Morgendämmerung in Osaka
Die Niederländer lassen in ihrem Expo-Pavillon „Common Ground“ in Osaka rund um die Uhr die Sonne aufgehen. Eine Hommage an diese unendlich erneuerbare Energiequelle und zugleich ein Manifest der Zirkularität, die in Japans Geschichte fest verankert ist.
Vor etwa 400 Jahren, zur Edo-Zeit, herrschte in Tokio das Paradebeispiel einer erfolgreichen Kreislaufwirtschaft, die unter dem Begriff Edonomy in die Geschichte einging. Aufgrund der Regierungsvorgabe, keinen Handel mit dem Ausland zu treiben, musste die einst größte Stadt der Welt mit dem auskommen, was sie hatte. Materialien wurden stets wiederverwendet, repariert und recycelt. Nicht umsonst entwickelten sich in Japan Reparaturtechniken wie Boro (für Kleidung) oder Kintsugi (für zerbrochenes Geschirr) zu anerkannten Kunstformen. Edo, wie Tokio damals hieß, war der Inbegriff einer Stadt ohne Abfall, die auf nachhaltige Weise eine Million Menschen versorgte. Dieser japanische Weg bietet wertvolle Erkenntnisse für die Welt von heute, die in Anbetracht von knappen Ressourcen und voranschreitender Klimakrise weg muss vom linearen Take-Make-Waste-Prinzip.
Inspiriert von der Edonomy
Beim niederländischen Expo-Pavillon in Osaka besinnt man sich auf das zirkuläre Wirtschaften, das Japan einst so perfektioniert hat. „Der niederländische Pavillon für die Expo 2025 in Japan reagiert auf eine der größten Herausforderungen der Menschheit: Alles, was nicht wächst, ist endlich“, erklärt das niederländische Architekturbüro RAU. „Im Geiste der Edo-Ära ist dieser Pavillon ein Manifest für eine Welt, die nicht nur unseren eigenen Bedürfnissen dient, sondern auch das Erbe künftiger Generationen bewahrt.“
Im Geiste der Edo-Ära ist dieser Pavillon ein Manifest für eine Welt, die nicht nur unseren eigenen Bedürfnissen dient, sondern auch das Erbe künftiger Generationen bewahrt.
RAU, Architekturbüro
Ein Bauwerk mit Materialpass
Die Planerinnen und Planer des niederländischen Ausstellungsbeitrags stellen diese Ära unter das Vorzeichen der Zirkularität und gehen dabei mit gutem Beispiel voran.
„Der vollständig kreislauffähige Pavillon kann andernorts wieder aufgebaut werden. Alle Materialien sind in einem Materialpass auf der Madaster-Plattform verzeichnet, damit sie später wiederverwendet werden können und nicht verloren gehen“, erklärt RAU, das sich mit Wohnbauprojekten wie Juf Nienke und dem Vogelobservatorium Tij dem zirkulären Holzbau verschrieben hat.
Der vollständig kreislauffähige Pavillon kann andernorts wieder aufgebaut werden.
RAU, Architekturbüro
Denn, auch wenn alle Pavillons einer Expo stets nur temporäre Bauwerke sind, so ist die Kreislauffähigkeit der Strukturen keine Selbstverständlichkeit.
Im Gegensatz zu den Weltausstellungen der Vergangenheit versucht man heute allerdings vermehrt eine Nachnutzung für die Ausstellungsbauten zu finden. Sei es als Bürogebäude, Veranstaltungsorte oder sogar als Studentenwohnheime.
Inspiriert vom Turm der Sonne
Von der Weltausstellung im Jahr 1970, die ebenfalls in Osaka ausgetragen wurde, zeugt heute noch ein Expo Erinnerungspark. Die ikonischen metabolistischen Bauwerke, die damals für internationales Aufsehen sorgten, wurden fast alle nach der Expo abgerissen. Erhalten blieb lediglich das Osaka Expo ’70 Stadion sowie der 70 Meter hohe Turm der Sonne des Künstlers Tarō Okamoto.
Diese avantgardistische Skulptur diente den niederländischen Architekten als Inspiration: „Der Turm der Sonne steht für die Kraft der Natur und die unendliche Energie, mit der die Sonne alles Leben auf der Erde versorgt.“ Die drei dargestellten Sonnen repräsentieren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Die Leuchtkugel des niederländischen Pavillons beruft sich in ihrer Größe auf den historischen Expo-Turm und schafft damit eine Verbindung zur Vergangenheit. Mit einem Durchmesser von knapp elf Metern spiegelt sie die Dimension der goldenen „Zukunftssonne“, die Okamoto 1970 über Osaka aufgehen ließ.
Gemeinsam Lösungen finden
Mit dem Kernkonzept „Common Ground“ („Gemeinsame Grundlage“) verweist der niederländische Beitrag auch auf die Notwendigkeit, die akuten Probleme unseres Planeten im Kollektiv zu lösen. Ein Ansatz, der im Königreich an der Nordsee eine jahrhundertealte Tradition hat. Um die zahlreichen Landstriche, die unter dem Meeresspiegel liegen, vor Überflutung zu schützen, war ein gemeinsamer Kraftakt nötig. „Heute brauchen wir diese Denkweise, um die globalen Herausforderungen zu bewältigen, indem wir Ideen, Fachwissen und Innovationen teilen“, so das Credo der Planer.
Auf der Expo vor 55 Jahren ging es mehrheitlich darum, sich im Spitzenfeld der technischen Errungenschaften zu präsentieren und die Industrialisierung als großes Wohlstandsversprechen voranzutreiben. Heute hingegen steht der Fortschritt ganz im Zeichen davon, sich von der fossilen Abhängigkeit zu lösen und der unbekümmerten Ressourcenverschwendung abzuschwören.
Also ganz so, wie es in Tokio vor 400 Jahren bereits gelebter Alltag war.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Netherlands Pavilion / Common Ground, Plomp, RAU