Gulou Waterfront Resort, Südchina, Holzbogenbrücke, LUO Studio; Abendstimmung
#architektur

Diese Brücke hat den Bogen raus

Das Gulou Waterfront Resort ist ein gallisches Dorf in der urbanisierten südchinesischen Greater Bay Area. Für die zauberhafte Wasserlandschaft hat LUO Studio jetzt eine moderne Version der traditionellen Holzbogenbrücken geschaffen.

Die südchinesische Guangdong-Hong Kong-Macao Greater Bay Area gehört zu den am schnellsten urbanisierten Regionen des Reichs der Mitte. Die Megalopolis, die aus neun Städten und zwei Sonderverwaltungsregionen besteht, soll bis 2035 als integrierter Wirtschaftsraum weltweit eine führende Rolle einnehmen. Dem Fortschritt müssen alte Fischerdörfer weichen. Und doch: Zwischen den in die Höhe wachsenden Skylines findet sich auch ein erstaunlich leiser Gegenentwurf. Das Gulou Waterfront Resort in Jiangmen – ein innovatives Integrationsprojekt, das die Verstädterung mit ländlicher Idylle verbindet.

Fischerboot, Holzbrücke, Guangdong-Hong Kong-Macao Greater Bay Area
Das Gulou Waterfront Resort will die ursprüngliche Wasserlandschaft im Lingnan-Gebiet erhalten – samt Holzbogenbrücken.

Mit einer Gesamtinvestition von rund 600 Millionen Euro will Overseas Chinese Town (OCT) das Gulou Waterfront Resort als eine der wenigen erhaltenen ursprünglichen Wasserlandschaften im Lingnan-Gebiet erhalten und ihr neues Leben einhauchen. Freilich nicht ganz ohne Hintergedanken: Das Vorzeigeprojekt für ökologischen Kultur-Tourismus soll jährlich drei bis fünf Millionen Gäste anlocken. Auf die Füße treten werden sich die Touristen auch in der Hauptreisesaison nicht. Das Gesamtprojekt umfasst schließlich zehn Quadratkilometer. Dazu gehören drei thematische Parks sowie Zonen zur Wiederbelebung der 700 Jahre alten Agrar- und Wing-Chun-Kultur.

Poetische Verbindung

Zu eben jener „Leben am und auf dem Wasser“-Kultur gehören nicht nur Fischteiche und Flussnetze, die die Besucher via Bootstour erkunden können. OCT verfolgt – anders als andere Tourismusentwicklungen – auch einen offenen Ansatz: Die verbliebenen Dorfbewohner sind Teil des Projekts. Alte Männer spielen unter Bayanbäumen Schach. Fischer werfen ihre Netze aus. Rauch steigt aus den Dorfküchen am Ufer auf. Und verbunden werden die Teile des „Museums ohne Wände“ durch Brücken, die die traditionelle Holzbauarchitektur der Region neu interpretieren – als poetische Bögen zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Holzbogenbrücke, Konstruktion, LUO Studio
Die Teile der Holzbogenbrücke wurden vorgefertigt und vor Ort von lokalen Handwerkern zusammengesetzt.

Eine dieser Brücken wurde von LUO Studio entworfen. Das Architekturbüro aus Peking hat bereits viele modulare Holzbauprojekte umgesetzt: unter anderem etwa einen spektakulären Kuppelbau im Kreis Xiuwu oder das Longfu Life Experience Center in Puyang. Die Planer setzen sich zudem für den Erhalt traditioneller, ostasiatischer Holzbauweisen ein, fördern Wiederverwendung und engagieren sich für benachteiligten Regionen, ökologischen Städtebau und Permakultur. Der Anfrage von OTC, für das Gulou Waterfront Resort tätig zu werden und einen zentralen Baustein der Wiederbelebung der ländlichen Kultur zu schaffen, kam das Studio also nur zu gerne nach.

Reminiszenz an die Vergangenheit

Über die neue Brücke, die sich mit ihrem warmen Kiefernholzton perfekt in ihre Umgebung einfügt, aber klar von städtischer Architektur abhebt, spaziert man jetzt nicht nur von A nach B, sondern durch eine Geschichte, die sich in jeder Faser des Materials, in jeder Schraube, in jedem Lichtstrahl zwischen den Planken verbirgt. Sie führt nicht nur über Wasser, sondern auch über Generationen hinweg.

Gulou Waterfront Resort, Aufgang, Brücke
Über eine Treppe gelangt man ins „Innere“ der Brücke.

Holzbrücke, Innenansicht, LUO Studio
Besucher schreiten wie durch einen Korridor.

Die Struktur der Brücke für das Gulou Waterfront Resort orientiert sich an der klassischen Form chinesischer Bogenbrücken. In der Zeit der Fischereikultur waren Straßen kaum entwickelt, Wasserwege hingegen wichtige Verkehrs- und Logistiknetze. Brücken mussten daher nicht nur begehbar sein, sondern zugleich genügend Raum für die Durchfahrt der Boote bieten. Daher setzte sich die Verwendung von „Bögen“ durch, die gleichzeitig auch die strukturelle Effektivität verbesserten. Aufgrund des reichen Holzvorkommens wurde in Südchina traditionell Holz als Baumaterial verwendet.

