Kaffeespeicher Santos, Rotterdam, Transformation, Nederlandse Fotomuseum, Renner Hainke Wirth Zirn Architekten, WDJArchitecten
#architektur

Eine Krone für den Speicher

Der alte Kaffeespeicher Santos in Rotterdams Hafenviertel ist dank geschickter Transformation zu einem neuen Kulturzentrum und Wahrzeichen geworden. Mit der zweigeschossigen Aufstockung setzte man dem Industriedenkmal buchstäblich die Krone auf.

Der Blick vom Restaurant im obersten Geschoss des transformierten Speichergebäudes macht klar, warum Rotterdam den Beinamen Manhattan an der Maas trägt. In der Skyline auf dem gegenüberliegenden Wilhelmina Pier haben sich Größen wie Renzo Piano, OMA, Álvaro Siza und Norman Foster in Form von Wolkenkratzern verewigt. Davor spannt die markante Erasmusbrücke von UNStudio ihre asymmetrische Geometrie über die Nieuwe Maas. Der Kaffeespeicher Santos steht als Relikt aus dem Jahr 1901 inmitten von neu entwickelten Wohn- und Bürobauten in den einstigen Docks von Katendrecht und erinnert an den großen Umbruch, den die Industrialisierung einst mit sich brachte. Der Backstein-Solitär wurde achtsam saniert, und mit der zweigeschossigen Aufstockung setzte man dem Industriedenkmal buchstäblich die Krone auf.

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In den transformierten Kaffeespeicher Santos in Rotterdam zieht neues Leben ein.

Wo früher Kaffee aus Brasilien lagerte, tummeln sich schon bald die Besucher des Nederlandse Fotomuseum, das im Herbst 2025 im einstigen Kaffeespeicher seine Tore öffnen wird. Mit Unterstützung der Droom en Daad Stiftung konnte man dieses Paradebeispiel frühindustrieller Lagerhausarchitektur erhalten und mit einer vielfältigen Nutzung wiederbeleben. 

Eine Industrie-Ikone macht auf

Das Büro Renner Hainke Wirth Zirn Architekten aus Hamburg und ihre Rotterdamer Partner WDJArchitecten setzten bei ihrem Design auf einen sensiblen Dialog zwischen Historie und Moderne. Der Spagat zwischen Denkmalpflege und zeitgemäßen Ansprüchen ist nicht zu einem billigen Kompromiss verkommen, sondern hat etwas gänzlich Neues hervorgebracht. Die konsequente Umsetzung macht den historischen Speicher zu einem identitätsstiftenden Ort, der in der Gegenwart verankert ist und allen gleichermaßen offen steht.

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Durch die Verglasung der alten Ladeluken kommt mehr Licht in die sanierten Räume.
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Die Deckendurchbrüche und das Oberlicht bahnen sich eine Lichtschneise durch die mittige Achse des Gebäudes.

Dazu machten die Planer das gesamte Erdgeschoss öffentlich zugänglich. Neben einem Café, einem Museumsshop und einer Bibliothek wird es hier auch einen Veranstaltungsbereich geben. Darüber befinden sich zwei klimatisierte Archivetagen, eine Restaurationswerkstatt und der Ausstellungsbereich. In der aufgestockten Dachkrone sind zwei zusätzliche Geschosse untergebracht. Das eine dient den Büroräumen der Museumsverwaltung sowie besagtem Restaurant. Im obersten Geschoss sind 16 Kurzzeit-Apartments untergebracht, die dieselbe urbane Aussicht auf die Rotterdamer Skyline haben.

Mehr Luftraum, mehr Licht

Damit aus dem ehemaligen Lager ein Gebäude wird, das hell und einladend ist, erhöhten die Planer durch gezielte Eingriffe den Tageslichteintrag. Zum einen wurden die alten Ladeluken durchwegs verglast und die zugehörigen Holztüren nach innen versetzt, sodass sie nunmehr zur Raumverdunkelung dienen. Zum anderen schafften sie einen großzügigen Luftraum im Inneren, indem sie in allen Geschossen Deckdurchbrüche schafften. Das große Oberlicht darüber sorgt dafür, dass es nun auch in der zentralen Achse des Gebäudes eine Lichtschneise gibt.

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Die Dachkrone besteht aus perforiertem Aluminium und sorgt für ein Spiel aus Licht und Schatten.

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Im Obersten Geschoss sind 16 Kurzzeit-Apartments untergebracht.

Bei den geschaffenen Durchbrüchen entfernte man zwar die Deckenbalken und den Bodenbelag, das freigelegte Stahltragwerk aber blieb bestehen. Dies schafft eine Extraportion Industrial Flair und trägt zur Authentizität des neu geschaffenen Raumgefühls bei. Die Erschließung, die zuvor über Außenaufzüge erfolgte, verlegte man nach innen. Über das neue Atrium verbindet eine Treppe alle Ebenen miteinander.

Ein selbstbewusster Solitär

Die Krone, die die Architekten dem Baudenkmal aufgesetzt haben, besteht aus perforiertem Aluminium. Diese durchlässige Hülle filtert das Licht und wirft je nach Sonnenstand markante Schattenmuster auf das Interieur. Diese aufgesetzte Kubatur steht dem Backsteinbau gut, dessen ursprünglicher Dachaufbau im Lauf des letzten Jahrhunderts verloren gegangen war. Dank der markanten Aufstockung ist ein gut proportionierter Baukörper entstanden, der sich als selbstbewusster Solitär in seiner neu gewachsenen Umgebung behauptet.

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Die alten Windenhäuser des Außenaufzugs hat man zu kleinen Aussichtsbalkonen umfunktioniert.

Durch die geschickte Transformation des Kaffeespeichers Santos blieb nicht nur ein frühindustrielles Baudenkmal für die Nachwelt erhalten, es ist auch ein wichtiger Stadtbaustein entstanden, der viele Nutzungen unter einem Dach vereint. Der adaptive Re-Use zeigt, welches nachhaltige Potenzial in der bereits gebauten Substanz steckt, wenn man sie kreativ weiterdenkt. Nicht zuletzt ist Rotterdam um ein neues Wahrzeichen reicher. Eines, das den Wolkenkratzern am gegenüberliegenden Ufer etwas entgegen halten kann.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Studio Hans Wilschut

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