Die zirkuläre Waldstadt
Eine High-Speed-Bahn verbindet das hyggelige Waldhaus mit Oslos Stadtzentrum. Ellingsrudgrenda soll Norwegens erstes kreislauffähiges Quartier werden. Der Masterplan zur klimaneutralen Stadtentwicklung kommt vom Architekturbüro Snøhetta.
Norwegens aktuell größtes Verkehrsprojekt Follobanen hat mit ein paar Pannen zu kämpfen. Vor ein paar Jahren, mitten in den Bauarbeiten des Megaprojektes, ging der italienische Generalunternehmer Condotte pleite. Im Dezember 2022 wurde die neue Hochgeschwindigkeitszugstrecke schließlich von König Harald feierlich eröffnet und gleich darauf wegen technischer Schwierigkeiten wieder geschlossen. Seither arbeitet man daran, die Bahnstrecke mit dem längsten Eisenbahntunnel Skandinaviens für die Nutzer freizugeben. Die neue Linie wird die 20 Kilometer südlich von Oslos Zentrum gelegene Stadt Ski – ja, der Ort hat viel mit dem gleichnamigen Sport zu tun – mit der Hauptstadt verbinden. Die Fahrzeit halbiert sich von 22 auf elf Minuten, was das Einzugsgebiet für Pendler besonders attraktiv macht. Und zwar auch für jene, die im künftigen Siedlungsgebiet Ellingsrudgrenda leben werden. Ein ambitioniertes Vorzeigeprojekt, das das Wohnen im Grünen nachhaltig und zirkulär machen soll.
Wir wollen aus dem Gewerbegebiet so viele Bestandsbauten wie möglich umnutzen und ein lebendiges Quartier mit unterschiedlichen Wohnformen und -angeboten schaffen.
Tonje Frydenlund, Landschaftsarchitektin und Projektleiterin bei Snøhetta
Wenn das alles so umsetzbar ist wie geplant, dann treffen die Stadtplaner damit einen Nerv der Zeit. Das Wohnen im stadtnahen Grünen erfreut sich nämlich ungebrochen hoher Beliebtheit, ist aber in den meisten Fällen weder sozial noch ökologisch verträglich. Abgesehen von Flächenfraß, Zersiedelung und erhöhtem Pendlerverkehr fördert das klassische Einfamilienhaus, vor allem im Alter, Einsamkeit und soziale Isolation.
Nachhaltig wohnen im Grünen
In Ellingsrudgrenda hingegen trifft Waldhütte auf städtische High-Speed-Anbindung und kollektiver Gemüseanbau auf integrative Energiekonzepte und die Transformation von Gewerbebrachen. „Wir wollen so viele Bestandsbauten wie möglich aus dem Gewerbegebiet umnutzen und ein lebendiges Quartier mit unterschiedlichen Wohnformen und -angeboten schaffen“, sagt Tonje Frydenlund, Landschaftsarchitektin und Projektleiterin bei Snøhetta. „Wir werden auch die Biodiversität in den Grünflächen in Ellingsrudgrenda weiterentwickeln und erhöhen. In einem gemeinsamen Garten werden Lebensmittel angebaut und der Wald als Naherholungsgebiet liegt direkt vor der Haustüre.“
Das zukunftsfähige Viertel entsteht in der Kommune Nordre Follo, die man als eine der zentralen Wachstumsgebiete rund um Oslo ausgewiesen hat. Damit dieses Wachstum auch nachhaltig ist, haben sich die Architekten von Snøhetta, die Investoren von Stil Invest und die langjährigen Schiffsbauer und Immobilienentwickler von Höegh Eiendom zusammengetan, um die Stadt neu und vor allem nachhaltig zu denken.
Wohnraum für 6.000 Menschen
Wenn das Projekt grünes Licht für die weitere Planung erhält, werden in dem neuen Viertel künftig bis zu 6.000 Menschen in rund 700 Einfamilienhäusern und 1.200 Wohnungen leben. Der neue Transport-Hub, der den Bahnhof in Ski erweitert, ist für die Bewohner von Elllingsrudgrenda zu Fuß in zehn Minuten zu erreichen. Oslos zentrale Metro-Station Jernbanetorget können sie mit der neuen Follobanen also in 20 Minuten erreichen.
Bei einer Ausgangslage wie dieser muss man künftige Bewohner nicht erst dazu anhalten, ihr Auto in der Garage zu lassen. Das öffentliche Verkehrsmittel ist in diesem Fall die eindeutig beste Wahl. Die Speckgürtelproblematik, mit der viele Metropolen in Form von chronisch überfüllten Straßen zu kämpfen haben, ist damit entschärft. Dass heutzutage nach wie vor neue Straßen gebaut werden, um Stadterweiterungsgebiete zu erschließen, ist nur schwer nachvollziehbar, und das nicht nur für militante Umweltschützer. „Wenn Umwelt und Natur etwas brauchen, dann sind es ambitionierte Modellprojekte wie dieses“, ist Frydenlund überzeugt.
Klimaneutrale Stadtentwicklung
Das geplante Wohnviertel südlich von Oslo zeigt mit seiner vorausschauenden Planung, dass es auch anders geht, und will die Latte in puncto grüner Stadtentwicklung höher legen. Grundlage des Projektes sind die strengen Nachhaltigkeitskriterien von FutureBuilt, einem Programm, an dem sechs Osloer Stadtgemeinden teilnehmen. „Unsere Vision ist es, zu zeigen, dass klimaneutrale Stadtentwicklung auf der Basis von qualitätsvoller Architektur möglich ist“, wie die Initiative auf ihrer Homepage erklärt.
Als erstes zirkuläres Wohnquartier Norwegens könnte Ellingsrudgrenda auch zu einem Modell für andere Städte werden und zeigen, dass sich der Traum vom Wohnen im Grünen auch nachhaltig leben lässt.
Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: RamkaCo, Snøhetta, Höegh Eiendom