Holzkunst zum Abheben
Das Team der Bjarke Ingels Group hat für Bhutans Mindfulness City einen Flughafen konzipiert, der einem Kunstwerk gleicht: Innovativ aus Holz gebaut und von lokalem Kunsthandwerk veredelt, wird der Gelephu International Airport einzigartige Reise-Erlebnisse bieten.
Was entsteht, wenn ein Meister alter Schnitz-Kunst und ein KI-gesteuerter Roboter einen sechs Meter langen Balken gestalten? Besucher der 19. Architekturbiennale in Venedig 2025 konnten das Ergebnis bereits bestaunen: Zur Hälfte von einem bhutanischen Künstler und zur anderen von einer Maschine geformt, verrät das Holzstück, was Bhutans neuen Gelephu International Airport prägen wird. Denn das dänische Top-Büro Bjarke Ingels Group (BIG) setzt bei dessen Design auf eine faszinierende Verbindung von Tradition und Innovation. Und demonstriert, wie Technologie zu Erhaltung und Weiterentwicklung lokalen Handwerks beitragen kann.
Nachhaltig für die Zukunftsstadt
Das in Venedig unter dem Titel „Ancient Future“ präsentierte Schaustück kann man vor Ort noch bis September sehen. Aufs Gesamtwerk, also den neuen Flughafen, der für Bhutans Mindfulness City gebaut wird, wird man noch etwas warten müssen: Die Fertigstellung dieses Teils des von BIG, Arup und Cistri entworfenen Masterplans für die Zukunftsstadt des kleinen Königreichs steht erst für 2029 auf dem Plan. Man kann allerdings davon ausgehen, dass der Gelephu International Airport tatsächlich einzigartige Reise-Erlebnisse schaffen und zum Musterbeispiel nachhaltiger Bauweise geraten wird.
Der neue Flughafen liegt strategisch günstig in der Nähe der Grenze zwischen Bhutan und Indien. Umgeben von Bhutans üppigen subtropischen Wäldern, Bergen und Flüssen, umfasst er eine Fläche von 68.000 Quadratmetern.
Holz-Module erleichtern Expansion
Das in Kooperation mit dem Luftfahrttechnikunternehmen NACO konzipierte Projekt mit einer Kapazität von 123 Flügen pro Tag soll bis 2040 jährlich 1,3 Millionen Passagiere abfertigen. Und es ist auf künftige Erweiterungen angelegt: Bis 2065 sollen 5,5 Millionen Passagiere diesen zweiten internationalen Flughafen Bhutans frequentieren.
Ein großes Unterfangen also, dessen Fokus dennoch – ganz im Sinn der Ziele der Mindfulness City – auf Nachhaltigkeit und achtsamem Reisen liegt. Dieser Vorgabe dient vor allem auch die modulare Diagrid-Struktur des spannenden Bauwerks: Sie wird aus lokal und nachhaltig beschafftem Holz gefertigt und von lokalen Künstlern mit traditionellen bhutanischen Holzschnitzereien und Malereien verziert.
Vorbild: Altes Kunsthandwerk
Inspiration für die bemalte Fassade holten sich die Gestalter bei speziellen, mit aufwändigen Drachen-Designs versehenen und Kachen genannten Holzsäulen, die sich traditionell in Klöstern und Tempeln finden. Prächtig und vor Ort hoch geehrt, verkörpern sie das baukulturelle Erbe und die spirituelle Symbolik Bhutans.
Weil die Holzrahmen des Gelephu Airport dem prognostizierten Wachstum gerecht werden müssen, sind sie strukturell unabhängig konzipiert. Dies ermöglicht sowohl einfache Demontage als auch problemlose Erweiterung. Und weil Bhutan großen Wert auf seinen Status als CO2-negatives Land legt, wird das Dach des Neubaus mit PV-Modulen ausgestattet.
Klima-fit aus Holz gebaut
Die Holzkonstruktion, die das BIG-Architektenteam entworfen hat, wurde zudem bewusst auf das subtropische Klima der Region Süd-Bhutan zugeschnitten: Klimaresistent wie die traditionelle Architektur des Landes, absorbiert sie Feuchtigkeit aus der Luft und hilft so, das Klima im Innenbereich zu regulieren. Für natürliche Luftzirkulation sorgen belüftete Dächer und Innenhöfe.
Das Design setzt einen neuen Standard für achtsame, anpassungsfähige Architektur, die mit der Zukunft des Landes wächst und gleichzeitig in seiner Vergangenheit verwurzelt ist.
