Design-Ideen, die neue Welten schaffen
Wenn Karosserien Solarstrom erzeugen, Blatt-Adern Leuchtobjekte werden und Manhattan organisch wächst, hat Nikolay Hristov Ivanov die Hand im Spiel: Design-Ideen des Architekten ernten stetig Lob und Preise. Im Zentrum stehen Natur und Licht.
Industriedesigner entwerfen Autos und Architekten bauen Häuser. Klare Sache, oder? Nein, nicht ganz. Denn es ist just ein junger, bulgarischer Architekt, der kürzlich in Bilbao den ersten Preis der Maier Design Competition erhielt. Für sein Konzept „Flux Visions 2025“. Was den in Wien lebenden Nikolay Hristov Ivanov zur Teilnahme bewog? Vor allem das Thema. Ging es doch darum, zu zeigen, wie Licht in Zukunft die Wahrnehmung von Autos verändern wird. Und Licht spielt in Ivanovs Arbeit eine große Rolle.
„Was mich interessiert, ist, wie sich Licht in Projekte einbinden lässt und wie es sie beeinflusst“, schildert Ivanov. Im Fall von „Flux Visions“ sei es ihm vor allem um Licht gegangen, das von außen auf Gegenstände oder Flächen trifft.
Dabei kam eine Design-Idee zum Tragen, die Ivanovs Projekten oft zugrunde liegt: Farben, die erst durch Strukturen und Beschaffenheit des Materials entstehen. Wie Pfauenfedern oder Schmetterlingsflügel, die im Sonnenlicht schillernde Pracht entwickeln, changiert auch das Material der „Flux“-Karosserie. Dies verleiht dem Fahrzeug zusätzliche Signalwirkung.
Pflanzen als Design-Vorbild
Auch Ivanovs Passion für Vorlagen aus der Natur fand Eingang ins Sieger-Projekt: Wie Pflanzenblätter wandelt die Oberfläche der Karosserie das auftreffende Licht zu ihrem Nutzen um – indem sie es zur Energiegewinnung nützt.
Die erste lobende Erwähnung internationalen Gewichts erhielt der damals 21-jährige, in Bulgarien geborene Architekt bereits 2003. Und zwar von der Londoner Tate Modern Gallery, für sein Projekt einer Kunstgalerie im All. Seitdem wächst die Liste der Auszeichnungen des diplomierten Zaha Hadid Meisterklassen-Absolventen. Darunter etwa auch besonderes Lob für sein Projekt „Fiber Garden“: Den futuristischen Entwurf eines Urban Farming-Forschungszentrums für New York, den Ivanov 2011 zur „Suckerpunchdaily Competition“ eingereicht hatte.
Der „Fiber Garden“ zog ebenfalls Muster aus der Natur heran. Auf Basis dreier „Schichten“, deren Funktionen sich optimal ergänzen: Hülle mit Solarpaneelen und Skelett, Bewässerungssystem und Bepflanzung. Die durchlässige Außenhaut produziert Sonnenenergie, lässt jedoch auch Licht für die Pflanzen ein. Und die Gesamtform des Gebäudes sammelt – wie gigantische Blätter – Regenwasser, das zur Bewässerung verwendet wird.
Biologie inspiriert Design und Architektur
Biologische Systeme in neue Strategien für Architektur und Design zu verwandeln, ist Nikolay Hristov Ivanovs Leidenschaft. Größer als sein Bedürfnis, Pläne für „normale“ Häuser zu entwerfen. Und vieles, was bei seiner Suche nach neuen Wegen entsteht, ist seiner Zeit voraus.
Ein Beispiel dafür ist eines seiner allerersten Projekte: Das nahezu transparente Leucht-Objekt „Phyllon“ entstand mit Hilfe von Computer-Berechnung und 3-D-Druck. Ein filigraner Lichtspender, der optisch fast im Raum verschwindet. Als Vorlage dienten die feinen, netzartig verzweigten Blatt-Adern einer Pflanze.
