Wohnen und arbeiten in Insellage
Das neue Stadtviertel am Mainzer Zollhafen verspricht ein maritimes Lebensgefühl. Besonders gut verkörpert dies das Wohn-und Büroprojekt Havn nach den Plänen von happarchitecture mit seiner nautischen Formensprache. Le Corbusier lässt grüßen!
Der alte Verladekran an der neuen Mainzer Hafenpromenade ist ein Relikt aus vergangenen Tagen. Früher, als der Schiffshandel noch nicht über Container lief, löschte man damit tonnenweise Frachtgut. Der Kranarm, der schräg über das Rheinufer hinausragt, stellt einen narrativen Bezug zur Vergangenheit her und zeugt vom grundlegenden Strukturwandel, der sich hier in den letzten 15 Jahren vollzogen hat. Wo früher riesige Containerbrücken ein unzugängliches Industrieareal markierten, steht heute ein lebendiges Wohn- und Arbeitsviertel, das von der außergewöhnlichen Lage am Wasser profitiert.
Diese innerstädtische Nachverdichtung bringt den Mainzerinnen und Mainzern nicht nur 1.400 dringend benötigte Wohnungen, sondern auch großzügige öffentliche Freiräume rund um das acht Hektar große Hafenbecken. Während das Quartiersleben an der Südmole bereits konkrete Formen angenommen hat, sind die Baukräne auf der gegenüber liegenden Seite noch voll im Einsatz.
An der Nordmole, die zwischen Rhein und Hafenbecken liegt, kommt durch das viele Wasser ringsum so etwas wie Insel-Feeling auf. An der klingenden Adresse „An den Rheinwiesen“ wurde gerade der Rohbau für das Wohn- und Büroprojekt Havn fertiggestellt, eines von mehreren Immobilienprojekten von UBM Development am Zollhafen Mainz. Insgesamt entstehen dabei rund 3.500 Quadratmeter Wohnfläche und 1.300 Quadratmeter Arbeitsfläche.
Maritime Formensprache der Modernisten
Am Entwurf von happarchitecture lässt sich das maritime Flair des neuen Stadtviertels besonders gut ablesen. Das Frankfurter Architekturbüro unter der Leitung von Jens Jakob Happ knüpft an den nautischen Stil der Modernisten an und zitiert in seiner Materialität das geschichtliche Erbe des Hafenareals.
Eine Klinkerfassade in changierenden Grüntönen nimmt Anleihen an den historischen Backsteingebäuden, die im Viertel noch an die Gründungszeit des Hafens erinnern. So wie das einstige Maschinen- und Kesselhaus, in dem heute die Kunsthalle Mainz untergebracht ist.
Die in strahlendem Weiß gehaltene Mittelfront mit den schwingend auskragenden Balkonen scheint dem sanften Wellenschlag des Rheins zu folgen.
happarchitecture
„Die Lage am Wasser ist immer Privileg und architektonische Herausforderung gleichermaßen“, schickt das Architekturbüro voraus. Diesem Anspruch begegnete man mit einem U-förmigen Baukörper und einer tektonischen Gliederung der drei Gebäudeteile, sodass das Rheinufer nicht von einem monolithischen Riegel dominiert wird.
„Die in strahlendem Weiß gehaltene Mittelfront mit den schwingend auskragenden Balkonen scheint dem sanften Wellenschlag des Rheins zu folgen und wird von den mit dunkleren Ziegeln verkleideten, geometrisch strengeren Seitenflügeln gerahmt“, erklärt happarchitecture.
Heimelige Grüße aus der Ferne
Die an eine Reling erinnernden Balkongeländer im Mittelteil und ihre rhythmischen Rundungen wecken Assoziationen an den Bug eines Schiffes. Eine nautische Anspielung, die an Modernisten wie Le Corbusier oder Hans Scharoun denken lassen, die sich von der Formensprache moderner Schiffe inspirieren ließen.
Das Objekt ist der Raum gewordene Urlaub im Alltag.
Lysann Borowski, Sales-Managerin bei UBM Deutschland
Scharouns berühmter „Nudeldampfer“, das Einfamilienhaus eines Nudelfabrikanten aus den 1930er-Jahren nahe Dresden, gilt als Ikone der klassischen Moderne. Es zeigt exemplarisch, wie Gestaltungselemente aus dem Schiffsbau Eingang in die Architektur fanden und eine Art atmosphärischen Eskapismus zelebrierten. Das Zuhause wurde zu einem Ort, der stets Anklänge an die Ferne weckt. Ein Eigenheim, das seine Bewohner wie auf einer Weltumseglung durch die Untiefen des Lebens navigiert.
75 Prozent Eigennutzer
Diese Gestaltungsdetails sowie der unverstellte Blick auf den Rhein machen Havn zu einem Wohn- und Arbeitsort, der der Realität zu entfliehen scheint. „Das Objekt ist der Raum gewordene Urlaub im Alltag“, formuliert es Lysann Borowski, Sales-Managerin bei UBM Deutschland.
Mit der außergewöhnlichen Lage und der gut eingebetteten Architektur erklärt man sich beim Bauherren unter anderem den Run auf die 44 Wohnungen, die trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage bereits zur Hälfte vergeben sind. Dabei seien es zu 75 Prozent Eigennutzer, die an den Zwei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen interessiert sind.
Neben der Insellage dürften auch die großzügigen Außenflächen potenzielle Wohnungskäufer anziehen. Abgesehen davon, dass alle Wohneinheiten über mindesten einen Balkon oder eine Terrasse verfügen, sind auch die gemeinschaftlichen Außenflächen mit einer hohen Aufenthaltsqualität geplant. „Die drei Gebäudeteile bilden einen zur Flussseite hin offenen Innenhof, in dem ein flaches, bepflanztes Wasserbecken quasi als Reprise des Rheinstroms angelegt ist“, so die Architekten über die rheinseitige Landschaftsgestaltung.
Gemüseanbau am Dach
Zusätzlich dazu steht allen Bewohnern der Anlage ein Dachgarten zur Verfügung, der als gemeinschaftliches Wohnzimmer unter freiem Himmel dient. In den vorgesehenen Hochbeeten kann selbst gezogenes Gemüse gedeihen. Urban Gardening ist ein Trend im Wohnbausektor, der dabei hilft, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und eine Verbindung zwischen Mensch und Natur herzustellen.
Diese Verbindung steht im Mittelpunkt des biophilen Designs, das bei Architektinnen und Architekten heute eine immer größere Rolle spielt. „Natürliche Materialien, Zugang zu Grünräumen und der Blick aufs Wasser fördern erwiesenermaßen die Gesundheit des Menschen und tragen obendrein zu einer Sensibilisierung für nachhaltige Lebensformen bei“, ist Borowski überzeugt.
Die Nachhaltigkeit der Wohn- und Büroanlage Havn will man mit einer DGNB-Zertifizierung in Gold verbriefen. Beheizt wird das KfW-55 Energieeffizienzstandard-Gebäude mit Fernwärme, eigener Sonnenstrom wird am Dach des Büroflügels produziert. Dieser klimafreundliche Betrieb macht fit für die Zukunft, während der alte Hafenkran am Rheinufer die Geschichte des einstigen Zollhafens erzählt.
Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: UBM Development
Fotos: Philipp Horak