Höchste Baukunst für die Uni
Die neuen Ingenieurlabore der Pontificia Universidad Javeriana sind ein Meilenstein kolumbianischer Hochschularchitektur. Zumal der Bau mit topografischen Herausforderungen konfrontiert war und Vergangenheit und Zukunft architektonisch vereint.
Mit ihrer Symbiose aus Tradition und technischer Avantgarde haben die Engineering Laboratories der Pontificia Universidad Javeriana in Bogotá nicht nur nationale Aufmerksamkeit erregt. Sie haben auch internationale Anerkennung erfahren: 2023 erhielten sie den renommierten CTBUH-Award in der Kategorie „Best Tall Building – Americas“. Und 2024 gab es die Auszeichnung des RIBA International Award for Excellence. Letztere wird vom Royal Institute of British Architecture vergeben.
Verantwortlich für das architektonische Meisterwerk sind Juan Pablo Ortiz + TALLER Architects in Zusammenarbeit mit CNI Ingenieros Consultores für die Tragwerksplanung. Die Koordination für den BIM-Ansatz oblag Ekoobim S.A.S.
Altes bewahren, Neues integrieren
Das neue Laborgebäude der Pontificia Universidad Javeriana befindet sich auf 2.600 Metern Höhe in den Ausläufern der kolumbianischen Anden. Dies stellte die Architekten topografisch vor Herausforderungen. Mehr noch: Es galt, ein bestehendes Backsteingebäude aus den späten 1980er-Jahren zu modernisieren und durch einen 74 Meter hohen Turm zu ergänzen. Der neue Turm, so die Vorgabe, sollte Forschung, Lehre und gemeinschaftliches Lernen gleichermaßen befördern.
Im Zentrum stand dabei nicht nur die funktionale Erweiterung, sondern ein tiefgreifendes architektonisches Statement über Nachhaltigkeit, Ingenieurskunst und die Zukunft universitärer Bildung.
Die Sanierung der ursprünglichen Struktur (7.294 m²) erfolgte unter dem Primat „ökologischer Vernunft“: Durch den Erhalt konnte der gebundene Kohlenstoff drastisch reduziert und wertvolle Ressourcen eingespart werden.
Büros im revitalisierten Altbestand
In diesem revitalisierten Teil sind heute Büroräume untergebracht, die durch verbesserte Energieeffizienz und optimierte Tageslichtnutzung den Anforderungen eines modernen akademischen Arbeitsplatzes entsprechen.
Der neue Stahlturm mit einer Bruttogeschossfläche von 14.089 Quadratmetern verteilt sich auf 15 oberirdische Geschosse und drei Untergeschosse. Die Außenhaut ist Teil der Tragstruktur – ein in Stahlrohrrahmenbauweise ausgeführtes System, bestehend aus 81 Hohlprofilstützen, die mit durchgehenden Schweißnähten verbunden sind.
Technisch und optisch meisterlich
Technisch ist das Gebäude ein Meisterstück: 1.880 Tonnen Stahl wurden vorgefertigt an Ort und Stelle verbracht. So wurde man auch angesichts der Enge der Baustelle logistisch Herr der Lage. Das Ergebnis ist ein strukturell integratives Fassadensystem, das nicht nur Lasten trägt, sondern auch ästhetische Kohärenz schafft. Die Fassade ist in einem warmen Messington gehalten, der sowohl den industriellen Charakter des Materials betont als auch mit dem benachbarten Backsteinbau harmoniert.
Ein Geschoss für die Technik, Mechanik und die infrastrukturellen Einrichtungen des Gebäudes auf halber Höhe beherbergt unter anderem das zentrale Luftverteilungssystem. Dadurch wird es möglich, das Dach als Gemeinschaftsterrasse mit Blick auf Bogotá und das umliegende Tal zu nutzen.
Räume für Forschung, Begegnung und Natur
Das „Raumprogramm“ des neuen Ingenieurturms ist ebenso ambitioniert wie durchdacht: 94 Labore, 15 Lehrräume und 700 Quadratmeter informelle Lernzonen. Viele dieser Räume sind transparent gestaltet, was interdisziplinäres Arbeiten und Sichtbarkeit zwischen den Forschungsbereichen unterstützt.
Vertikale Gärten im Atrium verbessern einerseits das Mikroklima, andererseits die Aufenthaltsqualität. Nicht nur die Dachterrasse, auch das zentrale Atrium mit seinen offenen Verbindungen auf mehreren Ebenen sind Ausdruck eines humanistischen Raumverständnisses. Wer hier studiert, forscht und lehrt, dem wird rasch klar: Hier werden Kommunikation und Gemeinschaft bewusst gefördert.
