perpetuum mobile
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Vom Hamsterrad ins Perpetuum mobile

In Madrid entsteht ein Bürogebäude, das nicht nur arbeiten lässt, sondern auch selbst etwas tut: Es generiert Sonnenstrom! Und zwar mehr, als gebraucht wird.

Wir wissen: Es gibt kein Perpetuum mobile. Also kein Gerät, kein System, das, sobald es einmal läuft, niemals wieder stehen bleibt. Weil einfach jedes in sich geschlossene System mehr Energie verbraucht, als es generieren kann. Es geht halt immer ein bisschen Kraft verloren.

Wenn man nun aber immer wieder Energie zuführen kann, die von selbst entsteht? Dann könnte man zumindest im metaphorischen Sinne davon sprechen, ein Perpetuum mobile erfunden zu haben …

Wo die Sonne immer lacht

Um zum Punkt zu kommen: In Madrid entsteht bis 2024 ein innovatives Bürogebäude, das jeden Tag mehr Energie produziert als es verbraucht. Und das geht natürlich nicht in einem in sich geschlossenen Kreislauf – es wird einfach konstant Strom produziert, Ökostrom natürlich. Genau genommen werden die sagenhaften 7,5 Sonnenstunden, die im Jahresschnitt jeden Tag Madrid erhellen mittels modernster Photovoltaik-Paneele intelligent genutzt.

Und die inzwischen verfügbaren Module sind im Zusammenspiel mit dem hohen Sonnenstundenwert so effizient, dass selbst ein modernes Office damit betrieben werden kann. Und sogar mehr. Denn das, was Heatherwick Studio unter dem Namen Castellana 69 geplant hat, soll laut Experten bis zu 30% Energieüberschuss an das spanische Stromnetz abgegeben können. Weil eben zu viel des Guten vorhanden sein wird.

Das Dach von Castellana 69 ist mit großen Solarflächen ausstaffiert, um mehr Strom erzeugen zu können, als nötig.

Kommen wir aber kurz zu den Rahmenbedingungen dieses ungewöhnlichen Bauvorhabens. Das Londoner Heatherwick Studio ging als Sieger des Wettbewerbs für ein Bürogebäude hervor, das auf dem letzten unbebauten Grundstück des Finanz- und Geschäftszentrum Madrids errichtet werden soll. Damit ist es das erste Projekt der Briten, das sie in Spanien realisieren können. Unter dem Namen Castellana 69 sollte laut Ausschreibung nicht bloß ein funktionales Büro konzipiert werden, sondern eines, das ein starkes ökologisches Engagement durchblicken lässt.

Soziale und ökologische Nachhaltigkeit

Genau das ist den Architekten rund um Designer Thomas Alexander Heatherwick wohl eindrucksvoll gelungen. Denn die vorhin schon erläuterte Sonnenstrom-Überproduktion ist im Grunde bloß die plakativste Ausprägung des großen Ganzen. Aber alles der Reihe nach. Heatherwick wollte zuallererst einen Weg finden, die Arbeitsplätze zu „vermenschlichen“, wie er selbst sagt.

Der Chef dazu im O-Ton: „Castellana 69 ist eine aufregende Gelegenheit, sich von der Formalität und Langweiligkeit so vieler moderner Bürogebäude zu entfernen. Es bietet die Chance, einen menschlicheren Arbeitsbereich zu entwickeln, der gleichzeitig soziale und ökologische Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellt.“

Und so lautete die Anweisung an das Projektteam, eine „anregende Umgebung zu schaffen, die sich durch Flexibilität und Reaktionsfähigkeit auf wechselnde Arbeitsmuster auszeichnet.“ Eine, die niemandem das Gefühl vermittelt, in einem ewigen Hamsterrad festzustecken. Durch genau diese Erstentscheidung wurde im Grunde auf überraschendem Weg der Grundstein zum nachhaltigen Büro gelegt.

Nachhaltigkeit folgt dem Design

Denn: Das aus dieser Vision abgeleitete Design nutzt schon einmal von sich aus das milde lokale Klima, um nahtlose Übergänge zwischen Innen- und Außenräumen zu schaffen. Es versucht also auf möglichst natürlichem Weg ein ideales Raumgefühl in allen Bereichen zu generieren. Allein dadurch wird schon einmal der sonst gängige Energieaufwand – etwa durch zu viel Heizen oder Kühlen – reduziert. 

Weniger Energie dank mehr Grün

Zudem sieht der Entwurf des 15.000 m² großen Objekts einen mit Pflanzen intensiv begrünten Innenhof vor. Dieser soll als „Grünes Herz“ von Castellana 69 die Natur in den Mittelpunkt des Arbeitsplatzes und der Stadt rücken. Selbst die Wände sind in der Vision der Architekten Großteils begrünt. Auch diese Maßnahme ist eine, die doppelte Auswirkungen haben wird: In den heißen Sommermonaten freuen sich die Angestellten, dass sie Schatten vorfinden. Und: Das Objekt selbst heizt sich nicht so intensiv auf, weshalb auch hier weniger Energie für Klimaanlagen aufgewendet werden muss.

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Grünflecken überall! Das hilft dabei, das Office zu …

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… kühlen und schafft ein gutes Lebensgefühl.

Zusätzlich zum betrieblich bedingten laufenden Kohlenstoffverbrauch hat das Projektteam aber auch die Umweltauswirkungen der Konstruktion selbst im Fokus. Dabei streben die Ingenieure an, im Bauprozess selbst 60 bis 70% weniger Kohlenstoff zu emittieren, als bei einem typischen Bürogebäude dieser Größe eigentlich üblich ist. Schließlich hat man sich gegenüber den Auftraggebern dazu verpflichtet, den Bau innerhalb von 15 Jahren nach seiner Fertigstellung als klimaneutral bezeichnen zu können.

Gibt es doch ein Perpetuum mobile?

Und hier kommen wir nun wieder zurück zu den Photovoltaik-Paneelen, die mehr Strom produzieren werden, als notwendig. Dieser CO2-frei produzierte Energieüberschuss wird nämlich langfristig mit den Baumaßnahmen, die trotz allen Vorkehrungen CO2 freisetzen, gegengerechnet. Sprich: Ein durch erzeugten Sonnenstrom eingespartes Kilogramm CO2 gleicht ein während des Baus verbrauchtes Kilogramm aus.

Mehr als klimanneutral

Auf diese Art und Weise wird man in einem ersten Schritt das Ziel der Klimaneutralität erreichen. Und danach damit sogar eine negative CO2-Bilanz ausweisen können. Weil noch zumindest weitere 15 Jahre mehr Strom erzeugt werden wird, als das Objekt braucht.

Soll noch einer sagen, es gibt kein Perpetuum mobile … 😜

Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Heatherwick Studio

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