Zwischen Kalkstein und Kinderspiel
Die Architektur des Kindergartens Zöldike von Archikon Architects in Budapest schafft nicht nur Räume, sondern Beziehungen: zwischen heute und gestern, zwischen Außenwelt und fürsorglichem Lernumfeld.
Wie entwirft man Räume für Menschen, die noch nicht fließend und fehlerfrei sprechen können, aber jeden Tag lernen, fühlen und wachsen? Der Kindergarten Zöldike im Budapester Stadtteil Budafok gibt darauf eine architektonische Antwort – sensibel, kontextuell und mit einem bemerkenswerten Gespür für Geschichte und Entwicklungspotenziale.
Das ungarische Büro Archikon Architects hat mit diesem Projekt ein Haus für Kinder geschaffen, das sich nicht über eine extravagante Formensprache oder spektakuläre Gesten definiert. Nein, es entfaltet stille, feinsinnige Qualitäten. Und vielleicht sind es gerade diese, die den Kindern Aufmerksamkeit und einen neugierigen Fokus erlauben. Das entstandene Projekt vermag Vergangenheit und Gegenwart räumlich zu verweben – eine ebenfalls wertvolle Fähigkeit, wenn es um Bildung geht.
Tief verwurzelte Identität
Budafok liegt am Tétényi-Plateau, nahe der Donau, und ist geologisch vom Kalkstein geprägt. Diese Bodenbeschaffenheit hat eine lange Tradition des unterirdischen Bauens hervorgebracht. Seit der Römerzeit wurden hier Höhlen, Lagerräume und Weinkeller in den weichen Fels geschlagen – ein Erbe, das heute weitgehend unter der rasanten Verstädterung verschwunden ist.
Doch unter der Oberfläche lebt es weiter: In Form eines weit verzweigten Kellernetzes, das bis heute genutzt wird – und in Form von Lüftungsschächten, die die Oberfläche punktuell durchstoßen. Eben diese Lüftungstürme waren es, die den Architekten anfangs als Hürde erschienen. Später sollten sie sich als gestalterischer Glücksfall entpuppen.
Alte Schächte werden zu Spiel-Skulpturen
Statt diese Lüftungsschächte zu verstecken oder zu entfernen, hat sie das Team unter der Leitung von Csaba Nagy renoviert, vergrößert und ins „architektonische Vokabular“ des Kindergartens integriert. Ihre durchlöcherten Betonringe wirken heute wie große, verspielte Skulpturen. Sie sichern nicht nur den Luftaustausch, sondern laden zur Interaktion ein. Und sie machen neugierig – auf das, was sich darunter verbirgt.
Viele der Einheimischen am Tétényi-Plateau lebten früher vom Weinbau. Es war typisch, die Keller vor den Wohnhäusern zu bauen und bisweilen lebten die Menschen sogar in Höhlen, die in den Berg gehauen wurden. Jedoch ist dieses ortstypische Kellersystem durch die Ausbreitung der Vorstädte in Vergessenheit geraten.
Architektur als Prozess des Zuhörens
Die Haltung, mit der das lokale Architekturbüro Archikon an dieses Projekt herangegangen ist, lässt sich wohl am besten als forschend bezeichnen. Der Kindergarten ist kein Ergebnis eines formalen Entwurfsprozesses, sondern das Resultat einer „Neukontextualisierung von Wissen“. So umschreiben es die Architekten selbst. Als Basis dienten Ortsstudien, Gespräche mit den künftigen Nutzern und die tiefe Auseinandersetzung mit Geschichte, Material und Raum.
Es wurde kein Standardbau errichtet, sondern ein Ensemble, das sich aus mehreren pavillonartigen Baukörpern zusammensetzt. Sie verteilen sich locker über das Gelände und sind durch verbindende Korridore miteinander verknüpft. Dabei nutzt die Anordnung die topografischen Gegebenheiten und folgt dem natürlichen Gefälle des Grundstücks. So bleibt viel Privatsphäre und gleichzeitig lässt sich der Lichteintrag optimieren.
