Prager Hauptbahnhof, Henning Larsen, Holzbau, Park, Mobilität
#stadtplanung

Ein Bahnhof wird „Hygge“

Der Prager Hauptbahnhof wird seit Jahren renoviert. Der Entwurf von Henning Larsen will nun auch die finsteren Ecken verbannen und den Bahnhof mit einem spektakulären Holzbau zur sehenswerten Destination machen.

Vor zwei Jahren feierte der Prager Hauptbahnhof sein 150-jähriges Jubiläum. Als 1871 der erste Zug aus Wien in Praha hlavní nádraží eintraf, stiegen neun Passagiere aus. Es war die Pionierzeit der Eisenbahn. Seine Hochblüte erreichte der Bahnhof Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem neuen Stationsgebäude des tschechischen Architekten Josef Fanta, das zu den bedeutendsten Jugendstilbauten Tschechiens gehört. Die mächtigen Dampflokomotiven und die majestätische Stahlbogenhalle läuteten das Zeitalter der Industrialisierung ein.

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Ein großes Vordach aus Holz soll die unterschiedlichen Zonen des Prager Hauptbahnhofs zu einer neuen Einheit zusammenschließen.

Ein Schandfleck im Stadtbild

Doch das Bild des prachtvollen Bahnhofs ist der Stadt im Laufe der Zeit abhanden gekommen. Er ist von einem Symbol für Fortschritt und Modernität zu einem Schandfleck im Stadtbild geworden und zählte lange Zeit zu den gefährlichsten Orten der Moldau-Metropole. Die Abfertigungshalle aus den 1970er-Jahren war mit Imbissbuden verstellt, der angrenzende Park ein Hotspot für Obdachlose, Drogen und Prostitution, den die Einheimischen in Anlehnung an den britischen Outlaw-Mythos „Sherwood“ nennen.

Zu Beginn der 2000er-Jahre entschlossen sich die Tschechischen Bahnen gemeinsam mit dem italienischen Investor Grandi Stazioni, den Bahnhof grundlegend zu modernisieren. Der Prager Architekt Patrik Kotas lieferte den Masterplan für den Erneuerungs- und Transformationsprozess, der dem Ort etwas von seinem früheren Glanz zurückgeben soll. Mittlerweile sind große Teile der denkmalgeschützten Anlage renoviert und statt Spielhallen und Spelunken gibt es nun Zeitungsgeschäfte, Blumenläden und Imbissketten wie in anderen Großbahnhöfen auch.

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Dort, wo derzeit noch Autos parken, haben künftig Fußgänger und Radfahrer Vorrang.

Der Bahnhof als eigene Destination

Für die nächste Etappe von Nový hlavák, wie das neue Bahnhofsquartier heißt, hat man sich Hilfe aus dem Hohen Norden geholt, den Spezialisten, wenn es darum geht, öffentliche Orte „Hygge“ zu machen. Der Begriff ist weit mehr als nur ein Einrichtungstrend. Er steht für Gemütlichkeit und ein entspanntes Zusammenkommen von Menschen. Das dänische Architekturbüro Henning Larsen Architects gewann den international ausgeschriebenen Wettbewerb und wird die Abfertigungshalle neu gestalten und den berüchtigten Park Vrchlického sady revitalisieren.

Wir stellen uns Nový hlavák als einen Ort vor, an dem Menschen zusammenkommen, verweilen und sinnvolle Kontakte knüpfen – eine integrative und einladende urbane Oase im Herzen von Prag.

