Meerblick für Mensch und Hund
In Japan nehmen Haustiere einen besonderen Stellenwert ein, der sich auch architektonisch niederschlägt. In der Necklace Villa, einem Feriendomizil auf der Insel Awaji-shima, ist auch für die Erholung der Vierbeiner bestens gesorgt.
Aufgrund seiner hohen Bevölkerungsdichte und der oft beengten Raumverhältnisse ist Japan eigentlich kein besonders haustierfreundliches Land. Dennoch haben die Japaner Mittel und Wege gefunden, Tiere in ihren Alltag zu integrieren. Davon zeugen einschlägige Katzen-Cafés, Hunde-Spas und Restaurants, in denen die Haustiere sogar mit der Familie an einem Tisch sitzen können. Jüngsten Schätzungen zufolge gibt es in japanischen Haushalten mittlerweile wesentlich mehr Haustiere als es Kinder unter 15 Jahren gibt. Zu diesem Haustierboom passt ein Wohnprojekt im Norden von Awaji-shima, einer Insel vor der Bucht von Ōsaka.
Die sogenannte Necklace Villa ist ein speziell für Hundebesitzer konzipiertes Ferienhaus mit Meerblick. Im vollständig umbauten Innenhof genießen die Tiere freien Auslauf.
Wohnbereich über der Bell-Grenze
Sowohl an der straßen- als auch an der hofseitigen Fassade fallen die spielerische Anordnung von Kubaturen und die unterschiedlichen Fensteröffnungen auf. Während die großen Verglasungen den menschlichen Bewohnern Ausblick verschaffen, dienen die kleinen, bodennahen Fenster und Öffnungen der Erkundung durch die urlaubenden Vierbeiner.
Weil sich das Grundstück an einer rege befahrenen Straße befindet, haben die Planer von 1110 Office for Architecture den Wohnraum an dieser Stelle über das Straßenniveau angehoben. Auf diese Weise wollte man verhindern, dass die Hunde bei jedem vorbeifahrenden Auto zum Gebell ansetzen.
Im grasbewachsenen Innenhof haben die Planer ein dazu passendes Gefälle erzeugt, das den Auslauf besonders spannend macht.
Ein ruhiger Innenhof
Durch die Grenzbebauung des Grundstücks ergibt sich eine gewisse Abschottung zur Umgebung hin. Im nördlichen Teil der Insel hat in den letzten Jahren eine rasante Verstädterung eingesetzt. Wo früher noch natürliche Landschaften den Küstenabschnitt prägten, reihen sich heute Cafés, Gaststätten und Freizeitparks, darunter auch ein Hello Kitty-Themenpark. Um das Katzen-Maskottchen herrscht in Japan auch über 50 Jahre nach seiner Entstehung ein ungebrochener Hype.
Wir haben uns für den Entwurf eines Hofgebäudes entschieden, das als Puffer zur lauten Straße und der Umgebung hin dient.
1110 Office for Architecture
An der einstmals ruhigen Liegenschaft am Meer ist es in der jüngeren Vergangenheit also entsprechend lauter geworden. „Aus diesem Grund haben wir uns für den Entwurf eines Hofgebäudes entschieden, das als Puffer zur lauten Straße und der Umgebung hin dient“, erklärt das 2017 von Hiroto Kawaguchi gegründete Büro.
Aber anstatt die Umgebung mit ihrer unabsehbaren Entwicklung gänzlich auszusperren, reagierten die Planer mit einer ambivalenten Haltung, wie sie es nennen. Große Öffnungen schaffen eine visuelle Verbindung zur Realität vor der Tür und sorgen im offenen Raumkonzept für interessante Blickbezüge.
Ein Haus mit Kreislauf
Die einzelnen Kubaturen des Hauses reihen sich an einander wie die „Perlen einer Kette“, was zur Namensgebung für die Ferienunterkunft führte. In der Necklace Villa sind die Räume nicht wie bei herkömmlichen Wohnhäusern durch Wände von einander getrennt. Stattdessen sind sie wie an einer Halskette aufgefädelt und durchgängig miteinander verbunden.
Die stufenweisen Niveausprünge schaffen eine räumliche Zonierung und eine Umgebung, in der Menschen und Hunde auf natürliche Weise zusammenleben können.
1110 Office for Architecture
So ergibt sich für Gäste und ihre vierbeinigen Begleiter ein abwechslungsreicher Rundgang oder „Kreislauf“, der durch das ganze Haus führt und auch an regnerischen Tagen für Bewegungsspielraum sorgt.
Durch den erhöhten Wohnbereich ergibt sich eine ansteigende und wieder abfallende Topographie im Inneren. 1110 Office for Architecture erklärt dazu: „Die stufenweisen Niveausprünge schaffen eine räumliche Zonierung und eine Umgebung, in der Menschen und Hunde auf natürliche Weise zusammenleben können, ohne durch Wände getrennt zu sein.“
Wie der Herr, so’s Gescherr
Die Terrassenflächen im Innenhof erweitern diesen Rundgang ins Freie, den die Hunde durch entsprechende Öffnungen jederzeit in Anspruch nehmen können.
Die Architektur schafft damit eine Selbstermächtigung für den Vierbeiner, der ganz ohne die Hilfe von Frauchen oder Herrchen zu jeder Tages- und Nachtzeit Gassi gehen kann.
„Mit diesem Projekt wollten wir einen Ort schaffen, an dem man im Hier und Jetzt entspannen und gleichzeitig mit den sanften Fluktuationen von Zeit und Raum in Resonanz treten kann.“ Diesen programmierten Erholungsfaktor lassen die Architekten nicht nur dem Menschen angedeihen, sondern auch seinem besten Freund. Ist der Alltag des Hundes durch beengte Raumverhältnisse und das lange Warten auf die Heimkehr von Herrchen geprägt, verschafft ihm die Necklace Villa viel Quality time und ungeahnte Freiheit.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Yohei Sasakura