Neues Leben auf dem Abstellgleis
Ein preisgekröntes Holzbauprojekt in London zeigt, wie zirkuläre Baumaterialien Charakter schaffen und zugleich CO2 einsparen. Auf dem Gelände eines ehemaligen Lokschuppens entstand das Kreativzentrum Roundhouse Works, die Fassade bilden alte Eisenbahnschwellen.
Eigentlich hätte die Fassade des neuen Kreativ- und Startup-Zentrums im Nord-Londoner Stadtteil Chalk Farm ganz anders aussehen sollen. Der Entwurf für das Projekt Roundhouse Works vom britischen Architekten Paddy Dillon sah ursprünglich Stahlgussplatten vor, die sich über das geschwungene Eckgebäude ziehen. Das hätte nicht nur die Kosten nach oben getrieben, sondern auch die CO2-Bilanz. Diese liegt pro Tonne Stahl bei knapp zwei Tonnen CO2. Die ausführenden Architekten des Büros Reed Watts Architects und Allies and Morrison suchten deshalb nach einer günstigeren und nachhaltigeren Alternative. Nach einer Reihe von Materialstudien fanden sie schließlich Inspiration bei einem College-Gebäude in Cambridge, das mit ausrangierten Eisenbahnschwellen aus Frankreich verkleidet war.
„Anstatt Material zu importieren, wollten wir Schwellen aus dem britischen Eisenbahnnetz verwenden“, wie Architekt und Bürogründer Matt Watts gegenüber dem Verband Timber Development UK schildert.
Anstatt Material zu importieren, wollten wir Schwellen aus dem britischen Eisenbahnnetz verwenden.
Matt Watts, Architekt
Der Großteil der ausrangierten Schwellen war allerdings unbrauchbar, da das Holz üblicherweise mit Kreosot behandelt wird, um es länger haltbar zu machen. Kreosot ist eine ölartige Flüssigkeit, die aus Kohleteer gewonnen wird und sehr leicht entflammbar ist. Für eine Fassadenverkleidung also gänzlich ungeeignet. Fündig wurde man schließlich bei einem Unternehmen, das unbehandelte Schwellen aus australischem Jarrah-Holz anbietet.
Passend zur Geschichte des Ortes
Das Edelholz Jarrah ist extrem widerstandsfähig und weist eine rötliche Färbung auf, was der fertigen Fassade ihr charakteristisches Aussehen verleiht.
Die aufgetrennten Latten aus dem inneren Segment wiesen eine hellere Tönung auf als die äußeren. Damit die Gesamterscheinung der Fassade nicht zu unruhig wurde, kamen die helleren Latten für die Fensterabschnitte und die zugehörigen Lisenen zum Einsatz.
Im Gegensatz zu den Stahlgussplatten passt diese Fassadenlösung auch wunderbar zum Genius Loci und der Geschichte des Ortes. Die Theater- und Konzertlocation Roundhouse ist seit vielen Jahren eine Institution des Londoner Kulturlebens. Sie befindet sich in einem denkmalgeschützten Lokschuppen in Rundhaus-Bauweise, der saniert und der neuen Funktion entsprechend umgebaut wurde.
Die Spuren der Hölzer aus dem früheren Leben verleihen dem Haus Charakter.
Matt Watts, Architekt
Die drei neu errichteten Baukörper haben auf dem ehemaligen Abstellgleis Platz gefunden. Mit den wiederverwendeten Bahnschwellen für den straßenseitigen Gebäudeteil knüpfen die Architekten somit an die Eisenbahn-Vergangenheit an und schaffen ein gestalterisches Narrativ, das dieses Erbe mit der Gegenwart verknüpft.
Patina der Vergangenheit
Die rostigen Stellen und die Bolzenlöcher zeugen von der einstigen Verbindung zu den Schienen und verleihen der Gebäudehülle eine angejahrte Patina. Damit fügt sich die neue Fassade wie selbstverständlich in das historische Areal ein.
Das Gebäude macht den Eindruck, als wäre es schon immer da gewesen. Lediglich Hölzer, die morsche Stellen aufwiesen, habe man aussortiert, kleine Dellen und Lackreste durften bleiben, erklärt Watts. „Die Spuren der Hölzer aus dem früheren Leben verleihen dem Haus Charakter.“
In der Jurybewertung des Civic Trust Awards, mit dem das Projekt ausgezeichnet wurde, heißt es: „Dieses architektonische Juwel spiegelt nicht nur die Lebendigkeit von Camden wider. Es ist auch ein Beispiel dafür, wie durchdachtes Design Nachhaltigkeit, Inklusion und gesellschaftliches Engagement fördern kann.“
Mehr Holz, weniger CO2
Die neuen Roundhouse Works dienen zur Förderung von jungen, kreativen Talenten und bieten Probe- und Seminarräume sowie Ateliers zu geförderten Mietpreisen.
Während die beiden höheren Baukörper mit einer Trapezblechfassade verkleidet sind, hebt sich der niedrigere Bau mit seiner Holzfassade kontrastreich davon ab. Die Konstruktion des neuen Ensembles besteht dagegen durchwegs aus Holz. „Die Schwellen und das Tragwerk aus Brettsperrholz reduzieren den CO2-Fußabdruck des Gebäudes erheblich“, heißt es in der Projektbeschreibung von Reed Watts Architects.
Während der gesamten Projektplanung hat man darauf geachtet, die Emissionen in allen Bereichen so gering wie möglich zu halten. Das betrifft den Energieverbrauch des Neubaus ebenso wie die eigene Solarstromproduktion am Dach. Alle Maßnahmen zusammen haben dem Bauprojekt schließlich ein „Exzellent“-Rating im britischen Nachhaltigskeitsstandard BREEAM eingebracht.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Fred Haworth