Greta Tiedje, Associate Design Lead, Henning Larsen

Laut den ersten Visualisierungen soll der vorgelagerte Grünraum von einem Ort, den man meidet, zu einem familientauglichen Park mit Naherholungswert werden. Grüne Wiesen sind da zu sehen, auf denen Menschen picknicken und sich zum Yoga treffen. Die ehemals düstere Ecke der Stadt will man laut Greta Tiedje von Henning Larsen zu einer eigenen Destination machen: „Wir stellen uns Nový hlavák als einen Ort vor, an dem Menschen zusammenkommen, verweilen und sinnvolle Kontakte knüpfen – eine integrative und einladende urbane Oase im Herzen von Prag.“

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Aus dem berüchtigten „Sherwood“ soll ein familientauglicher Park mit Naherholungswert werden.

Ein Holzbau der Superlative

Zentrales Element des neuen Quartiers ist ein spektakuläres Vordach aus Holz. Die Freiformkonstruktion aus Brettschichtholzelementen wird in Zukunft zu Tschechiens größten Holzbauwerken zählen. Die 13,8 Meter hohe Überdachung soll nicht nur das neue Tor zum historischen Fanta-Gebäude sein, sondern ein Bindeglied, das den Park, die Bahnhofsanlagen und den öffentlichen Nahverkehr zu einer Einheit zusammenschließt. Ein transparentes Leichtdach aus dem robusten Kunststoff ETFE wird die Konstruktion überspannen und für einen konstruktiven Holzschutz sorgen.

Der ehemalige Parkplatz wird damit zum sicheren, fußgängerfreundlichen Vorplatz und gibt künftig dem emissionsarmen Verkehr den Vorrang. Mikromobilität, Öffis und die Anbindung an ein effizientes Radverkehrsnetz sollen ein Stück Kopenhagen in die tschechische Metropole bringen. Eine neue Straßenbahnlinie wird eine direkte Verbindung zwischen dem Bahnhof und dem Nationalmuseum herstellen, ein neues Asset für die ankommenden Touristen. Insgesamt rechnet man mit einem Anstieg der Besucherzahlen um 200 Prozent und baut die Kapazitäten entsprechend aus. 

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Das neue Raumkonzept bietet auch Platz für Marktstände und soll den Bahnhof zu einem vertrauten Ort machen, der nostalgische Gefühle weckt.

Weniger Emissionen, mehr Lebensqualität

Nicht zuletzt soll der repräsentative Holzbau ein neues Bahnhofserlebnis bieten, das an die Aufbruchsstimmung zur Zeit seiner Hochblüte anknüpft und zugleich das vermittelt, was Mobilität in Zukunft bringen soll: weniger Emissionen und mehr Lebensqualität für die Stadtbewohner. Ein Ausblick, der von einer eindrucksvollen Holzkonstruktion gerahmt ist, die ihrerseits für das klimafreundliche Bauen von morgen steht. 

Nový hlavák soll Bahnhofsgefühle wie dazumals wecken, ein nostalgisches und vertrautes Erlebnis, das den Aufenthalt am Bahnhof zu einem erhebenden Moment macht.

Jacob Kurek, Global Market Director, Henning Larsen

Nový hlavák soll Bahnhofsgefühle wie dazumals wecken, ein nostalgisches und vertrautes Erlebnis, das den Aufenthalt am Bahnhof zu einem erhebenden Moment macht“, formuliert es Jacob Kurek, Global Market Director bei Henning Larsen. Im Interview mit dem ubm magazin. schilderte der Top-Architekt vor kurzem, wie sich allerorts Nachhaltiges schaffen lässt, und worauf es dabei ankommt.

Die ikonischen Designelemente der modernistischen Terminalhalle, wie der gestreifte Pflasterbelag und die verspielten Rundungen, will man erhalten und im Zuge der Neugestaltung auch im Außenbereich aufgreifen. Dort markieren die Rundungen künftig Verweilzonen, die sich deutlich von den linearen Transportzonen abheben. 

Wie lange der Park noch seinen Beinamen „Sherwood“ behalten wird, ist derzeit nicht klar. Mit einem Beginn der Bauarbeiten wird jedenfalls nicht vor 2028 gerechnet.

Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: KVANT, Vivid Vision, Henning Larsen Architects

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