Nostalgisch, praktisch, gut

Das Design von LUO Studio vereint nun Bogenbauweise und Holz zu einer modernen Reminiszenz an die Fischertraditionen. Das hat aber nicht nur nostalgische Gründe: Die gewölbte Konstruktion schafft zwar den nötigen Raum für die nach wie vor passierenden Fischerboote. Die tragende Plattform des Bogens ist 1,35 m über dem Wasserspiegel positioniert, das Gewölbe schwingt sich auf bis zu acht Meter. Zusammen ergibt dies eine stattliche Durchfahrtshöhe von über vier Metern. So kommen auch die großen Touristenkähne problemlos unter der Konstruktion hindurch.

Jedes Segment ist wie eine Strophe in einem Gedicht, harmonisch eingefügt in das Gesamtbild.

LUO Studio, Architekturbüro

Brücke, Überdachung, Regenschutz
Das Holzgerüst der Überdachung ist mit Metallplatten bedeckt – eine zusätzliche Verstärkung und ein Regenschutz.

Rechnet man die Spannweite von 25,2 Metern hinzu, wird klar: Diese Brücke ist – bei aller Ehrung der Traditionen – ein Vorzeigebeispiel zeitgenössischer Ingenieurskunst. Nach statischen Berechnungen und Bauanalysen setzten die Planer von LUO Studio auf drei große, gebogene Hauptträger, die parallel zueinander mit einem Abstand von 2,8 m angeordnet sind. Um Herstellungs- und Transportkosten zu minimieren, wurde jeder der vorgefertigten Hauptträger in drei Segmente unterteilt, die vor Ort mit Maschinen montiert und mit stahlverstärkten Bolzen verbunden wurden. Alle weiteren Arbeiten konnten manuell vor Ort ausgeführt werden. So gelang die Kombination aus industrieller Effizienz und lokalem, handwerklichem Charakter.

Hightech trifft Handwerk

Die gesamte Brücke ist modular aufgebaut. Effizient, aber auch ästhetisch sinnvoll. Denn das restliche Tragwerk kann so ganz auf Leichtigkeit setzen: Die kleineren Elemente sind mit den Hauptträgern verbunden und bilden obere und untere Unterträger. Durch die Kombination mit aufwärts gerichteten Bauteilen an den Enden entsteht ein stabiles Kraftdreieck. „Alles ist darauf ausgelegt, nicht zu dominieren, sondern zu tragen – im doppelten Sinne. Jedes Segment ist wie eine Strophe in einem Gedicht, harmonisch eingefügt in das Gesamtbild“, so die Projekteiter Luo Yujie, Lu Zhuojian und Wang Beilei. Die fein gearbeitete Struktur ist nicht nur funktional, sondern offenbart auch das handwerkliche Können. Besonders eindrucksvoll erlebbar für Besucher, die mit dem Boot unter der Brücke hindurchfahren. Aber auch der Gang über die Brücke ist ein Erlebnis.

Konstruktion, Holzbrücke, Luo Studio, China
Die modulare Bauweise erlaubte einen einfachen Transport der Kiefernholzelemente und eine schnelle Montage.

Im Gegensatz zu den anderen, offenen Landschaftsbrücken im Resort setzt der LUO-Studio-Entwurf auf eine Überdachung. Sie erhöht die strukturelle Stabilität und schützt vor Witterungseinflüssen. Da das westliche Perlflussdelta sehr regenreich ist, freuen sich darüber nicht nur die Besucher des Gulou Waterfront Resort, sondern auch die Holzbögen. Die Außenflächen sind zudem mit mehreren Lagen Metallplatten bedeckt, eine zusätzliche Verstärkung. Dass die Überdachung auch ein architektonisches Statement ist und ein gelungener Designgriff, kommt als Sahnehäubchen dazu: Als „geschlossener“ Korridor kann die Brücke jetzt nämlich als eine Art Übergangsraum fungieren. Schließlich verbindet sie zwei Welten auf dem Gelände, die unterschiedlicher nicht sein könnten: eine geschäftige Marktstraße und einen verträumten Kinderspielbereich.

Dach überm Kopf

Doch das Dach überm Kopf tut noch mehr: Mit geschickt platzierten Lichtöffnungen oben, seitlich und zwischen den Stufen entsteht ein Spiel von Licht und Schatten, das sich beim Durchqueren der Brücke ständig verändert. Mal flirrt das Sonnenlicht auf dem Holz. Mal blitzt das Wasser durch die Spalten. Ein atmosphärischer Rhythmus, der nicht laut, aber eindrucksvoll ist. Der Mittelbereich des Dachs öffnet sich in einem 1,5 Meter breiten Lichtband. In der Mitte ist die Brücke am niedrigsten – und dennoch am eindrucksvollsten. Das Licht scheint hier konzentrierter, der Raum intimer. Ein Moment, der innehalten lässt.

Alles ist darauf ausgelegt, nicht zu dominieren, sondern zu tragen – im doppelten Sinne.

LUO Studio, Architekturbüro

Modell, Holzbogenbrücke, Luo Studio
Das Modell wirkt fast nüchtern …

Nachtansicht, Golou Waterfront Resort
… der Extra-Zauber der Brücke entfaltet sich nachts.

Und so verbindet die neue Holzbogenbrücke viel mehr als nur zwei Teile des Gulou Waterfront Resorts: Tradition und Moderne nämlich, Funktion und Form, Dorf und Stadt, Menschen und Erinnerungen. Sie erzählt von einem nachhaltigen Weg in die Zukunft, ohne die Vergangenheit zu verleugnen. Und sie zeigt, wie Architektur mehr sein kann als reine Struktur – nämlich Erzählung, Gefühl, Erlebnis.

Text: Daniela Schuster
Bilder: Jin Weiqi

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