Während die meisten Bauwerke besonders spektakulär sein sollen, wollen OPEN Architecture ihre Konzerthalle Chapel of Sound in der chinesischen Bergwelt verstecken. Das Resultat: Ein besonderes Windspiel.

Mimikry. Ein Begriff, der in der Welt der Architektur in der Regel wenig Platz findet. Kein Wunder, er entspringt der Biologie. Mimikry. Das Wort beschreibt die Fähigkeit von Tieren oder Pflanzen, sich so sehr an die jeweilige Umgebung anzupassen, dass sie darin förmlich verschwinden. Unsichtbar werden. Freilich geht es dabei entweder darum, von potentiellen Feinden – oder Futterquellen – nicht entdeckt zu werden.

Gesehen werden ist alles, oder?

In der Architektur geht es seit jeher eher darum, jedenfalls Aufsehen zu erregen. Der Architekt will, dass man seinen Bau und damit ihn selbst wahrnimmt. Ruhm. Ehre. Folgeauftrag. So könnte man die Erfolgsformel besonders kreativer Studio-Gründer vereinfacht ausdrücken. Siehe: Bjarke Ingels. Zaha Hadid. Snøhetta.

Ganz anders das kürzlich fertiggestellte Projekt Chapel of Sound von OPEN Architecture in der chinesischen Provinz Hebei. Hierbei bauen die Macher nämlich buchstäblich darauf, dass die neue Konzerthalle so gut wie komplett mit ihrer Umgebung verschmilzt. Das Ergebnis: Die Chapel of Sound sieht aus wie ein massiger, perfekt ausbalancierter Felsbrocken in Kegelform, der auf geheimnisvolle Weise in ein Bergtal zwei Stunden entfernt von Peking gestürzt ist.

Beton mit Geheimrezept

Ein Effekt, der vor allem einer Art Wunderbeton zu verdanken ist. An der Rezeptur des Werkstoffs wurde demensprechend lange gefeilt. Schließlich sollte ein dunkler Farbton generiert werden, der nach seiner Trocknung in Farbe und Erscheinung dem umgebenden Felsen möglichst ähnelt. Das gelang schließlich mit einem smarten Trick: In die Betonmasse wurde verriebenes Gestein des Bauplatzes eingearbeitet.

Chapel of Sound

Doch dieses offensichtliche Aufeinanderprallen zweier Welten – Künstliches wird mit Natürlichem in Einklang gebracht – ist bloß eine von vielen derartigen Ausprägungen bei der Chapel of Sound. Vielmehr ist diese förmlich ein Mosaik verschiedenster Kontraste. Das spiegelt sich freilich besonders spektakulär im Hauptzweck der Konzerthalle wider.

Chapel of Sound: Für alle Klänge

Obgleich der Saal in erster Linie für Musikaufführungen konzipiert wurde, stehen die akustischen Inszenierungen der Landschaft gleichwertig im Vordergrund. Will heißen: Die Gründungspartner von OPEN, Li Hu und Huang Wenjing erschufen einen Raum, der ohne jegliche technische Hilfsmittel eine perfekte Akustik ermöglicht.

Die Stimme der Natur

Weil der Saal aber über eine große Öffnung an der Oberseite sowie Aussparungen an den Außenwänden verfügt, fängt der Klangkörper auch die umliegenden Naturgeräusche ein. „Wenn Vögel singen, Insekten zwitschern oder eine sanfte Brise durch benachbarte Bäume raschelt – der felsenartige Aufbau der Chapel of Sound agiert dabei als Verstärker für die natürliche Klanglandschaft“, so die zwei Masterminds. 

Schließlich soll die Kapelle – wenn sie gerade nicht für Konzerte genutzt wird – für stille Kontemplation genauso den idealen Rahmen bieten. „Durch die bewusste Mischung aus organisch und industriell, innen und außen, offen und geschlossen gelingt das ganz ohne technische Hilfsmittel“, sagen OPEN Architecture.

Chapel of Sound als Abbild des Schalls

Die Idee, jeder Art von Schall Raum zu geben ist übrigens auch der Grund, für die ungewöhnliche Form des Bauwerks.  „Wir wollten die Form des Klangs sichtbar machen“, sagen Li und Huang.

Und Schall breitet sich bekanntlich in Trichterform nach oben hin aus. Außerdem würde sie die Vision, dem Schall eine Optik zu verpassen, schon lange begleiten: „Wir mögen den Hall von Schall in großen Räumen, darauf fußt unsere Arbeit“, sagen sie. Und verweisen damit auf die Vielzahl von Konzerthäusern, denen OPEN Architecture bereits seine architektonische und weit weniger „versteckte“ Handschrift verpasst hat.

Dass sich nun ihre Chapel of Sound in der Natur zu verstecken versucht, kann man übrigens auch noch anders verstehen, als es die Architekten aktiv kommunizieren. Das Bauwerk befindet sich unweit eines nicht restaurierten und touristisch bisher kaum frequentierten Teilstücks der Chinesischen Mauer im Bereich Jinshanliang.

Einfach ein schönes Mascherl?

Dennoch steht sie dort nicht für sich allein: Die Chapel of Sound ist Teil einer großangelegten Ferienanlage für den wohlhabenden Teil der chinesischen Stadtbevölkerung. Der Bauherr Aranya hat das Konzept – landschaftliche Schönheit kombiniert mit kulturellem Angebot und außergewöhnlicher Architektur – an der sogenannten Goldküste bei Qinhuangdao im Grunde vorgegeben. Aber diese Story klingt freilich nicht halb so gut …

Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Jonathan Leijonhufvud, Runzi Zhu, Nan Ni, Right Angle

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