Der Dreh zu Rotterdams Hafengeschichte
Ein roter Leuchtturm spannt den Bogen von der Vergangenheit des Rotterdamer Hafens zu seiner Zukunft. Das niederländische Büro MVRDV hat das Ausstellungsgebäude Portlantis für die Hafenverwaltung entworfen.
Vom Massengutumschlag zur Kreislaufwertschöpfung – kaum ein Hafen Europas befindet sich in einem radikaleren Wandel als jener von Rotterdam. Mit Portlantis hat sich die Hafenverwaltung eine architektonische „Erzählmaschine“ gebaut, die den Übergang des Hafens in die neue Zeit für alle erlebbar macht.
Das jüngst eröffnete und von MVRDV entworfene Besucher- und Ausstellungszentrum stapelt fünf gedrehte Kuben zu einem 22 Meter hohen Objekt. Das renommierte niederländische Architekturbüro verknüpft dabei Ingenieurskunst, Nachhaltigkeit und Publikumsattraktion auf 3.533 Quadratmetern.
Schnittstelle zwischen Hafen und Öffentlichkeit
Maasvlakte 2 ist der spektakulärste „Anbau“ Rotterdams: künstlich gewonnenes Neuland mit einem neuen Containerterminal und dazugehöriger Infrastruktur. Dort, 40 Kilometer von der Innenstadt entfernt, legen Ozeanriesen an und es werden Offshore-Windparks errichtet. Genau hier, am westlichsten Punkt des Geländes, setzt Portlantis ein weithin sichtbares Signal.
Die verdrehte Kubatur erinnert an Containerstapel, die rote, spiralförmig ansteigende Außentreppe wirkt wie eine begehbare Verladebrücke. So wird das Haus zum „Leuchtturm“, eine Landmarke, die den ansonsten schwer zugänglichen Hafen buchstäblich ins Blickfeld der Stadt rückt.
Viele Bewohner der zweitgrößten Stadt der Niederlande nehmen den Hafen als weit entfernt wahr. Und dies obwohl er ohne Zweifel eine zentrale Rolle für die Stadt spielt. Das neue Zentrum Portlantis ermöglicht es den Besuchern, die wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Bedeutung des Hafens zu verstehen.
Fünf Baukörper – fünf Panoramen
Jedes Geschoß hat einen Grundriss von 30 mal 30 Metern und liegt leicht versetzt auf dem darunterliegenden Baukörper. Dieser Twist ist mehr als eine Geste: Die Drehung richtet jeweils ein raumhohes Panoramafenster exakt auf das, worüber die zugehörige Ausstellungsebene erzählt.
Das Café im Erdgeschoss rahmt die Dünenszenerie nach Westen, während das Restaurant im vierten Stock zugleich Nordsee-Sonnenuntergang und nächtliche Hafen-Skyline einfängt. Die Kuben sind damit wie Periskope, die das Narrativ des Hafens in Echtzeit illustrieren.
Drei Ebenen – drei Zeithorizonte
Die vertikale Mitte des Gebäudes bildet ein Atrium, das alle Ebenen visuell verschaltet und selbst Ausstellungsträger ist. Eine kinetische Skulptur – zwölf schwebende Hafensymbole – rotiert im Raum. Am Boden empfängt ein raumgreifendes 3D-Modell den Besucherstrom. Eine verspiegelte Decke lässt den Innenraum fast kathedralisch wirken. Erst nachdem man die Drehtür passiert, enthüllt sich dieses „Experience Center“.
Die Ausstellung, kuratiert von der auf Raumgestaltung für Museen und Events spezialisierten Agentur Kossmanndejong, erstreckt sich über drei Ebenen. Sie gliedern sich in die Themen „Gegenwart“, „Transformation“ und „Zukunft“. Die Themen reichen von der historischen Entwicklung des Hafens über aktuelle logistische Abläufe bis hin zu den geplanten Nachhaltigkeitsmaßnahmen.
Objekte, Modelle und Augmented-Reality-Stationen werden jeweils mit dem Ausblick gekoppelt: Schaut man etwa auf die Containerterminals von APM 2, erklärt ein interaktives Interface gleichzeitig die Automatisierung der Kranbrücken und deren Energieverbrauch. Auf diese Weise verschränkt Portlantis Exponat und Storytelling zu einem nahtlosen Lernparcours.
Öffentliche Promenade
Ein Alleinstellungsmerkmal ist die frei zugängliche Dachroute. Über leuchtend rote Stahltreppen, die sich wie ein Seilwindengehäuse um den Baukörper winden, gelangen Besucher ohne Ticket auf 32 Meter Höhe und genießen dort oben einen 360-Grad-Panoramablick: Nordsee, Schleusenköpfe, Offshore-Türme, Containerkorridore. Damit wird das Haus zum sozialen Balkon des Hafens, ganz im Sinne der Rotterdamer Tradition, Infrastruktur öffentlich nutzbar zu machen.
