Ein Haus aus Hanf
Zu 80 Prozent wiederverwertbar, zu 70 Prozent aus Rohstoffen gebaut, die aus einem Umkreis von 30 Kilometern stammen. In Südtirol wurde ein alter Stall zu einem Haus aus dem Öko-Baustoff Hanf umgewandelt.
Hanf als Baustoff. Das wirft Fragen auf. Sorgt möglicherweise für Skepsis. Doch tatsächlich hat Mathias Claudius Telser ein Haus geplant und gebaut, das zum Großteil aus dem Öko-Baustoff Hanf besteht.
Begonnen hat alles mit einer Vision. „Ist es möglich, aus eigener Willens- und Körperkraft ein Haus zu bauen, das ungenutzten Bestand mit natürlichen, abbaubaren und wiederverwendbaren Materialien aufwertet? Das so Wohnqualität mit Verantwortung für Natur und Umwelt ermöglicht“, formuliert es Telser. Diese Fragen spukten schon seit einigen Jahren im Kopf des Südtirolers herum.
Massiver ökologischer Fußabdruck
Seit 15 Jahren beschäftigt sich der Südtiroler mit Planungen im Hoch- und Tiefbau. Telser, gelernter Polier und Maurer sowie seit 2008 Chef eines eigenen Bau- und Planungs-Unternehmens, hatte den Wunsch nach Veränderung. Seine Firma war viel in Großprojekte in Tirol, Italien und der Schweiz eingebunden. Mit zunehmendem Erfolg und Wachstum des Unternehmens wurden die Projekte allerdings immer konventioneller. Auch der ökologische Fußabdruck der Bauten wurde immer größer. Diesen Schuh wollte sich Telser nicht länger anziehen.
Wenn wir weiter nicht auf die Umwelt schauen, werden wir bald keine Umwelt mehr haben.
Mathias Claudius Telser, Chef am Meisterbetrieb Hanfhof in Südtirol
Suche nach Öko-Baustoff
“Ich war überzeugt, es muss auch anders gehen. Und ich wollte herausfinden, wie“, verrät Telser. Da stand dann dieser alte Stall im Nachbarort. Leerstehend. Ungenutzt. Vom Verfall bedroht. Aus diesem Stall wollte Telser etwas Neues schaffen. Etwas Ungewöhnliches. Das war die Antwort auf all seine Fragen.
„Ich habe mir ein Jahr Auszeit genommen, den alten Stall in Schluderns gekauft und das Projekt Hanfhaus gestartet.” Im Frühjahr 2020 war Baubeginn. Nach gut einem Jahr stand das Hanfhaus.
Verwenden, was da ist
Dem erfahrenen Bauherrn war von Anfang an wichtig, möglichst viele natürliche, naturbelassene, am besten bereits gebrauchte Materialien zu verwenden. Das Holz des Bestandes diente daher als Ausgangsmaterial für den Neuaufbau des Stalls. Das alte Gebäude wurde nicht einfach abgerissen, sondern Latte für Latte, Balken für Balken abgebaut. Die Außenfassade wurde später beispielsweise mit aussortierten, astigen Föhrenlatten verkleidet.
„Statt das neue Fundament wie heute üblich zu betonieren, habe ich mich für eine alte, weniger invasive Methode entschieden und das Fundament mit Steinen aus der Umgebung ausgelegt. Ein zusätzlicher Vorteil dieser Herangehensweise war, dass die alten Obstbäume um den ehemaligen Stall heute noch stehen“, blickt der Bauprofi zurück.
„Für die tragenden Wände habe ich mich für Hanf-Kalk-Ziegel entschieden“, gibt Telser weitere Einblicke in sein Vorhaben: „Dazu habe ich bereits ein Jahr vor dem Umbau begonnen, Nutzhanf anzubauen, den ich anschließend selbst zu Ziegeln verarbeitet habe.“ Mit einem Hektar des Öko-Baustoffs Hanf, der zu den ältesten Nutzpflanzen der Menschheit zählt, kann man ein Haus bauen. Hanf-Kalk brennt nicht und reguliert die Luftfeuchtigkeit.
Hanfziegel sind ausgezeichnete Wärmespeicher, sodass es im Winter warm und im Sommer kühl bleibt. Sie dämmen hervorragend und regulieren die Raumfeuchtigkeit.