Frederik Lyng, BIG-Partner
Im Außenbereich spenden verlängerte Dachvorsprünge Schatten, aber auch Schutz vor starken Regenfällen. Zudem ist der Gelephu Airport als Bhutans erster Mobilitätsknotenpunkt im Landesinneren gedacht und soll die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel fördern. Zum Beispiel mit barrierefreien, schienenlosen Straßenbahnen und Bussen, die das wiederbelebte Stadtzentrum von Gelephu mit dem Rest des Landes verbinden.
Warten, aber angenehm
Der Ankunftsbereich fügt sich harmonisch in die umgebende Naturlandschaft ein und ist in vier Zonen unterteilt. Diese werden jeweils bestimmten Pflanzen aus den umliegenden Wäldern gewidmet. Und die Aufenthaltszone, die als zentraler Begegnungsraum dient, wird gezielt für angenehme Wartezeiten gestaltet: Mit Bodenbelag aus lokalem Naturstein, integrierten Sitzbereichen, üppigem Grün und einem Baldachin, der Schutz vor den Elementen bietet.
Auch Bhutans wichtige Biodiversitätskorridore haben die Architekten achtsam in die Pläne für den Gelephu International Airport einbezogen. Der passend als „Forest Spine“ (Waldrückgrat) bezeichnete Innenhof teilt den Terminal in zwei Bereiche: Inlandsflüge werden auf der Westseite, internationale auf der Ostseite abgefertigt. Das „Waldrückgrat“ ist von überall im Flughafen aus sichtbar. Mit seinen ruhigen Grünflächen, einem Baumkronenpfad und einheimischer Fauna vermittelt es Reisenden auch innerhalb des Gebäudes Naturnähe.
Faszinierende Hommage
Für außergewöhnliche Augenfreude sorgen vor allem auch die erwähnten landestypischen Schnitzereien, die sich bis ins Innere der Gebäudeteile erstrecken. Jeder Aspekt des Gelephu International Airport ist eine Hommage an Bhutans Kultur. In jedem Winkel des Projekts präsent, soll regionale Handwerkskunst wie etwa Shing-Zo (Tischlerei), Par-Zo (Schnitzerei), Lha-Zo (Malerei) und Tshar-Zo (traditionelle Webtechniken) interessierte Blicke auf sich ziehen.
Der neue Flughafen soll jedoch auch ganz andere, auf Flugreisen recht seltene Freude garantieren. Weil seine Planer sich bemühen, auf Achtsamkeit zu setzen, die den sonst üblichen Stress übertrumpft. Natürliches Licht, ein großzügiger dreistöckiger Eingangsbereich, raumhohe Fenster und Oberlichter helfen, den Weg dazu zu ebnen.
Entspannter reisen am Gelephu Airport
Auch Innen- und Außenlounges mit ruhigen Räumen für Yoga, Klang- und andere Meditationstechniken sind vorgesehen. Dort werden Reisende entspannen und neue Energie tanken können. Alles rundum passend zu Werten wie Glück und Wohlbefinden, für deren Achtung Bhutan gerühmt wird.
Neben bestmöglichem Erlebnis für die Passagiere zielt der Gelephu International Airport allerdings auch auf betriebliche Effizienz. Intuitive Wegführung durch klare visuelle Hinweise und durchdachte Verkehrswege sorgt für reibungslosen Ablauf von der Ankunft bis zum Boarding. Die Gates befinden sich auf der oberen Ebene neben Einzelhandels- und Gastronomiebereichen. Und sie bieten weiten Ausblick auf das Vorfeld und die beeindruckende Himalaya-Landschaft.
Großer Schritt fürs kleine Königreich
Bhutans König Jigme Khesar Namgyel Wangchuck erklärt die Idee hinter dem Großprojekt wie folgt: „Unsere Priorität für die nächsten fünf Jahre ist der Bau eines großen internationalen Flughafens in Gelephu. Er wird die Gelephu Mindfulness City als wichtigen Luftverkehrsknotenpunkt etablieren. Dieser Flughafen ist entscheidend für den Erfolg der Mindfulness City als Wirtschaftszentrum. Und er stellt eine wichtige Lebensader für die nationale Sicherheit Bhutans dar, insbesondere für ein Binnenland.“
Dass der gesamte Masterplan für die umwelt- und menschenfreundliche Zukunftsstadt international auf großes Interesse stößt, liegt auf der Hand. Der aus Holz gebaute, die Kultur des kleinen Königreiches ehrende Gelephu International Airport schafft ein würdiges Tor zu dieser Mindfulness City. Und zu ganz Bhutan – dem kleinen Land, das die Welt seit Langem mit seiner legendären Philosophie des Bruttonationalglücks und seinem beispielhaften Fokus auf Nachhaltigkeit fasziniert.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: BIG / White Ceiling