid-Bauweise nach dem CREE-System, für das die Rhomberg-Gruppe bekannt ist.
Dabei trifft ein mineralisches Erdgeschoss auf Holzstützen, Leimbinder und Decken aus Holz-Beton-Verbund. „Das Holz bringt Leichtigkeit und eine gewisse Wohnlichkeit, der Beton Masse und Schallschutz. Beides braucht es, speziell mitten in der Stadt“, erklärt Kaplan.
Dem Team war es ein besonderes Anliegen, dass das Material auch sichtbar bleibt: „Es macht keinen Sinn, einen Holzbau zu errichten, der am Ende nicht wie einer aussieht“, meint Kaplan. Deshalb wurden auch die brandschutzbedingt aus Beton gefertigten Balkonvorbauten mit Holz verkleidet. „Man soll das Material spüren – auch in der Optik.“
Die Schnittstelle im Hofbereich, am Übergang vom denkmalgeschützten Trakt von Schmid-Aichinger zu dem neuen Teil, ist eines von Kaplans Lieblingsdetails am Projekt. Im neuen Teil ist eine regalartige Balkonstruktur geplant, im alten Teil sind Balkone so integriert, dass sie kaum sichtbar sind. „Sie sehen aus, als wären sie immer schon dagewesen, weil sie sich in die bestehende Stahlstruktur einfügen.“
Spuren statt Glätte
Der gestalterische Ansatz folgt keinem minimalistischen Reinheitsgebot, sondern einer Philosophie des Sichtbaren. „Ich mag es, wenn man Schichtungen erkennt und wenn aus Alt und Neu ein stimmiges Ganzes entsteht”, findet Kaplan. Diese Heterogenität ist gewollt und soll dem Haus einen lebendigen Charakter verleihen. Gerade im Innenbereich geht es laut Kaplan darum, das Funkhaus nicht zu „clean“ wirken zu lassen. „Aktuell fühlt es sich stellenweise noch wie ein klassisches Bürogebäude an. Wir wollen dieser Strenge etwas entgegensetzen – mit subtilen, aber spürbaren Interventionen.“
Mehr Platz für Stadt
Ein wesentliches Element des Umbaus ist der neue Vorplatz zur Argentinierstraße. Wo bisher Parkplätze dominierten, entsteht nun ein begrünter Stadtplatz mit Sitzgelegenheiten und Schanigärten – ein weiterer Hebel, um das Gebäude für die Öffentlichkeit niederschwelliger zugänglich zu machen. Die Entscheidung, auf Parkplätze zu verzichten, sei dabei nicht nur städtebaulich sinnvoll, sondern auch ein Statement des Bauherrn: weniger Autos, mehr Stadt.
Das Grün zieht sich durch das gesamte Areal. Die bestehende Baumsubstanz bleibt weitgehend erhalten, neue Pflanzungen ergänzen das Bild. „Im Wohnbauteil war es uns wichtig, echte Dachgärten zu schaffen. Man soll auch im dritten, vierten oder fünften Stock das Gefühl haben, den eigenen Garten quasi vor der Wohnzimmertür zu haben.“
Ein Ort in Bewegung
Bis alle geplanten Umbauten realisiert sind, wird das Funkhaus bereits temporär als Veranstaltungsort, Spielstätte und Ausstellungsraum genutzt.
Langfristig soll es ein Ort bleiben, der nie ganz fertig ist, sondern ein flexibles System mit kulturellem Kern. Kaplan: „Ich bin der Meinung, dass das Funkhaus einen Beitrag leistet, wie man mit Bausubstanz nachhaltig umgeht – nicht nur energetisch, sondern auch kulturell.“
Text: Nina Hierzenberger
Bilder: BWM Designers & Architects, Telegram71