Mathias Claudius Telser, Erbauer des Hanfhauses in Schluderns
Statik als Herausforderung
Das Material für die tragende und dämmende Struktur stammt zu 70 Prozent aus einem Umkreis von 30 Kilometern. Insgesamt sind 80 Prozent der verwendeten Materialien wiederverwertbar. Die statischen Herausforderungen waren enorm. Die natürlichen Materialien sind lebendig, „arbeiten“ und sind damit ständig in Bewegung.
Gebrauchte Holz-Schindeln aus dem Großen Walsertal in Vorarlberg verwandelten sich in den Balkon. Gerade einmal 15 Jahre hatten sie an der Fassade eines alten Bauernhauses als Schutz gegen Wind und Wetter gedient. Der Experte aus Südtirol fand sie noch immer brauchbar, vor allem aber eines zweiten, langen Lebens würdig. Die Türen sind zum Teil sogar mehr als 200 Jahre alte Zirbenholz-Modelle. Handgefertigt natürlich.
Weil es richtig ist
Beim Innenausbau mutierte jede einzelne Wand zum Experimentierfeld aus verschiedenen natürlichen Putzen, Farbpigmenten und längst vergessener Handwerkskunst. Hier wurde ausprobiert, Ideen in die Tat umgesetzt. Für die Zukunft gebaut. Alte Milchkannen verwandelten sich in Waschbecken, alte Schüsseln in Lampen.
„Weil dieses Haus mir und hoffentlich auch vielen beweist: Es ist möglich, nachhaltig, ressourcenschonend und dennoch den Anforderungen an zeitgemäßes Wohnen gerecht zu bauen“, verrät der Bauherr zu seiner Motivation. „Vielleicht nicht günstiger als in konventioneller Bauweise, aber auch nicht teurer. Wenn man es ernst meint, gibt es auch beim Bauen und Wohnen keine Ausreden, sich seiner Verantwortung für unsere Umwelt, unser Klima und nachfolgenden Generationen zu stellen.“
Österreichisch-Italienische Freundschaft
Eine wichtige Stütze in allen Phasen war und ist Partnerin Magdalena Tuertscher. Grafikerin und Fotografien aus Vorarlberg mit eigener Agentur in Bludenz. Die Creativdirectorin steuerte schon ab der ersten Nachdenkphase viele Ideen bei.
Respektvoll mit unseren Ressourcen umzugehen, meint Telser zu seinem großen Experiment „Naturhaus“. Vor allem aber, so sein Auftrag: „Vom Reden ins Tun zu kommen. Mit diesem Projekt möchte ich auch anderen Menschen Mut machen, neu und anders zu denken – und vor allem zu handeln.“
Der Hanfbau-Experte bietet sein beim Bau des Hanfhauses erworbenes Wissen zur Herstellung von Hanf-Kalk-Ziegel, Innenausbau mit natürlichen Hanf-Putzen und Sgraffito-Veredelungen daher auch Schulen, Studierenden und allen Interessierten in Workshops an.
Telser führt nach wie vor seine eigene Firma, hat sie aber auf ein Zwei-Personen-Team reduziert. Zum Hanfhaus gehören auch kleinere Felder und Wiesen, daher firmiert es auch unter Hanfhof.
Ich will jetzt nicht predigen, aber wir müssen die konventionelle Bauweise einfach verändern und den Naturprodukten eine Chance geben.
Mathias Claudius Telser, Hanfbaumeister und umweltbewusster Unternehmer
„An diesem Haus gibt es kein Stück Holz, keinen Stein und keine Kelle Putz, die nicht durch meine Hände an ihren Platz gelangt sind. Ich war Planer, Bauherr und Arbeiter in einem. Ein Jahr lang, sieben Tage die Woche“, rekapituliert der Hanfhausbesitzer. „Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, es war ein Spaziergang. Es war ein Lehrpfad. Einer, der mich viel Zeit, Kraft, Ausdauer und natürlich auch Geld gekostet hat. Dieses Haus ist nahezu in 100 Prozent Eigenleistung entstanden. Doch für mich war es jede Minute, jeden Schweißtropfen und jeden Cent wert.“
Text: Albert Sachs
Foto: buero magma
Foto: Hanfhaus / Hanfhof