Sicheres Nest für die Kinder
Die Baukörper treten von der Straße zurück und bilden einen geschützten Raum – ein „sicheres Nest“, das Kinder zum freien Spiel anregt, ohne sie einzuengen. Trotz aller Funktionalität vermittelt der Zöldike-Kindergarten eine Leichtigkeit und Luftigkeit.
Die Architektur ist reduziert, fast skizzenhaft, doch voller liebevoller Details. Weiße Oberflächen, helle Holzverkleidungen und zartfarbene Bodenbeläge, in Rosa und Hellgrau, verweisen auf die Kalksteinberge der Umgebung – eine subtile Geste, die das Haus mit seiner Umgebung verbindet. Zugleich ist der Weißton bewusst gewählt, um der kindlichen Fantasie möglichst viel Projektionsfläche zu bieten.
Anregender, „taktiler Sockel“
Ein zentrales Element des pädagogischen Ansatzes ist die visuelle und physische Zugänglichkeit von Freiräumen. Anders als früher, wo Normen wegen der Heizkörper, die eine bestimmte Brüstungshöhe benötigten, keine niedrigen Fenster zuließen, liegen sie hier tatsächlich in Höhe der Kinderaugen. Sie ermöglichen Ausblicke auf den Hof, durchbrechen die Raumgrenzen – und machen die Außenwelt zu einem Teil der Innenräume.
Der sogenannte „taktile Sockel“, ein umlaufendes raumhohes Möbel, schafft Nischen, in denen Kinder sich zurückziehen, beobachten oder neue Spielideen entwickeln können. So wird Architektur zum Medium kindlicher Erfahrung – nicht nur als Schutzraum, sondern auch als Anregung.
Nachhaltigkeit, nicht nur als technische Qualität
Den Begriff Nachhaltigkeit verstehen die Experten von Archikon nicht nur rein technisch. Natürlich erfüllen die Gebäude energetische Standards. So sind etwa die Dächer begrünt und die Vordächer spenden Schatten und schützen vor Regen. Doch das eigentlich Nachhaltige an diesem Projekt ist sein tiefer Respekt für den Ort und seine Geschichte – und für die Nutzer.
Was häufig unterschätzt wird: Laut Pädagogen und Entwicklungspsychologen sind Kinder unter drei Jahren besonders empfänglich für ihre Umgebung. Sie erfahren die Welt mit allen Sinnen. Daher entsprechen ihnen die Räume der Zöldike Kindertagesstätte besonders gut. Sie belehren nicht, sondern begleiten.
Wie man merkt, hat Archikon diesen Bedarf ernst genommen. Indem sie die Spielräume nicht definieren, sondern offen halten. Indem sie Budget nicht in spektakuläre Außenwirkung investieren, sondern in langlebige, kindgerechte Materialien. Und indem sie ein architektonisches Erbe nicht als Last, sondern als Schatz betrachten, der gehoben werden kann.
Eine Architektur, die Brücken baut
Die Kindertagesstätte Zöldike zeigt eindrucksvoll, wie Architektur Kinder ernst nehmen kann – nicht als Mini-Erwachsene, sondern als eigenständige Menschen mit komplexen Bedürfnissen. Alle kommen hier zum Zug: die Kinder und ihr Spiel, die Vergangenheit, die mit der Brückenfunktion des Kindergartens mit der Zukunft verbunden wird.
In einer Zeit, in der Bildungsbauten oft als rein funktionale Hüllen gedacht werden, ist dieses Projekt ein bemerkenswertes Beispiel für eine sinnstiftende, kontextbezogene und empathische Architektur. Eine Architektur, die nicht nur Räume schafft, sondern Beziehungen – zwischen Mensch und Ort, zwischen Kind und Umwelt. Und vielleicht auch zwischen der Architektur von morgen und dem kindlichen Staunen, das ihr zugrunde liegen sollte.
Text: Linda Benkö
Fotos: Balázs Danyi