Holz-Wohntraum „Nachteiland“. (Bild: Proloog)
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Holz-Wohntraum „Nachteiland“

Der von MVRDV und Space Encounters konzipierte Holz-Hybrid-Wohnturm „Nachteiland“ soll Amsterdam um ein energiepositives, grünes und Gemeinschaft förderndes Projekt bereichern. Und beweisen, dass nachhaltiges Design weit mehr ist als nur „nice to have“.

Das Vorhaben mit dem kurios anmutenden Namen „Nachteiland“ verfolgt hoch gesteckte Ziele. Zum einen, weil der stolze 70 Meter aufragende, begrünte Holz-Hybrid-Wohnturm seinen Planern zufolge mehr Energie erzeugen als verbrauchen wird. Und zum anderen, weil der Neubau als Exempel gedacht ist, wie Architekt und MVRDV-Gründungspartner Jacob van Rijs erklärt: „Dieses Projekt ist ein Beweis dafür, dass nachhaltiges Design bei der Bewältigung unserer Wohnungskrise kein ‚Nice-to-have‘ sein muss. Es kann vielmehr zentraler Bestandteil des Designs sein“. Eines Designs, das überdies darauf abzielt, Lebensqualität und Gemeinschaftsgefühl zu fördern.

Ungewöhnlicher Name, spannendes Projekt

Den Entwurf für „Nachteiland“ hat das Top-Büro MVRDV gemeinsam mit Space Encounters erarbeitet. Die beiden niederländischen Architekturstudios haben damit jüngst den Wettbewerb um das von LOCUS Real Estate Development + Miss Clark in Auftrag gegebene Projekt gewonnen. Der Bauplatz dafür liegt im Amsterdamer Stadtteil Sluisbuurt, was auch die ungewöhnliche Namensgebung erklärt: „Nachteiland“ erinnert ans Werk des Choreografen Rudi van Dantzig, nach dem die Hauptstraße des derzeit im Ausbau befindlichen Viertels benannt ist.

Von jeder Seite anders: Das Design von „Nachteiland“ passt sich geschickt ans jeweilige Umfeld an. (Bild: Proloog)
Von jeder Seite anders: Das Design von „Nachteiland“ …

Von jeder Seite anders: Das Design von „Nachteiland“ passt sich geschickt ans jeweilige Umfeld an. (Bild: Proloog)
… passt sich geschickt ans jeweilige Umfeld an.

Der Plan für den 22-stöckigen Wohnturm hat tatsächlich das Zeug, zum vorbildhaften Modellbeispiel zu werden. Vorgesehen sind 153 Wohnungen, von denen 60 für den mittleren Mietsektor reserviert werden. Im Herzen von Sluisbuurt, zwischen der Rudi van Dantzigstraat und einer kleinen Grünfläche, entsteht mit „Nachteiland“ eine schon optisch bemerkenswerte Anlage: Die Form des Gebäudes setzt sich aus einer Reihe von Blöcken zusammen, die wie ein Mix unterschiedlicher städtischer Bereiche wirken. Im Erdgeschoss nebeneinander angeordnet, bilden diese Blöcke einen Sockel, aus dessen Mitte der Turm hochragt.

Als eines der sichtbarsten Projekte dieses neuen Viertels freuen wir uns, den Maßstab dafür zu setzen, was in einer Gemeinschaft möglich sein kann, in der Grün und Nachhaltigkeit die zentralen Prinzipien sind.

Jacob van Rijs, Architekt und MVRDV-Gründungspartner

An der Rudi van Dantzigstraat besteht der Sockel aus drei- bis sechsgeschossigen Trakten. Diese passen MVRDV und Space Encounters in Größe und Höhe der Nachbarschaft an. Hier ist auch eine Reihe von doppelt so hohen Räumen für Geschäfte und Cafés Teil des Konzepts. An der Seite des kleinen Parks indes wird der Sockel noch weiter aufgebrochen, um eine Reihe von Stadthäusern zu schaffen. Diese werden in der Mitte durch ein Gemeinschaftsgewächshaus und eine breite grüne Treppe unterbrochen, die das Grün nach oben hin verlängert: Zu einem Innenhof im ersten Stock im Zentrum des Grundstücks.

Holz-Wohntraum „Nachteiland“: Modelle des Holz-Hybrid-Turms machen dessen ungewöhnliche Formen deutlich. (Modell: Made by Mistake)
Modelle des Holz-Hybrid-Turms machen dessen ungewöhnliche Formen deutlich.

Der Turm selbst besteht aus Blöcken, die zur Spitze hin allmählich an Größe gewinnen. Mit unterschiedlichen Fassaden und Außenbereichen unterstreicht der Entwurf für „Nachteiland“ die Vielfalt der Wohnungen im Inneren. In der unteren Hälfte befinden sich die mittleren Mietwohnungen, die optimalen Zugang zu den gemeinschaftlichen Dachflächen auf dem Sockel bieten. Und ebendort verbinden die Architekten das Angenehme mit dem Sinnvollen. Denn viele dieser Dächer sind mit Pergolen ausgestattet, auf denen Sonnenkollektoren für saubere Energiegewinnung sorgen.

