Seitliche Ansicht des Jinling Diamant Kunstpavillons
#architektur

Ein Diamant für Nanjing

Im chinesischen Nanjing hat das Architekturbüro azLa den Jinling Diamant Kunstpavillon konzipiert. Das Ergebnis ist ein Projekt, das Menschlichkeit ausstrahlen soll – und zu ebendieser einlädt.

Der skulpturale Baukörper sieht aus, als wäre er dem Science-Fiction-Zyklus „Dune“ von Frank Herbert entsprungen. Mit seiner Imposanz und seinen geschwungenen Kanten passt das futuristische Gebäude perfekt in die Welt des Paul Atreides, der Hauptfigur der Roman- und mittlerweile auch Filmreihe rund um den sagenumwobenen Wüstenplaneten. Doch im Gegensatz zur übernatürlichen Sci-Fi-Saga, in der Konflikte, Machtstreben und Intrigen die Handlung bestimmen, steht der Jinling Diamant Kunstpavillon vor allem für eines: Menschlichkeit.

Denn das inmitten eines Wohngebiets im ostchinesischen Nanjing errichtete Bauwerk steht samt seinen Einrichtungen für Gemeinschaftsgefühl und kulturellen Zusammenhalt: Der Pavillon umfasst einen Ausstellungsraum im Erdgeschoss, eine Bibliothek im zweiten Stock sowie einen großen, unterirdischen Veranstaltungssaal.

Architektur mit Herkunft

Neben seiner Symbolik und seinem eigentlichen Zweck als Kulturzentrum besticht das Projekt aber insbesondere durch seine außergewöhnliche Architektur. Das Drehen und Wenden des Gebäudes verläuft dabei keinesfalls willkürlich. Das lokal ansässige Büro azLa (Zhang und Lei Architects) hat das Gebäude so konzipiert, dass sich der untere Teil der Struktur an den umliegenden Hochhäusern ausrichtet und parallel zu ihnen verläuft. Der obere Part ist hingegen um 20 Grad gedreht, die Spitze wiederum ist parallel zur östlich verlaufenen Straße ausgerichtet.

Das Jinling Diamant Kunstpavillon von der Seite
Alles an der Optik des Kunstpavillons scheint aus den Angeln gehoben zu sein.

Die quadratische Form des Jinling Diamant Kunstpavillons
Bisweilen ähnelt er einem Kubus – doch von der anderen Seite schaut wieder alles anders aus.

Alles an der Optik des Kunstpavillons scheint daher überraschend, unvorhersehbar zu sein. Aus manchen Blickwinkeln einem gewöhnlichen Kubus ähnelnd, scheint die Geometrie an einer anderen Seite komplett aus den Angeln gehoben.

Stein um Stein

Für die Form ließen sich die Architekten vom alten chinesischen Schriftzeichen 陵 inspirieren. Dieses hat im jeweiligen Kontext verschiedene Bedeutungen – es steht einerseits für Hügel, kann allerdings auch ein Mausoleum bezeichnen. Es symbolisiert zudem einen Menschen, der gefestigt auf der Erde steht, umgeben von Yin und Yang Energien. In jahrhundertalten Bronzeinschriften deutet es auf den aufstrebenden Geist hin – eine Metapher, die sich auch im emporragenden Pavillon spiegelt.

Zwischen den Bäumen liegt das Jinling Diamant Kunstpavillon
Die Formgebung des Pavillons soll an die uralten Wahrzeichen der Stadt erinnern.

Die Formgebung soll zudem an die uralten Wahrzeichen der Stadt erinnern. Mit einer Stadtgeschichte von über 3.000 Jahren gilt Nanjing als kulturelles Herz Chinas. Während der sechs Dynastien war sie zeitweise die größte Stadt der Welt – und eine der ersten mit über einer Million Einwohnern. Die „Steinerne Stadt“ war von vier Stadtmauern umgeben, die während der Ming-Dynastie errichtet wurden, sowie einer äußeren Schutzmauer. Auf diese Weise entstand ein Grundriss, der an einen Diamanten erinnert.

Wenn vieles eins wird

Die Wandelbarkeit des Designs zeigt sich auch in der Struktur. Von weitem betrachtet scheint sich der Pavillon langsam aufzulösen. Eine optische Täuschung, die azLa mit Hilfe von 139.000 maßgefertigten Keramikziegeln erschufen, die nach einem bestimmten Farbverlauf angeordnet sind. Mit einem Maß von 60 x 60 x 180 mm sollen auch sie an die Stadtmauer von Nanjing erinnern. Obwohl von der gleichen Größe, unterscheiden sie sich in ihrer Textur. Aufgrund der Glasierung einiger Ziegel entstehen Farbunterschiede, die für den sich „auflösenden“ Look des Kunstpavillons sorgen.

Die maßgefertigten Keramikziegel des Jinling Diamant Kunstpavillon
Von weitem betrachtet scheint sich der Pavillon langsam aufzulösen – eine optische Täuschung.

Die Ziegel wurden wie ein Vorhang um den Pavillon gelegt. Am Haupteingang, wo die Fassade eine Rundung aufweist, wurden sie mittels U-förmiger Halterungen befestigt. An den anderen Teilen des Gebäudes setzten die Architekten auf Verbundmörtel. Dennoch sind die einzelnen Keramikziegel an den Rückseiten zusätzlich mit verstellbaren Schrauben versehen, um jeden Winkel beliebig ändern zu können – so wird auch eine effiziente Reinigung ermöglicht.

Der Jinling Diamant Kunstpavillon schafft vor allem eines: einen Ort, an dem sich Tradition, Gemeinschaft und Geschichte verbinden. Der Pavillon ist damit mehr als ein architektonisches Statement – es ist ein Symbol für ein Nanjing, das Altes bewahrt und Zukunft wagt.

Text: Katarina Andraschko, Michi Reichelt
Bilder: Hou Bowen

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