Erste Hilfe für den Stadtkern
Die französische Stadt Saint-Dizier litt unter der allseits verbreiteten Verödung des Stadtkerns und massivem Einwohnerschwund. Bis die Errichtung des Marché couvert, einer neuen Markthalle, die Wiederbelebung in Gang setzte.
Saint-Dizier ist eine mittelgroße Stadt im Nordosten von Frankreich, die auf eine lange Geschichte zurückblickt. Dementsprechend groß ist das kulturelle Erbe, das mit einer Reihe an touristischen Anziehungspunkten aufwartet. Doch seit Anfang der 1960er-Jahre macht sich ein fortschreitender Einwohnerschwund bemerkbar. Einkaufszentren an den Stadträndern und Suburbanisierung haben den allseits bekannten Trading-Down-Effekt ausgelöst. Viele Leerstände und eine Verödung des Stadtkerns – der sogenannte Donut-Effekt – haben bekanntlich zur Folge, dass sich die Menschen nicht mehr so sehr mit ihrer Heimatstadt verbunden fühlen und vermehrt wegziehen. In Saint-Dizier wollte man dieser Entwicklung bewusst entgegentreten. Die Stadt ist eine von 222 Gemeinden, die sich am nationalen Plan Action cœur de ville beteiligen. Zentraler Anker dieses Revitalisierungsplans ist der Marché couvert, der neue überdachte Marktbetrieb im Zentrum der Stadt.
Ein verbindender Stadtbaustein
Die architektonisch prägnante Markthalle ersetzt die alte, die aufgrund von Baufälligkeit geschlossen werden musste. Der neue Gourmettempel soll zum wirtschaftlichen und kulturellen Motor der Innenstadt werden und den Bewohnern ein besonderes Erlebnis bieten.
Die neue Markthalle ist ein wichtiger Schritt zur Belebung der Innenstadt.
Studio Lada, Architektenkollektiv
Eines, das im Vergleich zum Einkaufen im Supermarkt und zum Online-Handel einen klaren Mehrwert aufweist. Ganz so wie die Märkte früher sollte die Halle zu einem aktiven, sozialen Treffpunkt werden und zwischen der Stadt und den Bewohnern vermitteln. Ein verbindender Stadtbaustein, der so manche verwahrloste Ecke zu neuem Leben erweckt.
Die Durchlässigkeit des Gebäudes von allen Seiten zielt darauf ab, den öffentlich Raum rundherum zu beleben und die Besucherströme entsprechend zu lenken. „Die neue Markthalle ist ein wichtiger Schritt zur Belebung der Innenstadt. Sie versucht, den historischen Stadtkern, die Nachkriegsviertel, die wachsende Brache im Zentrum und den Park miteinander zu verbinden“, erklärt das mit der Bauaufgabe betraute Studio Lada.
Eine neue Gewerbetypologie
Das in Nancy ansässige Architekten-Kollektiv hat sich außerdem die Aufgabe gestellt, eine neue Art von Gewerbetypologie zu entwickeln. Dazu lehnte sich das Team stark an den Formen und Bauweisen mittelalterlicher und frühindustrieller Hallen an und verband sie mit den ästhetischen, funktionellen und ökologischen Ansprüchen unserer Zeit.
Auf diese Weise entstand ein Gebäude, das sehr zeitgemäß wirkt und an dem sich dennoch die Einflüsse der regionalen Baukultur ablesen lassen. Dasselbe gilt für die Art der Konstruktion, die unterschiedliche Baumaterialien miteinander verbindet. „In unserem Vorschlag wollten wir zu den Grundlagen der Architektur zurückkehren und die traditionelle Markthallen-Typologie neu interpretieren“, so Studio Lada.
Kalkstein, Holz und Stahl
Die umgebenden Steinfassaden bestehen aus regionalem Maaskalkstein. Mit den unterschiedlichen bogenförmigen Öffnungen kommt das massive Mauerwerk sehr filigran daher. Diese in der Fassade vorgegebenen Bögen setzen sich in den Rippengewölben der Holzkonstruktion im Inneren des Gebäudes fort. Das parametrisch designte Holzdach aus regionaler Vogesenfichte bildet einen optischen Blickfang und prägt den architektonischen Charakter des Ortes. Außerdem sorgt es für eine angenehme Akustik in der großen Markthalle.
Die Architektinnen und Architekten des Kollektivs verfolgten einen besonderen Ansatz bei der Wahl der Baustoffe. Anstatt spezifische Produkte, etwa zur Verkleidung der Fassade, zu verwenden, setzten sie großteils auf natürliche Materialien. Denn: „Während sich fertige Produkte für gewöhnlich irgendwann abnutzen, entwickeln Materialien wie Holz und Stein mit der Zeit ihre eigene Patina.“
Für jede Funktion das passende Material
Durch einen unterirdisch verlaufenden Wasserweg, geschützten Nistplätzen für Fledermäuse im Keller und einem nicht sehr stabilen Untergrund ergaben sich für den Ersatzneubau einige bauliche Herausforderungen. Die Lösung bestand laut den Planern darin, das alte Fundament zu überbrücken und die neue Konstruktion auf Pfählen zu bauen, die zwölf Meter tief in der Erde verankert sind.
„Ausgehend von der Geschichte der Massivsteinkonstruktion haben wir versucht, bei diesem Gebäude einen traditionellen Tragwerksansatz neu zu interpretieren: Angesichts zahlreicher Einschränkungen setzten wir auf den passenden Einsatz der unterschiedlichen Materialien am dafür passenden Ort.“ So wird das hybride Tragwerk aus Stein und Holz zusätzlich von einer Stahlkonstruktion unterstützt.
In Saint-Dizier hat sich die neue Markthalle gut etabliert, und die Öffnungszeiten hat man mittlerweile sogar ausgeweitet. Ob und wie sich die Architektur auf die Demographie der Stadt auswirkt, werden die kommenden Jahrzehnte zeigen. Der erste Schritt hin zu einer Belebung des Stadtkerns ist jedenfalls getan.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Olivier Mathiotte