Das „Sonnenfächer-Passivhaus“
Der Grundriss ähnelt einem Tortenviertel. Das dominierende Material ist Holz. Das hübsche Eigenheim hat alles, was es braucht, um energie-autark zu sein. Kurzum: Stempel & Tesar architekti haben ein kleines Juwel geschaffen. Ein „Sonnenfächer-Passivhaus“.
Für Passanten, die im südlichen Teil der tschechischen Stadt Malé Kyšice daran vorbeispazieren, sieht das Häuschen fast ein wenig abweisend aus. Weil die der Straße zugewandte, graue Wand nicht verrät, welch komfortabel zukunftsfittes Eigenheim sie verbirgt. Schade, eigentlich. Denn das 2022 fertiggestellte Gebäude ist ein Musterbeispiel innovativer Baukunst. Designt von Stempel & Tesar architekti, nützt es alle Möglichkeiten autarker Energiegewinnung und Ersparnis. Die Architekten bezeichnen es als „Haus, das sich zur Sonne öffnet“. Wir nennen es hier – seiner Form geschuldet – das „Sonnenfächer-Passivhaus“.
Aus Liebe zur Natur
Ursprünglich fanden sich im Viertel, in dem nun das „Sonnenfächer-Passivhaus“ steht, in erster Linie typische Wochenend-Domizile. Die Familie des Bauherrn entschloss sich schon vor Pandemie und Energiekrise, dort ein preisgünstiges Haus mit Garten zu erwerben. Einfach weil’s ihrer Lebenseinstellung und Liebe zur Natur entsprach. Ebenso, wie der Wunsch nach einem kostengünstigen Passivhaus, das das bestehende Gebäude ersetzen sollte.
Eine Entscheidung, die sich jetzt doppelt bezahlt macht. Denn die beim Neubau angewandten Grundsätze sind inzwischen relevanter denn je. Und Stempel & Tesar architekti haben die, auf dessen Idealen beruhenden Vorstellungen des Bauherrn bis ins Detail umgesetzt.
Viel Holz und Glas
Die Form des Neubaus ähnelt einem Viertelkreis mit Wänden aus Sichtbetonsteinen. Die gerundete Seite und die Decken sind aus Holz gefertigt. Das „Sonnenfächer-Passivhaus“ öffnet sich mit vollverglaster Fassade nach Südwesten zum Garten. Dort fängt es – wie ein Fächer – Sonnenstrahlen auf, um ihre Energie zu nützen. Durch seine außergewöhnliche Form und Ausrichtung profitiert das Innere des Gebäudes sowohl von den ersten, als auch von den letzten Sonnenstunden des Tages.
Natürlich haben die Architekten Stempel & Tesar auch an Schutz vor übermäßiger Hitze gedacht. So ist das „Sonnenfächer-Passivhaus“ mit einem überhängenden Dach ausgestattet. Und es verfügt über horizontale Beschattung, die im Sommer die Fenster gegen die Mittagssonne abschirmt und im oberen Stockwerk als Balkon dient. Deckenbalken überspannen diesen Balkon sowie die Terrasse im Erdgeschoss.
Extra Hitzeschutz
Auch in die dreifach verglasten Fenster eingebaute Jalousien tragen zum Komfort an Sommertagen bei. Durch hochwertige Verarbeitung und moderne Technologie ist ihre Wirksamkeit mit jener von Außenjalousien vergleichbar.
Im Innenbereich spielt das Design weiterhin gekonnt mit dem Kontrast zwischen Beton- und Holzbauteilen. Von Wohnzimmer, Küche und Esszimmer im Erdgeschoss führt eine offene Treppe zu den vier Schlafzimmern im oberen Stock. Die Bäder, Wirtschafts- und Abstellräume befinden sich entlang der Betonwände. Der Treppenaufgang windet sich um einen Ofen mit Wärmetauscher, der die Autarkie des Einfamilienhauses unterstützt, wenn Sonnenkraft den Heiz-Bedarf nicht decken kann.
Gemütlich und autark
Das „Sonnenfächer-Passivhaus“ besteht hauptsächlich aus erneuerbarem Material: Aus Holz. Seine Konstruktion demonstriert die beim Bau angewendeten Prinzipien in jedem Detail, einschließlich der Stahlgelenke und Verbindungselemente, die dem Innen- und Außenbereich den letzten Schliff verleihen. Und wie schon bei der Gebäudeform, haben die Designer auch in Sachen Interieur eine originelle Idee verwirklicht: Eingebaute Möbel wurden so zwischen den Balken platziert, dass die gemütlichen Räume ein bisschen an Schiffskabinen erinnern.
Im Fokus des nachhaltigen Ansatzes standen auch Strapazierbarkeit und Lebensdauer. Deshalb haben Stempel & Tesar die Windseiten des Hauses durch Mauern aus Betonblöcken geschützt.
Durchdachtes Konzept
Eine isolierte Doppelwand sorgt für natürliche Wärmespeicherung und unterstützt die Stabilität des Gebäudes. Dass alle technischen Räume und Bäder entlang dieser massiven, stabilen Wände konzentriert wurden, soll eine Art Balance-Zone zwischen der Süd- und Nordseite des Bauwerks schaffen.
Auch sparsamer Umgang mit Wasser war dem Bauherrn ein Anliegen. Deshalb optimiert ein kleiner Teich die Regenwassernutzung. Unterstützt durch eine Pflanzenkläranlage sorgt er dafür, dass der Garten auch in Trockenperioden ausreichend bewässert werden kann. Die Rückhaltung des Oberflächenwassers im Grünbereich beeinflusst das Mikroklima in der unmittelbaren Umgebung Hauses positiv.
Sparsames „Sonnenfächer-Passivhaus“
Zudem leitet das „Sonnenfächer-Passivhaus“ keine Abwässer in die örtliche Kanalisation ein. Alles Wasser wird mindestens doppelt verwendet. Und was die Luft betrifft, wird Rückgewinnung genutzt, um in den Wintermonaten Frischluft von außen zu erwärmen.
Die Eigentümer bezogen ihr neues Zuhause bereits bevor es gänzlich fertiggestellt war. Im Laufe der Zeit haben sie nicht nur die 157 Quadratmeter Wohnfläche, sondern auch die gesamten 725 Nutzfläche ganz nach ihren Wünschen gestaltet. So ruht nun unterm Garten ein vorgefertigter Keller aus recyceltem Kunststoff.
Origineller Zusatz-Stauraum
Für die Aufbewahrung von Gartengeräten und Fahrrädern hat der Eigentümer eine ausgefallene Lösung gewählt: Im Freien aufgestellte Frachtcontainer, deren leuchtendes Orange das Grundstück mit fröhlich anmutenden Farbklecksen bestückt.
Schon klar, dass große Passivhaus-Projekte wie etwa der Wolkenkratzer „Canada’s Eearth Tower“ global weit mehr Aufmerksamkeit erregen. Doch ebenso steht fest, dass Architektur und Baubranche insgesamt auf die Herausforderungen dieser Zeit eingehen müssen. Und die legendäre Tier- und Umweltschützerin Jane Goodall steht längst nicht mehr allein mit ihrer Ansicht, dass jeder Einzelne einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten kann – und sollte.
Der Bauherr, der nun sein „Sonnenfächer-Passivhaus“ genießt, und das Team des innovativen tschechischen Büros Stempel & Tesar architekti haben sich bereits darum bemüht. Im Kleinen nur, am Stadtrand von Malé Kyšice. Aber mit einem kreativen, zukunftsorientierten Konzept, das auf jeden Fall Beachtung verdient.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Filip Šlapal, Stempel & Tesar architekti