Copenhagen, Nordhavn, Konditaget Lüders, JaJa Architects
#stadtplanung

„Kopenhagen zu 86 Prozent klimaneutral“

Kopenhagens neues Viertel Nordhavn ist ein Paradebeispiel für nachhaltige urbane Entwicklung. Stadtarchitektin Camilla van Deurs hat dem ubm magazin. verraten, wo die großen Hebel zur CO₂-Reduktion liegen und warum die Stadt der Zukunft (fast) autofrei ist.

Es ist 8 Uhr morgens an einem Sonntag in Kopenhagen. Auf dem Dach des Parkhauses Konditaget Lüders, von wo aus man das neue Stadtviertel Nordhavn und den Öresund überblickt, absolviert eine Sportgruppe ein hartes Krafttraining mit unzähligen Liegestützvarianten, Pistol Squats und Ausfallschritten. Es folgen einige Laufrunden um den Fitnessparcour und das Gebäude hinunter und wieder hinauf, bevor das Training bei den neuen Saunahütten unten am Wasser endet. Auf den Straßen dazwischen sind kaum Autos unterwegs, auch nicht an Wochentagen. Ein großer Solarstromspeicher, der im selben Parkhaus – entworfen vom Büro JaJa Architects – untergebracht ist, zählt zum nachhaltigen Energiekonzept von Nordhavn, das als erstes Stadtviertel Dänemarks mit dem DGNB-Siegel in Platin ausgezeichnet wurde. 

Konditaget Lüders, Nordhavn, Copenhagen, JaJa Architects
Auf dem Parkhaus Konditaget Lüders befindet sich ein Fitnessparcour, in seinem Inneren wird im großen Maßstab Solarstrom gespeichert.

Kopenhagen ist die diesjährige UNESCO Welthauptstadt der Architektur und befindet sich auf der Zielgeraden zur Klimaneutralität. Wir haben Stadtarchitektin Camilla van Deurs gefragt, was die Stadt bei der Dekarbonisierung so erfolgreich macht. 

Das Parkhaus Konditaget Lüders ist weit mehr als nur ein Aufbewahrungsort für Autos. Was ist das Kernkonzept, das nicht nur hinter dem Parkhaus, sondern hinter dem neuen Stadtviertel Nordhavn als Ganzes steht?

CAMILLA VAN DEURS: Das Ziel bei Nordhavn, wie auch bei jedem anderen Stadtbezirk, besteht darin, dass wir versuchen, die Kunst des Stadtbaus kontinuierlich zu verfeinern. Jedes Mal, wenn wir ein neues Stadtgebiet erschließen, lernen wir aus dem vorangegangenen Projekt und schauen, was wir noch besser machen können. Weil das städtische Umfeld am Nordhafen sehr komplex ist, wurde eine Reihe von Dogmen festgelegt, auf denen die Stadtentwicklung beruht. 

Der Masterplan von 2008 sah unter anderem vor, dass der Bezirk als Energy Lab fungiert, als Pilotversuch, wie man grünen Strom in der Stadt erzeugen kann. Zum ersten Mal war festgelegt, wieviele PV-Paneele am Dach sein müssen und es gab die Idee, einen großen Speicher für Sonnenenergie im Parkhaus unterzubringen.

Nordhavn, Tip of Nordø, Copenhagen
Den Bewohnern des Viertels Nordhavn steht ein Bad am Wasser samt Saunahütten zur Verfügung.

Von anderen Stadtgebieten haben wir gelernt, dass wir das Parken viel zentralisierter denken müssen. In einem Viertel am Südhafen hat sich gezeigt, dass die Tiefgaragen unter den Wohnblocks zu weniger belebten öffentlichen Plätzen führten, während gleichzeitig viele Parkplätze leerstanden und verbaute Fläche ungenutzt blieb.

In Nordhavn wollten wir deshalb ein möglichst dichtes städtisches Gefüge bauen. Um das zu erreichen, mussten wir jeder bebauten Fläche mehr als nur eine Funktion geben, teilweise sogar bis zu drei oder vier. Diese Mehrfachnutzung und die Belebung von öffentlichen Räumen standen im Zentrum der Stadtplanung. Das Konzept der Parkgarage Konditaget Lüders bringt also genau das auf den Punkt.

Und die Entwicklung von Nordhavn geht ja noch weiter …

Ja, das bislang erschlossene Viertel ist erst der Anfang eines sehr großen Entwicklungsgebietes mit einer Reihe von Inseln, Buchten und Halbinseln, die im Laufe der Zeit jeweils ihren eigenen Charakter und ihren eigenen Masterplan haben werden, aber durch ein paar Dinge miteinander verbunden sind: die Metro, den Radschnellweg Green Loop, der um die ganze Insel geht, den Bezug zum Wasser durch Kanäle und daran anschließende Grüngürtel sowie durch das, was wir gerne als ‚Kopenhagener Architekturmaßstab‘ bezeichnen. Und diesbezüglich ist der erste Teil von Nordhavn sehr begünstigt, da es einen Gebäudebestand gab, an dem man sich orientieren konnte. 