Portlantis kanalisiert den rauen Pragmatismus des Hafenbetriebs. Tragwerk, Fassaden und Innenausbau bestehen aus industriell vorgefertigten Elementen, die verschraubt statt vergossen werden. Selbst das Fundament kommt ohne Betonpfähle aus und hinterlässt nach einem eventuellen Rückbau keine Spuren.
Energiepositiv dank Windkraft und Sonne
Eine mit dem Hersteller geschlossene Rücknahmevereinbarung garantiert, dass die Fassadenpaneele am Ende ihrer Lebensdauer wieder in den Materialkreislauf gelangen. Diese Demontierbarkeit erfüllt die Kernprinzipien der Kreislaufwirtschaft.
Trotz exponierter Lage im Seewind erreicht Portlantis eine ausnehmend gute Energiebilanz. 266 Photovoltaikmodule in Kombination mit einer eigenen Windturbine erzeugen rund 30 Prozent mehr Energie, als der Betrieb verbraucht. Eine Erd-Wärmepumpe und hochgedämmte Hüllflächen halten den Primärbedarf niedrig; das Gebäude arbeitet damit nettoenergiepositiv. Für ein öffentliches Ausstellungszentrum ist diese Leistung bemerkenswert und bildet einen anschaulichen Beweis der Energiewende, die der Hafen selbst anstrebt. Der Innovationsboom hat auch das ikonische World Port Center erfasst, der von mecanoo nachhaltig renoviert wurde.
Hafen-DNA in Stahlblech und Sichtböden
Die äußere Haut besteht aus gekanteten Stahlblechpaneelen in Aluminiumgrau – als Referenz an Binnenschiffe und Silos. Innen dominiert roher Sicht-Estrich, ergänzt durch recyclefähige Akustikdecken. Die Farbdramaturgie beschränkt sich auf die rote Treppe und punktuell farblich abgesetzte Möblierung, sodass die Ausstellung und der Blick nach draußen die Hauptprotagonisten bleiben.
Wenngleich das Gebäude fachmännisch ausgeführt ist, strahlt es bewusste Rohheit aus – ein Statement gegen glatte Erlebnisarchitekturen, das den Charakter des Hafens ästhetisch übersetzt.
Offenheit im touristischen Netzwerk Rotterdams
Mit Portlantis, das am 19. März 2025 eröffnet wurde, schließt gleichzeitig das frühere Besucherzentrum FutureLand. Das neue Haus soll jedoch mehr sein als dessen Ersatz: Es integriert das Education & Information Centre Mainport (EIC), bietet Konferenzflächen, Coworking-Lounges und ein Restaurant, das abends unabhängig vom Ausstellungsbetrieb geöffnet bleibt.
Die Anlage fungiert somit als turboaufgeladene Schnittstelle zwischen Güterhafen, Wissenswirtschaft und Freizeitindustrie – ein hybrides Programm, das Rotterdam seit der Markthal oder dem Depot Boijmans Van Beuningen immer weiter verfeinert. Die 2014 fertiggestellte Markthalle steht im Zentrum und überrascht die Besucher mit einem modernen Deckengemälde und Artefakten aus Rotterdams Entstehungsgeschichte. Das Depot Boijmans Van Beuningen im Rotterdamer Museumpark, eröffnet 2021, ist das erste völlig für die Öffentlichkeit zugängliche Kunstdepot der Welt.
Architektur als instrumentalisierte Landschaft
Formal reiht sich Portlantis in die prozessbasierte Architektursprache ein, die MVRDV bereits etwa mit dem Seouler Skygarden (transformierte Infrastruktur) demonstriert hat: Architektur als instrumentalisierte Landschaft. Zugleich ist der Bau eine Fortführung des MVRDV eigenen Diskurses über Nachhaltigkeit. Zuletzt hat der Ansatz im Valley-Hochhaus in Amsterdam Fahrt aufgenommen, mit Stadtwald.
Portlantis beweist, dass Storytelling kein Add-on, sondern architektonische Primärkraft sein kann. Die drehbaren Baukörper orchestrieren Blicke, Daten und Exponate zu einer räumlichen Dramaturgie, die sowohl Laien als auch Fachleute abholt. Gleichzeitig zeigt das Projekt, wie radikale Umweltziele – Rückbaubarkeit, Energieüberschuss, minimale Bodenversiegelung – sich mit ikonischer Formensprache vertragen.
Text: Linda Benkö
Fotos: Ossip van Duivenbode, MVRDV