Sonnenkraft und Grün

Die Turm-Fassade indes ist mit einer anderen Art von Solarmodulen bestückt: Mit gebäudeintegrierter Photovoltaik (BIPV), die Solarenergie-Erzeugung elegant mit einer grünen Oberfläche verbindet.

„Nachteiland“ bekommt viele gemeinschaftlich genützte Bereiche. (Bild: MVRDV / Space Encounters)
„Nachteiland“ bekommt viele gemeinschaftlich genützte Bereiche.

Holz-Wohntraum „Nachteiland“: Begrünte Dächer und Fassaden werden für Lebensqualität sorgen. (Bild: MVRDV / Space Encounters)
Begrünte Dächer und Fassaden bieten urbane Lebensqualität.

Obwohl energieneutrale Gestaltung hoher Gebäude wegen relativ geringer für Sonnenkollektoren verfügbarer Dachflächen oft schwierig ist, haben MVRDV und Space Encounters offenbar eine Lösung gefunden. Denn laut Konzept macht die gebäudeintegrierte Photovoltaik dieses Manko im Fall von „Nachteiland“ mehr als wett. Demnach ist das Gebäude energiepositiv, weil es 3,03 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr mehr produziert, als es verbraucht.

Viel Holz und beste Werte

Einen ähnlich vorbildhaften Ansatz liefern die Berechnungen für biobasierte und kreislaufwirtschaftliche Materialien: Die Struktur der Anlage wird fast vollständig aus Holz gebaut, Beton nur für den strukturellen Kern und die Säulen des Turms bis zur sechsten Etage verwendet. Dadurch werden 61 Prozent der für „Nachteiland“ verwendeten Materialien biobasiert sein, während 13 Prozent recycelt werden. Zusammen mit der Demontierbarkeitsstrategie des Projekts führen diese Maßnahmen dazu, dass das Gebäude einen Building Circularity Index (BCI) von 61 Prozent erreicht.

Viel Grün und Sonnenkollektoren: So wird „Nachteiland“ von oben aussehen. (Bild: Proloog)
Viel Grün und Sonnenkollektoren: So wird „Nachteiland“ von oben aussehen.

Außergewöhnlich ist allerdings eben auch die äußere Gestaltung der 19.200 Quadratmeter großen Mixed-Use-Anlage. Der Entwurf geht mit sich ergänzenden Ost- und Westfassaden auf Lage und Umgebung ein. Und verändert damit je nach Blickwinkel sein „Gesicht“: Von Osten, mit dem Amsterdamer Stadtzentrum im Hintergrund, wirkt „Nachteiland“ recht förmlich. Von Westen her aber ist der Neubau stärker gegliedert und begrünt, was auf die kleineren Häuser und Felder im Nordosten der Stadt verweist.

Es ist uns gelungen, einen Turm zu entwerfen, der ein neues, einzigartiges Zeichen in Sluisbuurt setzt und aus unterschiedlichen Perspektiven verschiedene Gesichter zeigt.

Joost Baks, Space Encounters Gründungspartner

„Als eines der sichtbarsten Projekte dieses neuen Viertels freuen wir uns, den Maßstab dafür zu setzen, was in einer Gemeinschaft möglich ist, in der Grün und Nachhaltigkeit die zentralen Prinzipien sind“, freut sich MVRD Architekt Jacob van Rijs über den Wettbewerbssieg. Dass er und sein Team gut darin sind, spektakuläre und zugleich lebenswerte Stadtbauten zu konzipieren, weiß man spätestens seit „The Sax“ in Rotterdam oder „Ziel“ in Montevideo.

Gute Aussichten in Zeiten wachsender Wohnungsnot: Das von MVRDV und Space Encounters designte Projekt in Amsterdam soll auf besonders nachhaltige Art zur Lösung des Problems beitragen. (Bild: Proloog)
Gute Aussichten in Zeiten wachsender Wohnungsnot: Das von MVRDV und Space Encounters designte Projekt in Amsterdam soll auf besonders nachhaltige Art zur Lösung des Problems beitragen.

Nicht minder zufrieden mit dem Ergebnis der Kooperation ist Space Encounters Gründungspartner Joost Baks: „Es ist uns gelungen, einen Turm zu entwerfen, der ein einzigartiges Zeichen in Sluisbuurt setzt und aus unterschiedlichen Perspektiven verschiedene Gesichter zeigt.“

Inspiration für „Nachteiland“ bot, wie Baks erklärt, ein Kunstwerk des niederländischen Malers und Bildhauers Joost Baljeu. Weil dieses ebendiese Qualität aufweist: „So wechselt der Blick auf den Turm zwischen einer scharfen städtischen Silhouette und einer vertikalen, grün gestuften Landschaft.“

Musterbeispiel „Nachteiland“

Die Ambition, mit „Nachteiland“ ein Kunstwerk zu schaffen, hat das Projektteam, zu dem auch Delva Landscape und das Bauunternehmen Dura Vermeer zählen, auf jeden Fall. Nämlich ein Baukunstwerk, das beweist, dass Nachhaltigkeit bei Stadtplanung und Wohnbau nicht einfach nur ein nettes Extra ist. Sondern sinnvoll, wichtig und – vor allem – machbar.

Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Proloog, MVRDV / Space Encounters, Made by Mistake

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