Grünes Kleinod
Stadtverdichtung, die Natur in Häusermeere holt: Das Büro smartvoll hat ein Modell für Dachbodenausbauten entwickelt, das grüne Oasen auf bestehende Gebäude setzt. Motto: Baummasse statt Baumasse. Ein kleines Projekt mit großem Potenzial.
Aus der Vogelperspektive sieht man rasch, wo es an „grünen Lücken“ fehlt. Auch in Städten, die durch viel urbanes Grün punkten, prangen noch graue, von Mauern dominierte Zonen. Eng verbaute Bereiche, zwischen deren Gebäuden kein Platz für Freiraum ist. Die gute Nachricht: Man kann auch dort Oasen schaffen. Ein schönes Beispiel dafür hat das renommierte Wiener Büro smartvoll entwickelt: Das „Stadtbaumhaus“ – ein Dachbodenausbau, mit dem jeder Hausbesitzer aktiv zur Verbesserung des Stadtklimas beitragen kann.
Mit dem ersten „Stadtbaumhaus“ hat smartvoll einen grünen Punkt ins Luftbild der österreichischen Bundeshauptstadt Wien gepflanzt. Und zwar im 16. Bezirk. Also in einem ehemaligen „Arbeiterbezirk“, wo lange Zeit jeder Quadratmeter für den Wohnbau genutzt wurde. Gründerzeithäuser beherrschen weite Teile dieser Zone und heben sich „grau“ vom Stadtbild der sonst so grünen Metropole ab.
Maßnahmen wie diese entbehren jeglicher politischen Couleur. Jeder Hausbesitzer kann sich aktiv entscheiden, einen Umbau derart zu gestalten und damit das Stadtklima verbessern.
Architekt Philipp Buxbaum, Büro smartvoll
Das smartvoll Team orientiert sich zwar an der umgebenden Bebauung. Es schafft jedoch eine Lösung, die für menschen- und umweltfreundliche Nachverdichtung sorgt: Statt den Dachboden eines Gründerzeithauses auf klassische Art auszubauen, setzt das „Stadtbaumhaus“ einen grünen Hotspot ins Häusermeer. Und zwar einen, der über drei Stockwerke und rund 130 Quadratmeter aufwärts wuchert.
Zu Beginn der Arbeiten wurde der Dachstuhl entfernt. Ein Stiegenhaus und zwei hohe Feuermauern des alten Konstrukts blieben erhalten. Bei einem klassischen Ausbau wäre der Raum mit Baumasse gefüllt worden. Nicht so beim „Stadtbaumhaus“.
Halb Wohn-, halb Freiraum
Denn bei diesem schönen Modell werden nur 50 Prozent des eigentlichen Dachbodens verbaut. Der Rest bleibt Freiraum und lässt Luft zum Atmen. Und verwirklicht so die Grundidee der Architekten: Baummasse statt Baumasse.
Das Ergebnis garantiert moderne, zukunftsfitte Lebensqualität: Das Gebäude wächst jetzt in der Mitte himmelwärst. Umrahmt von Blumen und begrünten Feuermauern, ist eine kleine nachhaltige Welt entstanden. Im oberen Bereich befinden sich Büro, Wohnküche und Wohnzimmer. Im Stockwerk darüber liegt das Schlafzimmer, das fabelhafte Aussicht bietet.
In der Natur-Oase baden
Am Ausblick kann man sich auch im angrenzenden Badezimmer erfreuen. Obendrein verwöhnt hier zusätzlicher Hochgenuss: Man badet quasi in der Natur. Denn dieser Raum ist nur durch Glas vom umliegenden Grünbereich getrennt.
Das Verhältnis von begrüntem Umraum zum Gebäude liegt, wie erwähnt, bei etwa 50 : 50. Und das „Stadtbaumhaus“ fasziniert mit einem Wechselspiel zwischen Intimität und Großzügigkeit, Ein- und Ausblick, urbaner Natur und gebauter Umgebung. Sein Herzstück bildet die Wohnküche, die wie ein Hybrid aus Out- und Indoor-Zone designt ist.
