Farmscraper
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Fingerfood für Fortgeschrittene

Die Architekten von CRA-Carlo Ratti Associati haben einen Tower vorgestellt, auf dem im Herzen Shenzhens jährlich 270.000 Kilogramm Gemüse wachsen werden. Es soll der welterste Farmscraper werden.

Wenn man so will, dann bekommt der Begriff Fingerfood schon bald eine neue Bedeutung. Während man sich bis dato darunter kleine Häppchen auf feinen Partys vorstellte, darf man nämlich schon bald einfach direkt vor dem eigenen Fenster Futter fassen.

Ein Farmscraper bittet zu Tisch

Gut, das ist vielleicht ein wenig übertrieben – allerdings nur was die räumliche Einordnung betrifft: Wir in Europa werden wohl noch ein paar Jahre auf diese Art der Direktversorgung warten müssen. Im chinesischen Shenzhen hingegen wird demnächst der Startschuss für den Bau des weltersten Farmscrapers – dem Jian Mu Tower – gegeben. Das finale Konzept des Wolkenkratzers, der die darin lebenden Menschen auch nähren soll, wurde kürzlich präsentiert.

Farmscraper

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Aber worum geht es beim Farmscraper-Projekt genau? Star-Architekt Carlo Ratti erläutert seine Vision so: „Städtische Landwirtschaft in kleinem Maßstab gibt es in Städten auf der ganzen Welt – von Paris über New York bis Singapur. Dieser Ansatz hat das Potenzial, bei der Gestaltung künftiger Städte eine wichtige Rolle zu spielen. Schließlich bedient er eine der drängendsten architektonischen Herausforderungen unserer Zeit: Wie lässt sich die natürliche Welt in die Gebäudeplanung integrieren? Die Farm des Jian Mu Towers produziert nicht nur Lebensmittel. Sie hilft auch bei der Beschattung durch die Sonne. Ein zentrales Thema bei hohen Gebäuden.“

Teures Pflaster für den Farmscraper

Diese Überlegungen sollen sich also schon bald im Herzen der chinesischen Supermetropole in Form eines Farmscrapers manifestieren. Geplant wurde das Gebäude auf dem letzten freien Grundstück im zentralen Geschäftsviertel von Shenzhen. Also an einem der wohl teuersten Bauplätze der Welt. Dementsprechend muss das Ding alle Stückerl spielen. Zuerst aber zu den Eckdaten. Nach seiner Fertigstellung wird der Jian Mu Tower 218 Meter hoch sein, über 51 Stockwerke verfügen und 40.000 Menschen nicht nur beherbergen, sondern auch ernähren!

Städtische Landwirtschaft in kleinem Maßstab gibt es in Städten auf der ganzen Welt. Dieser Ansatz hat das Potenzial, bei der Gestaltung künftiger Städte eine wichtige Rolle zu spielen. Schließlich bedient er eine der drängendsten architektonischen Herausforderungen unserer Zeit: Wie lässt sich die natürliche Welt in die Gebäudeplanung integrieren?

Carlo Ratti, Architekt

Das soll schließlich die Kernaufgabe des von CRA-Carlo Ratti Associati geplanten Wunderturms sein. „Der autarke Vorschlag ermöglicht es den Bewohnern, frisches Gemüse und Obst im Turm selbst anzubauen und zu verzehren. Dadurch können schätzungsweise 270.000 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr erzeugt werden. Die Landschaftsterrassen sollen auch eine Vielzahl von Pflanzen wie Seerosen, Farne und Litschis beherbergen. Das wird die Artenvielfalt weiter fördern“, heißt es in der offiziellen Projektbeschreibung.

Kann das überhaupt funktionieren?

Wir fragen uns aber natürlich: Wie soll das in der Realität funktionieren? Und tatsächlich hat man sich dazu ganz offenbar wirklich konkret Gedanken gemacht. Konkret soll die Sache so ablaufen: In dem 51-stöckigen Gebäude sind 10.000 Quadratmeter für den Anbau von Pflanzen vorgesehen. Diese sollen in einer vertikalen Hydrokultur gedeihen. Dabei werden Pflanzen nicht in der Erde, sondern in einer mineralischen Nährlösung auf Wasserbasis angebaut.

Alles unter einem Dach

„Diese Methode ist eine platzsparende Lösung für die Landwirtschaft und ermöglicht die Organisation und den Anbau von Pflanzen in einer vertikalen Formation“, so die Architekten. Die vertikalen Farmen sollen eine Reihe von Gemüsesorten und Feldfrüchten produzieren. Darunter Salat, Obst und Kräuter. Auf diese Weise sei es laut den Berechnungen von Experten tatsächlich möglich, eine autarke Lebensmittelversorgungskette zu schaffen. Also einen Zyklus, der Anbau, Ernte, Verkauf und Verbrauch in einem einzigen Gebäude möglich macht.

Farmscraper

Carlo Ratti dazu: „Die im Turm angebauten Pflanzen werden am selben Ort verkauft und sogar gegessen. Das hilft uns dabei, viel Energie bei der Verteilung der Lebensmittel einzusparen.“ Die hydroponischen Anbauflächen und Kulturen würden von einem „KI-gestützten virtuellen Agronomen“ verwaltet, der den täglichen Betrieb einschließlich Bewässerung, Umwelt- und Ernährungsbedingungen überwacht.

Experten aus Italien an Bord

„Wir haben mit dem italienischen Unternehmen ZERO zusammengearbeitet, das sich auf innovative landwirtschaftliche Lösungen spezialisiert hat“, so Ratti. „Die finale Lösung, die wir entwickelt haben, ist aus der Sicht des Managements sehr effizient. Sie passt die traditionellen robotergestützten Hydrokulturen an eine vertikale Fassade an.“

Roboter. Die Bauern von morgen?

Zusammengefasst kann man also etwas überspitzt sagen: Die Bauern von morgen sind Roboter mit künstlicher Intelligenz, die senkrechte Felder bestellen und uns das Essen direkt aus dem Fenster reichen. Klingt futuristisch. Und als wollte Carlo Ratti diesem etwas surreal anmutenden Szenario entgegenwirken, taufte er seinen Turm nach einem alten mythischen Symbol. Nach dem „Jian-Mu-Baum“.

Farmscraper

Dieser habe die Fähigkeit, „Himmel und Erde zu verbinden“, heißt es in der alten Überlieferung. Nach dem traditionellen Glauben ist der Himmel rund, während die Erde quadratisch ist. Dementsprechend übersetzt der Wolkenkratzer diesen Glauben mit seiner rechteckigen Basis, die sich in der Höhe allmählich in eine zylindrische Form verwandelt.

Ein Supermarktriese als Mastermind

Doch abseits all dieser Finesse und Visionen, ist vor allem ein auf den ersten Blick wohl versteckter Aspekt, der Spannendes verheißt: Der für den Farmscraper verantwortliche Bauherr und somit zukünftige Eigentümer ist Wumart. Die größte Supermarktkette Chinas. Was sich aus dieser Strategie, das Gemüse nicht mehr zu verkaufen, sondern direkt zu servieren, ableiten lässt, bleibt vorerst aber wohl noch das Geheimrezept des Marktriesen.

Text: Johannes Stühlinger
Bilder: CRA-Carlo Ratti Associati

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