Die Herstellung entspricht jener feinstgliedriger Schmuckstücke: Der aktuellste Phyllon-Prototyp hat 25.000 verbindende Röhrchen mit jeweils nur zwei Millimetern Durchmesser. Winzige Solarzellen mit Elektroden an beiden Seiten empfangen natürliches Licht je nach Sonnenstand. „Ich bin bis heute glücklich mit diesem Entwurf. Leider hatte damals noch nicht einmal die Manufaktur Swarowski ein Verfahren, mit dem man Kristall entsprechend verschmelzen kann“, erzählt Ivanov.
Preisgekröntes Licht-Objekt
Erfolgreicher verlief 2017 die Einreichung seines „Light Column“-Entwurfes zur „OLED Design Competition“ des LG-Konzerns. Das zur Ausschreibung „Light and Space“ eingebrachte Leuchtobjekt holte dem Margarete Schütte-Lihotzky Stipendiaten in Seoul den zweiten Preis in der Kategorie „Space Design“.
Es basiert auf der Struktur der Doppelhelix. Extrem dünne, flexible OLED-Paneele an den Außenseiten der beiden „Helix-Stränge“ der Light Column machen das Objekt zur vielseitigen Lichtquelle. Und zugleich zu einem Element, das zur Raumgestaltung genützt werden kann: Im Leerraum zwischen den Strängen könnten etwa Buchregale oder Lautsprecher Platz finden.
„Ich will eine breitere Ideen-Welt entwickeln, als man es kann, wenn man sich auf einen bestimmten Bereich konzentriert“, erklärt Ivanov seinen stetigen Forschungsdrang. Zu nützen, was die Natur „erfunden“ hat, sei Quell fast grenzenloser Inspiration. Vor allem auch, wenn es um Nachhaltigkeit geht.
Design-Material aus Kartoffeln und Agar
Ivanov experimentiert mit flexiblen Materialien aus Agar und Kartoffelstärke, die er für weitere Design-Objekte verwenden will. Und er ist überzeugt, dass die Grenzen zwischen „mensch-gemachter“ und natürlicher Umwelt verschwimmen könnten. Dass dies künftig von Vorteil wäre, legt beispielsweise auch sein Projekt „Bio Informed“ nahe.
Neben „Fiber Garden“ landete auch Ivanovs „Bio Informed“ unter den Nominierungen des „Outstanding Artists Award“ für Experimentelle Tendenzen in der Architektur. Das Thema: Von Tieren errichtete „Gebäude“, die für optimale Lebensbedingungen der jeweiligen Spezies sorgen.
Vorlage: Insekten-Architektur
„Der Unterschied zwischen von Menschen und von Tieren konstruierten Behausungen liegt in der Anpassung an veränderte Umstände“, konstatiert Ivanov: „Bei Tieren richtet sich diese selbstorganisiert nach Raumbedarf, Material und Stabilität der Struktur. Bei Menschen führen Mechanisierung und Massenproduktion zu standardisierten Gebäude-Typen“. Für das Projekt „Bio Informed“ wurden die Baukünste von Ameisen und Termiten mittels Computer-Design in Modelle umgewandelt, die Architektur aus Menschenhand bereichern.
Stadt-Erweiterung nach tierischem Bauplan
Eine Idee, die Ivanov auch inspiriert, wenn es um Stadterweiterung geht. Auch schon in seinem Projekt „Veins – Venues“ zum 100-jährigen Jubiläum des New York Grid – jenes geometrischen Rasters, der Manhattans Straßen und Gebäuden zugrunde liegt. „Ich habe eine biologische Erweiterung in die Ufergegend vorgeschlagen. Einen starren Archipel“, beschreibt der Architekt.
Einen Preis errang die Einreichung zwar nicht. Ausgestellt wurde sie jedoch sehr wohl. Mit gutem Grund, wie ein Blick aufs Modell deutlich macht: Nikolay Hristov Ivanovs Entwurf erinnert an Insektenbauten. Mit deutlich mehr Luft und Freiraum zwischen den Röhren oder Waben.
Kein klassischer Stadtplan, wie ihn heute jeder Laie kennt. Eine futuristische Vision, die Lebensqualität trotz wachsender Bevölkerungsdichte in Aussicht stellt. Und damit ein Blick über den Tellerrand gewohnter Architektur, der durchaus Licht in eine sonst womöglich düstere Zukunft bringen könnte.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Nikolay Hristov Ivanov