Das wandelbare „Stadtbaumhaus“
Und nicht nur hier verwischt smartvolls innovatives Projekt die Grenzen zwischen draußen und drinnen so gekonnt, dass den Benutzern das Beste beider Welten offensteht. So lässt sich etwa auch das verglaste Erdgeschoss im Sommer komplett öffnen.
Das Büro smartvoll betont, Interieur-Design und Architektur nie getrennt zu sehen. Beides wird als Gesamtheit betrachtet und als solche konsequent zu Ende gedacht. Dieser Ansatz verleiht dem „Stadtbaumhaus“ seine besondere Atmosphäre: Das Bauwerk vermittelt das Gefühl, von lebendiger Natur umgeben zu sein – obwohl ringsum enge Großstadtgassen liegen.
Für Klima und Biodiversität
Dass das spannende Konzept nicht nur seinen Bewohnern großen Nutzen bringt, liegt auf der Hand. Schließlich filtern Pflanzen Feinstaub, geben Sauerstoff ab, bieten Schatten, erhöhen die Luftfeuchtigkeit und senken so die Umgebungstemperatur. Ein wichtiger Aspekt in dicht verbauten Zonen, wo etwa Hitzeinseln sommers schwer an Gesundheit und Lebensqualität der Städter kratzen. Das „Stadtbaumhaus“ wirkt Überhitzung entgegen und fördert urbane Biodiversität.
Die Idee, mit solchen Dachbodenausbauten „grüne Inseln“ zu errichten, hat allerdings noch mehr Vorteile. Denn auch der positive, regenerative Effekt von Pflanzen und Grünflächen auf die psychische Gesundheit ist hinlänglich bewiesen. Und US-Studien zeigten gar, dass Kriminalität abnimmt, wenn Menschen in Großstädten wieder mehr Zugang zu Natur bekommen.
Beispiel sinnvoller Nachverdichtung
Mit einem „Stadtbaumhaus“ allein bleiben all die zukunftswichtigen Effekte freilich noch aufs direkte Umfeld beschränkt. Doch das Konzept der smartvoll Architekten könnte Schule machen. Und sollte auch, weil genau dazu gedacht. Weil, wie es schon in seiner Beschreibung heißt, „auch die kleinsten Architekturprojekte das Bild einer Stadt nachhaltig verändern können“. Vor allem, wenn sie wieder andere inspirieren und zum Ausgangspunkt für weitere, artgleiche werden.
Für derlei inspirative Werke hat das Wiener Büro eine gute Hand. Sei es die kluge Neunutzung verwaister Industrieanlagen oder edle Hotel-Gastronomie im See, ohne der Öffentlichkeit den Zugang zum Wasser zu rauben: Die smartvoll Architekten suchen und kreieren nachhaltige Lösungen, die den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt gerecht werden. Ebenso, wenn es um Kundenservice und angenehmes Arbeitsumfeld geht.
Erfolgreiche Ideen-Geber
Die Konzepte des mehrfach preisgekrönten Büros ernten international Applaus. Dass etwa das neue Gemeindezentrum einer Kleinstadt mit einem begehrten A+Award ausgezeichnet wird, kommt schließlich nicht alle Tage vor. Doch durch smartvolls Design des entsprechenden Neubaus durfte sich das österreichische Großweikersdorf 2021 über ebendiese Ehre freuen.
Das preisverdächtige an smartvolls „Stadtbaumhaus“ ist, dass es eine überzeugende Lösung für nachhaltigen, grünen Dachausbau präsentiert. Für Nachverdichtung auch dort, wo der Bestand sonst keinen Platz für grüne Lücken lässt. Und das macht Hoffnung für die Zukunft. Denn, wie smartvoll Architekt Christian Kircher betont: „Nicht nur das Stadtklima profitiert von Green Buildings wie diesem, sondern auch die Biodiversität“.
Ziel: Ein lebenswertes Morgen
Wie wichtig und dringend Projekte sind, die derlei leisten, zeigt ein Bericht der Vereinten Nationen zur Artenvielfalt. Denn demnach sterben täglich bis zu 130 Tier- und Pflanzenarten. Gebäude wie das „Stadtbaumhaus“ stemmen sich gegen diese dramatische Entwicklung, indem sie nicht nur Menschen, sondern auch Pflanzen und Tieren neue Lebensräume schaffen.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: smartvoll