Metro, Station Nordhavn, Copenhagen
Keine Stadtentwicklung ohne U-Bahn: Die neue Metrostation vom Architekturbüro COBE schließt das Viertel Nordhavn an das Zentrum der Stadt an.

In Nordhavn ist ein Paradigmenwechsel in der städtischen Mobilität deutlich spürbar. Auf den Straßen sieht man kaum Autos oder Parkplätze. Ist die Stadt der Zukunft autofrei?

Ja, absolut. Oder zumindest mit sehr wenigen Autos. Es wird in Zukunft vermutlich vermehrt Car Sharing und Elektroautos geben, aber in Kopenhagen konzentrieren sich alle neuen städtischen Entwicklungen um die Metro und das Radverkehrsnetz, die alles für die Bürger erreichbar machen.

Wir beginnen langsam zu verstehen, dass Lebensqualität nicht an den Besitz eines Autos gebunden ist, mit dem wir zum Einkaufen oder in die Arbeit fahren. Wir haben gesehen, dass das zu leeren Straßen und leeren Städten führt.

Camilla van Deurs, Stadtarchitektin von Kopenhagen

Wir beginnen langsam zu verstehen, dass Lebensqualität nicht an den Besitz eines Autos gebunden ist, mit dem wir zum Einkaufen oder in die Arbeit fahren. Wir haben gesehen, dass das zu leeren Straßen und leeren Städten führt. Wenn man unter dem eigenen Haus parkt, trifft man womöglich nicht einmal den Nachbarn, und das ist nicht die Art von Nachbarschaft, die wir in unseren Städten haben wollen. Wir wollen Städte, die belebt, bewohnt und – dadurch, dass man Menschen auf den Straßen antrifft – auch sicher sind.

Radpark Kopenhagen, SUP
Kopenhagen ist eine Stadt, die sich gut mit dem Fahrrad …

Kanal, Kopenhagen
… oder auf dem Wasser der zahlreichen Kanäle erkunden lässt.

Auch wenn Kopenhagen sein Ziel der Klimaneutralität bis 2025 nicht erreichen wird, bleibt die Stadt führend in Sachen Dekarbonisierung. Welchen Rat können Sie anderen Städten diesbezüglich geben?

Ein Projekt zur CO₂-Speicherung wird sich etwas verschieben, aber Kopenhagen wird 2025 immerhin zu 86 Prozent klimaneutral sein. Ein Erfolg, der auf einer sehr langfristigen Strategie beruht, die ihren Ursprung bereits in den 1970er-Jahren hat, als uns die Energiekrise dazu brachte, über die Stabilität von Energiepreisen nachzudenken. Damals begann man mit dem konsequenten Ausbau des öffentlichen Nah- und Fahrradverkehrs. Seit den 1990er-Jahren wird die Produktion von grünem Strom und die Einsparung beim Verbrauch vorangetrieben, was den Großteil der CO₂-Einsparungen ausmacht. Das ist also nichts, was sich über Nacht einstellt. Mit dem Krieg in der Ukraine haben wir alle verstanden, was die Energieversorgung für eine Stadt bedeutet.

Kopenhagen wird 2025 zu 86 Prozent klimaneutral sein. Ein Erfolg, der auf einer sehr langfristigen Strategie basiert, die ihren Ursprung bereits in den 1970er-Jahren hat.

Camilla van Deurs, Stadtarchitektin von Kopenhagen

Welche Rolle spielt der Bausektor in der Dekarbonisierung?

Der Hebel bei den CO₂-Emissionen im Bausektor ist groß und reicht von der Art der Baumaterialien bis hin zu deren Transport und Wiederverwendung. Unter anderem wird darauf geschaut, in der Stadt mehr in Holz zu bauen. Was den Gebäudebestand betrifft, so sind wir hier noch weit entfernt von einer CO₂-Neutralität. Das ist das nächste Klimaziel: Kopenhagen soll bis 2035 klimapositiv sein, sprich die CO₂-Einsparungen sollen dann größer sein, als die Menge an CO₂, die erzeugt wird. Im Bausektor werden wir das allerdings niemals erreichen. Wir können die Emissionen zwar reduzieren, aber klimapositiv werden wir in diesem Bereich nicht werden. Die großen Einsparungen passieren woanders.

CopenHill, BIG, Müllverbrennungsanlage, Copenhagen
Auf dem Dach der Müllverbrennungsanlage CopenHill vom Architekturbüro BIG wird das ganze Jahr über Ski gefahren.

Wo genau?

