Chinesisch aufgefächert
Das Opernhaus Shanghai Grand Opera House nach einem Entwurf von Snøhetta befindet sich im Endspurt. Der neue kulturelle und architektonische Leuchtturm am Huangpu-Fluss verbindet die Poesie des chinesischen Faltfächers mit einem tiefen Verständnis für den gesellschaftlichen Auftrag von Architektur.
Eine neue Ikone in Shanghai steht kurz vor der Fertigstellung. Das neue Shanghai Grand Opera House nach einem Entwurf von Snøhetta. Das Opernhaus ist ein wichtiger Teil des städtebaulichen Masterplans für Shanghai. Bis 2035 will die bedeutendste Industriestadt der Volksrepublik China zur „excellent global city“, einer in jeder Hinsicht hervorragenden Weltstadt werden.
Im Shanghai Masterplan 2017-2035 steht festgeschrieben, dass Menschen aller Altersgruppen dort ihr Leben genießen und einen gesunden Lebensstil führen können sollen. In einer Stadt, deren „Gebäude inspirieren, deren Straßen zum Flanieren und Parks zum Verweilen einladen. Theater- und Kulturliebhaber sollen Aufführungen direkt in ihrer Nachbarschaft erleben dürfen, ohne lange Wege zu großen Bühnen zurücklegen zu müssen. Für Kinder soll es möglich sein, sicher zu spielen.“
Die architektonische Vision für das Shanghai Grand Opera House von Snøhetta Arkitektur og Landskap A/S war, soziale Offenheit mit ökologischer Verantwortung und traditionellen Elementen zu verpaaren. Der kulturelle Anspruch ist hoch – und ebenso der gesellschaftliche: Die Oper versteht sich als Ort der kulturellen Teilhabe, der Menschen aller Altersgruppen anspricht. Im 13. Fünfjahresplan der chinesischen Regierung wird das Projekt ausdrücklich als Schlüsselinitiative zur Stärkung Shanghais als kulturelle Weltmetropole genannt.
Shanghai Grand Opera House: Fächer aus Beton und Licht
Das Opernhaus ist zudem ein wahrer Blickfang. Und huldigt mit seiner Optik einem traditionellen chinesischen Accessoire: Dem Faltfächer. Das Gebäude entfaltet sich spiralförmig wie ein solcher, das Dach fungiert als Bühne, die Treppe als Bindeglied zwischen Erde und Himmel.
Das zentrale Motiv der Oper ist Bewegung. Der Fächer trägt sowohl visuell als auch funktional das architektonische Konzept. Diese Formensprache zieht sich durch bis in die Innenräume, in denen sich das Motiv in Lobby, Foyer und Auditorien fortsetzt. Das Logo der Oper greift die Form des Fächers ebenfalls auf: Eine reduzierte, grafisch starke Figur, die sich leicht wiedererkennen lässt und die visuelle Identität des Hauses trägt.
Die Haupttreppe windet sich spiralförmig empor und zeichnet dabei die Dachform nach. Sie wird zur dramatischen Raumgeste, zur architektonischen Metapher für Aufstieg und Offenheit. Das Tragwerk gliedert sich in die innere Stahlbetonkonstruktion und die äußere Dachkonstruktion, die als Stahl-Beton-Verbundkonstruktion ausgeführt ist. Die spiralförmige, auskragende Freitreppe bildet hierbei das komplexeste Bauteil.
Ein öffentlicher Raum für die Stadt
Wie Snøhetta-Gründungspartner Kjetil Trædal Thorsen erklärt, sei das Gebäude „eine natürliche Weiterentwicklung“ ihrer Erfahrung im Entwurf von Opernhäusern. Zu diesen zählen unter anderem die Norwegische Nationaloper in Oslo, das Busan Opera House in Südkorea und das Isabel Bader Centre for the Performing Arts in Kanada.
Das Top-Büro hat auch in Österreich schon Tolles auf die Wiese gestellt, unter anderem den Firmensitz des Tiroler Reiseveranstalters ASI. Der Spezialist für Angebote mit geringem ökologischen Fußabdruck verfügt nun über einen innovativen Holzbau in Natters als Nest. Ein weiteres Signature Building ist der Campus der Universität Klagenfurt. Hier handelt es sich ebenfalls um einen innovativen Holzbau – mit offener Lernlandschaft.
Inmitten des zusehends ökologisch ausgerichteten Stadtteils nahe des Houtan Parks positioniert sich die Oper nicht nur als Aufführungsort, sondern auch als lebendiger öffentlicher Raum. Das Dach fungiert nämlich als begehbare Landschaft, als Platz, Bühne und Aussichtsplattform. Es ist ganzjährig zugänglich, lädt zum Verweilen ein und soll auch unabhängig von Vorstellungszeiten genutzt werden.
Ein Haus für Vielfalt und Zugehörigkeit
Der umliegende Raum ist fast wie radial organisiert und öffnet Sichtachsen zur Stadt und zum Huangpu-Fluss. Diese Offenheit verkörpert das erklärte Ziel des Projekts: ein kultureller Ort der Zugehörigkeit zu sein – für die Bevölkerung Shanghais ebenso wie für ein internationales Publikum.
Die großzügigen Glasflächen des Foyers spiegeln dies wider und bringen gleichzeitig Tageslicht ins Gebäudeinnere.
Das Shanghai Grand Opera House beherbergt drei Auditorien und bietet ein breit gefächertes Repertoire: klassische Oper, chinesische Oper, Theater, Konzerte und experimentelle Formate. Ergänzt wird das Programm durch Ausstellungsräume, eine Bibliothek, ein Kino, Bildungsbereiche sowie Gastronomie.
„Für uns“, so Kjetil Trædal Thorsen, „ist dieses Haus Ausdruck unserer Überzeugung, dass Architektur ein Mittel ist, um Räume der Zugehörigkeit zu schaffen – für alle.“ So wird das Shanghai Grand Opera House nicht nur ein Ort für Oper und Musik sein, sondern ein Symbol auch für den Wandel dieser Stadt in jeder Hinsicht – ohne dabei auf ihre Vergangenheit zu vergessen.
Enge interdisziplinäre Kooperation
Snøhetta verantwortete beim Shanghai Grand Opera House nicht nur den architektonischen Entwurf, sondern auch die Landschaftsgestaltung, das Interior Design und die grafische Identität. Für die lokale Umsetzung arbeiteten die Norweger mit dem East China Architectural Design & Research Institute (ECADI), Theatre Projects, Nagata Acoustics sowie weiteren Fachpartnern zusammen.
Die Eröffnung des neuen kulturellen Wahrzeichens in der Pudong New Area, des sehr jungen Stadtbezirks östlich des Huangpu-Flusses ist für Ende 2025 geplant. Die Gesamtnutzfläche beträgt rund 146.000 Quadratmeter. Das Opernhaus ist zwar ein Monument, aber es erschlägt einen nicht. Vielmehr zeigt es sich bewegt und durchlässig.
Text: Linda Benkö
Fotos: Brick Visuals/Snøhetta, MIR, Plomp, StudioSZ