Ein Platz für alle
Mit dem Projekt Lilletorget 1 soll in Oslo mehr als nur eine Neugestaltung umgesetzt werden. Die dänischen Studios Henning Larsen Architects und SLA haben ein städteplanerisches Gesamtkonzept entworfen, das einen integrativen öffentlichen Raum schafft.
Vaterland. So lautet der, für Deutsch Sprechende wohl ein wenig seltsam anmutende Name eines Viertels nördlich des Hauptbahnhofs Oslo S im Zentrum der norwegischen Metropole. Allerdings hat dieser Name eine völlig andere Bedeutung als das gleichlautende deutsche Wort, liegt das Stadtviertel doch am Ufer der Akerselva und leitet sich daher vom holländischen „Waterland“, Wasserland, ab. Dominiert wird Vaterland von der Multifunktionsarena Oslo Spektrum, zwei Einkaufszentren sowie dem Vaterlandpark. An diesem wiederum liegt der Platz Lilletorget – wo an der Adresse mit der Nummer 1 bald etwas Großes umgesetzt werden soll. Im wahrsten Sinne des Wortes.
In einer dänischen Koproduktion haben Hennig Larsen Architects und das Landschaftsarchitekturbüro SLA ein Konzept für die Neugestaltung von Lilletorget 1 sowie den angrenzenden Park entworfen. „Das Gebiet steht derzeit vor erheblichen sozialen Herausforderungen und bedarf seit langem einer Erneuerung“, so das Team von Henning Larsen. „Unser Entwurf für die Umgestaltung von Lilletorget 1 soll zur umfassenden Entwicklung des Vaterland-Viertels beitragen, wobei das Gebäude und der Park zusammenwirken sollen, um einen integrativen, sicheren und vielfältigen öffentlichen Raum zu schaffen. Und um das Potenzial des Viertels freizusetzen.“
Park statt Parkplatz
Am Standort Lillletorget 1 befindet sich aktuell ein 1934 von den Osloer Architekten Fin Wollebæk und Haakon Skraastad erbautes, achtstöckiges Industrie- und Bürogebäude. 1983 fanden die letzten Erneuerungsmaßnahmen statt, als das Haus mit einer Fassade aus Cortenstahl-Platten ausgestattet wurde. Nun soll es als Teil eines umfassenden Stadtplanungsprogramms gänzlich neu gestaltet werden. „Der Vaterlandpark ist derzeit ziemlich klein. Seine einzige Funktion ist, ihn zu durchqueren“, erklären dazu Hennig Larsen Architects. „Das Straßenbild rund um Lilletorget 1 ist zudem stark von LKW-Parkplätzen geprägt.“
Um dem entgegenzuwirken, sieht der Entwurf der Studios vor, eine Tiefgarage unter dem Platz zu errichten. Der von SLA konzipierte Park wird deutlich größere Ausmaße als der aktuelle ausweisen und sich vom Gebäude Lilletorget 1 bis zum Fluss erstrecken. Die Anbindung der Akerselva steht dabei ebenso im Fokus wie jene zur Fußgängerzone Smalgangen und zur Hauptstraße Grønland, einer wichtigen Ost-West-Verbindung nördlich des Parks. Weitläufige Grünflächen, Spielplätze, Sitzgelegenheiten und Platz für lokale kulturelle Aktivitäten sollen für mehr Lebens- und Aufenthaltsqualität sorgen. Darüber hinaus will man den Park revitalisieren: Saisonal vielfältige Flora soll die Biodiversität entscheidend stärken.
Hochhaus auf Augenhöhe
Das Bestandsgebäude selbst wird im wahrsten Sinne ausgebaut. Das Konzept sieht ein Hochhaus vor, das „der Stadt auf Augenhöhe begegnet“, wie es offiziell heißt. Mit offenen Fassaden sowie einem einladenden Ambiente auf Straßenebene zielt der Entwurf darauf ab, Anziehungspunkt für Büronutzer, Besucher und Anwohner zu sein. Die drei untersten Geschosse dienen dabei mit Gastronomie, sozialen und kulturellen Einrichtungen sowie konsumfreien Zonen als öffentlicher Raum.
Das Studio nennt das Konzept „Ein Rathaus für die Bürger“; durch die Definition unterschiedlicher Bereiche werde ein Ort für alle Bevölkerungsgruppen geschaffen, der das Zusammenleben im Innen- und Außenbereich fördert. Mehr noch: „Dies unterstützt nicht nur die gemeinschaftliche und damit nachhaltige Nutzung des Objekts. Es hat überdies das Potenzial, letztlich das Sicherheitsgefühl im Vaterland-Viertel und seiner Umgebung zu erhöhen“, so Henning Larsen.
Zum Leben erweckt
Vom vierten Stock aufwärts bietet das neue Gebäude moderne Büroflächen mit einer Kapazität von bis zu 2.000 Personen. Es soll künftig sowohl lokale Interessengruppen als auch internationale Mieter und Partner beherbergen. Statt des bisherigen einzelnen Volumens sieht das Henning-Larsen-Konzept Anbauten vor, die sich den Ausmaßen der jeweiligen Architektur der Umgebung anpassen. So weist der südwestliche Teil des Gebäudes ähnliche Proportionen und Höhen wie die angrenzenden Hochhäuser auf, während die niedrigeren Volumen in ihrer Größe den Gebäuden des historischen Viertels in Richtung Norden ähneln.
„Am Schnittpunkt dreier Innenstadtbezirke, direkt am wichtigsten öffentlichen Verkehrsknotenpunkt gelegen, wird Oslos Vaterland-Viertel durch die Umgestaltung und Erweiterung des Gebäudes am Lilletorget 1 und des Vaterland-Parks zu neuem Leben erweckt“, so Henning Larsens Fazit. „Lilletorget schließt die Lücke zwischen den modernen und historischen Stadtteilen. Im Mittelpunkt unserer Vision steht die Stärkung der lokalen Gemeinschaft, wobei der Schwerpunkt auf der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Umsetzung eines ehrgeizigen öffentlichen Programms liegt.“
Das Konzept der beiden Studios wartet derzeit noch auf die Genehmigung der örtlichen Behörden. Sollte es diese demnächst erhalten, ist die Umsetzung bis 2027 geplant.
Text: Michi Reichelt
Bilder: Vivid-Vision