Sie entstehen beim Bäumepflanzen und im Energiesektor, aber natürlich haben wir die Verantwortung die Emissionen auch beim Bauen so weit wie möglich zu drosseln. Seit vielen Jahren ist die Stadt Kopenhagen verpflichtet, für jede einzelne Entscheidung – sei es beim Windelkauf für die Kindergärten oder beim Bau der Metro – eine CO₂-Bilanz vorzulegen. Auf diese Weise sind sich die politischen Verantwortlichen bei allen Entscheidungen, die sie treffen, zumindest bewusst darüber, welche CO₂-Auswirkungen dies hat. Das Ziel klimaneutral zu werden klang am Anfang wie ein Flug zum Mars, aber ohne diese Ambition und das ständige CO₂-Monitoring wären wir heute nicht da, wo wir sind.

Kopenhagen ist die diesjährige Welthauptstadt der Architektur. Was erhofft sich die Stadt davon?

Zum einen soll damit der Tourismus nach der Flaute durch die Pandemie wieder angekurbelt werden. Eine der Hauptambitionen aber ist es, vom internationalen Fachpublikum, das in die Stadt kommt, zu lernen. Es gibt einige Länder und Städte, die in Sachen Holzbau oder Klimaanpassung die Nase vorn haben. Hamburg etwa, das sich in seiner HafenCity intensiv mit dem steigenden Meeresspiegel befasst. Oder Paris setzt sich intensiv mit dem Thema Biodiversität auseinander sowie mit der 15-Minuten-Stadt. Und Wien ist vor allem für hiesiger Politiker ein großes Vorbild, was den kommunalen Wohnbau betrifft. Wir möchten von einander lernen und besser werden. 

Das Ziel klimaneutral zu werden klang am Anfang wie ein Flug zum Mars, aber ohne diese Ambition und das ständige CO₂-Monitoring wären wir heute nicht da, wo wir sind.

Camilla van Deurs, Stadtarchitektin von Kopenhagen

Nordhavn, Aerial
Das Stadtviertel Nordhavn ist das erste in Dänemark, das mit dem DGNB-Siegel in Platin ausgezeichnet wurde.

Für die Stadt selbst wird dieses Jahr dazu genutzt, sich intensiv mit seinen Bürgern auszutauschen. All die Inputs aus den Gesprächen fließen anschließend in die neue Stadtplanungsstrategie und die Architekturpolitik. Wohin soll sich die Stadt in Zukunft entwickeln?

Was sind die neuesten Ansätze in der Architekturpolitik?

Was sich in den letzten beiden Jahren wirklich geändert hat, ist der Gedanke des Konservierens. Alte Strukturen nicht abzureißen, sondern wiederzuverwenden und zu erhalten. Das ist etwas, das die Bewohner selbst mit ihrem Wunsch vorantreiben, dass historische Gebäude aus den unterschiedlichsten Epochen in der Stadt vertreten sind. Die Politik hat dies mit einer Reihe von Kampagnen unterstützt. Unter dem Motto „Soul of the City“ beispielsweise nominierten die Kopenhagener Gebäude, die man für die Zukunft erhalten soll. Dabei geht es nicht um Bauwerke, die besonders schön oder repräsentativ für einen bestimmten Stil sind. Sie würden niemals in einem Architekturmagazin erscheinen, aber sie sind dennoch Teil der Geschichte und Identität einer Stadt. Es ist eine neue Art der Bewertung von Architektur, die auch in der Politik ihren Niederschlag findet.

camilla van deurs
ist seit Februar 2019 Stadtarchitektin von Kopenhagen und berät Politik und Verwaltung in Sachen Architektur und Stadtplanung. Zuvor war sie zwölf Jahre lang bei Gehl Architects beschäftigt und hat weltweit Städ­te beraten und Ideen aus Kopenhagen nach außen getragen. 

Das Programm, das Kopenhagen als Welthauptstadt der Architektur organisiert hat, ist überwältigend. Welche besondere Empfehlung können Sie architekturinteressierten Reisenden geben?

Die Pavillons, die während des Sommers am Wasser gebaut werden, sind ein besonderes Highlight. Sie sind nach den UN Sustainability Goals errichtet und geben einen Ausblick auf zukunftsfähige Bauweisen. Zugleich ergibt sich bei der Besichtigung eine spannende Stadttour, die zu den besten öffentlichen Plätzen der neuen Stadtgebiete führt und auf dem Weg alles erschließt, was sonst noch sehenswert ist.

Worauf ich mich auch sehr freue ist die Eröffnung des Opera Park, eines neuen Biodiversitätsparks von COBEs Landschaftsarchitekten, der direkt neben der Königlichen Oper entsteht. 

Interview: Gertraud Gerst
Fotos: WonderfulCopenhagen, Filip Hucko, Rasmus Hjortshøj , Hufton & Crow, Daniel Rasmussen

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