Dabei gelingt es dem Gebäude, nicht nur ein funktionaler Ort der Lehre zu sein, sondern eine symbolische Landmarke für Forschung, Nachhaltigkeit und architektonische Innovation. Der „Campanile“ – wie der Turm uni-intern und landesweit bezeichnet wird – erhebt sich als zeitgenössisches Wahrzeichen über dem Campus.
Die Pontificia Universidad Javeriana, kurz: PUJ (Päpstliche Universität Xaveriana) ist übrigens eine der ältesten Universitäten in Südamerika. Sie wurde 1623 gegründet, Standorte sind die Hauptstadt Bogotá (Hauptsitz) und Cali, die drittgrößte Stadt Kolumbiens.
Licht, Luft und Landschaft: Nachhaltigkeit im Detail
Die Architektur von Juan Pablo Ortiz + TALLER Architects bezieht sich nicht nur auf lokale Bautraditionen, sondern auch auf topografische und klimatische Bedingungen. Durch die Verwendung von Low-E-Verglasung, Fassadenmodellierung zur Minimierung des Wärmeeintrags und passive Belüftungskonzepte wird ein hohes Maß an Energieeffizienz erreicht.
Unter Low-E-Glas (der Begriff steht für Low-Emissivity-Glas) versteht man Isolierglas, auf das eine hauchdünne Metallschicht von etwa 100 Nanometern aufgebracht wird. Diese reduziert den Emissionsgrad der Verglasung und dient als Wärme- und/oder Sonnenschutzschicht.
Der neue Tower der PUJ profitiert von natürlicher Luftzirkulation, die durch das zentrale Atrium sowie durch gezielt platzierte Öffnungen und Filteranlagen verstärkt wird.
Das lichtdurchflutete Atrium des neuen Gebäudeteils fungiert in erster Linie als sozialer Knotenpunkt. Aber, es verbessert auch die Akustik und die Luftqualität im Inneren.
Die Verbindung von alt und neu – sowohl konstruktiv als auch atmosphärisch – zeigt sich besonders deutlich in der Art, wie das Atrium die beiden Baukörper miteinander verwebt: über Brücken, Sitzlandschaften und vertikale Bepflanzungen, die die alte Backsteinfassade beleben.
Form und Funktion: Zwei Bautypen, ein Gebäude
In gestalterischer Hinsicht orientiert sich das Projekt an zwei Archetypen des Stahlbaus: dem offenen Kirchenschiff und dem Turm mit struktureller Fassade. Das Atrium steht für ersteres – es ist ein einladender, kommunikativer Raum mit offener Grundrissstruktur. Der Turm hingegen verkörpert mit seiner klaren Vertikalität und dem tragenden Fassadensystem den zweiten Typus.
Gemeinsam bilden sie ein dialogisches Ensemble, das technologische Innovation mit sozialräumlicher Qualität verbindet.
Mit dem Neubau der Engineering Laboratories ist Juan Pablo Ortiz + TALLER Architects ein Meisterstück gelungen, das weit über funktionale Anforderungen hinausgeht. Der Komplex ist ein Modell für eine nachhaltige, kollaborative und technisch avancierte Hochschularchitektur
– ohne dabei den Menschen aus dem Blick zu verlieren.
Juan Pablo Ortiz Arquitectos wird von Juan Pablo Ortiz, Professor an der Universität der Anden, geleitet. Das Büro hat sich auf die Gestaltung einzigartiger öffentlicher und institutioneller Räume spezialisiert und ist für seine technische Exzellenz bekannt. Im Fokus stehen innovatives Design, Nachhaltigkeit und ein tiefes Verständnis für die gesellschaftlichen Auswirkungen der Architektur. Ortiz will mit seinen frischen Konzepten gleichzeitig lokale Traditionen und die Umwelt respektieren; das Ergebnis sind effiziente, schöne und sinnvolle Gebäude.
TALLER Architects wurde 2009 von Julian Restrepo und Pablo Forero gegründete. Das Büro arbeitet von Bogotá und Amsterdam aus und ist auf Forschung, Architektur und Raumplanung spezialisiert. Seit mehr als einem Jahrzehnt widmet sich das Büro der Wiederbelebung städtischer Räume und hat dabei auf einen positiven gesellschaftlichen Wandel im Blick.
Text: Linda Benkö
Fotos: Alejandro Arango / PUJ