IGI-Bibliothek: Gleich und Ungleich passt perfekt (Bild: Tomáš Souček)
#architektur

Gleich und Ungleich passt perfekt

Ist ein altes Pfarrhaus zu klein, um neue Stadtbücherei und zugleich Gemeindezentrum zu werden, bedarf es kluger Lösungen. Das tschechische Büro atakarchitekti hat ebensolche für die IGI-Bibliothek in Liberec gefunden – und ein spannendes Ensemble geschaffen.

Alles begann mit der schönen Idee, dem Bezirk Vratislavice nad Nisou der tschechischen Stadt Liberec eine neue Bibliothek zu verschaffen. Ein ungenutztes Gebäude der katholischen Pfarre bot sich für deren Unterbringung an. Nur: Die Gemeinde wünschte sich zur Stadtbibliothek auch einen Mehrzwecksaal, Räume für Vereine und ein Mütterzentrum. Viel mehr, als je ins alte Pfarrhaus passen konnte. Das tschechische Büro atakarchitekti löste das Problem durch einen überraschend monolithischen Zubau. Und das Team schuf ein spannendes Ensemble, das alle Anforderungen erfüllt: Die IGI-Bibliothek.

Altes erneuert, Neues hinzugefügt

Am Charakter des hübschen alten Pfarrhauses wurde nicht gerührt. Obwohl im Inneren stark umgebaut wurde, blieb die Hülle nahezu unverändert. Die Fassaden wurden von Ablagerungen befreit, gedämmt und dann mit historischen Elementen wiederhergestellt – vom Putz und den Holztüren bis zu Kopien der originalen Flügelfenster.

IGI-Bibliothek: Moderne Bücherwelt im neuen Zubau und elegant neu gestaltetes Innenleben des alten Pfarrhauses. (Bild: Tomáš Souček)
IGI-Bibliothek: Moderne Bücherwelt im neuen Zubau und …

IGI-Bibliothek: Moderne Bücherwelt im neuen Zubau und elegant neu gestaltetes Innenleben des alten Pfarrhauses. (Bild: Tomáš Souček)
… elegant neu gestaltetes Innenleben des alten Pfarrhauses.

Der schwarze Zubau wirkt zwar aufs Erste wie ein krasser Kontrapunkt zur hellen Freundlichkeit des ursprünglichen Gebäudes. Ein Blick aufs große Ganze indes zeigt, wie gut Gleich und Ungleich hier zusammenpassen: Der neue Block ergänzt das historische Bauwerk und den umliegenden Schlossgarten sogar auf seltsam harmonische Art.

Treffpunkt IGI-Bibliothek

Ziel des Gesamtentwurfs des atakarchitekti Teams war auch, einen neuen öffentlichen Platz zu schaffen. Einen, der ans von öffentlichen Gebäuden und dem Schlossgarten geprägte, bestehende Zentrum von Vratislavice anschließt. Und so entstand die Piazzetta der IGI-Bibliothek, die sich am Rhythmus des ringsum typischen Schemas „Haus mit kleinem Platz“ orientiert.

Schwarz, schmucklos, funktionell: Der Zubau der IGI-Bibiolthek hat nichts von der Lieblichkeit des alten Pfarrhauses, als dessen Ergänzung er dient. (Bild: Tomáš Souček)
Schwarz, schmucklos, funktionell: Der Zubau hat nichts von der Lieblichkeit des alten Pfarrhauses, als dessen Ergänzung er dient.

Das tiefe Fundament des alten Pfarrhauses bot die Möglichkeit, durch Abtragen des Bodens einen halbversenkten Bereich zu schaffen, den großzügige Portale mit Tageslicht versorgen. Die durch den Aushub entstandene Vertiefung wiederum wurde zur Basis des neuen Platzes. Das Erdgeschoss dieses Trakts der IGI-Bibliothek ist für Vereine vorgesehen. Das Obergeschoss dient nun als Kinderbibliothek. 

Ungleiches, klug verbunden

Das historische Haus und der moderne Zubau sind sowohl im Untergeschoss, als auch durch eine Brücke im ersten Stock miteinander verbunden. Größe, Form und Lage des neuen Trakts orientieren sich am Kontext von Schlossgarten und Pfarrhaus, sowie an den Baumschutzzonen und Linien des Infrastrukturnetzes. Das von atakarchitekti designte Ergebnis: Ein nüchternes, rechteckiges Bauwerk mit schmal-kompaktem, dreigeschossigen oberen Teil und zwei Etagen im Untergeschoss.

Außen dunkel, innen hell: Große Glasflächen lassen viel Tageslicht in die Räume des Zubaus. (Bild: Tomáš Souček)
Außen dunkel, innen hell: Große Glasflächen …

Außen dunkel, innen hell: Große Glasflächen lassen viel Tageslicht in die Räume des Zubaus. (Bild: Tomáš Souček)
… lassen viel Tageslicht in die Räume des Zubaus.

Die große Stadtbibliothek befindet sich in den oberirdischen Etagen des Neubaus. Im Erdgeschoss begrüßt ein Empfangsbereich mit Terrasse die Besucher, im ersten Stock lockt eine Galerie, und ein Lesesaal unter einem Bogendach lädt zum Verweilen.

Gemeinsames Entree

In den Untergeschossen dieses Teils der IGI-Bibliothek haben die Architekten die gewünschte Multifunktionshalle untergebracht. Und zwar mit kleinem Foyer und Garderobe in einem Vestibül, das den neuen Trakt mit dem alten verbindet und einen gemeinsamen Eingangsbereich schafft.

Die von atakarchitekti designte IGI-Bibliothek in Vratislavice nad Nisou. (Bild: Tomáš Souček)

Die von atakarchitekti designte IGI-Bibliothek in Vratislavice nad Nisou. (Bild: Tomáš Souček)

Durch die großen Glasfronten im Erd- und Obergeschoss wird die Aussicht auf den Schlossgarten optimal genützt. Und durch die Panoramafenster im Lesesaal kommt man dem Grün so nah, dass man meinen könnte, direkt in den Baumkronen zu sitzen. Im Inneren des Neubaus dominieren Sichtbeton, Ziegel- und Steinmauerwerk. Holzmöbel und Bücherregale sorgen für sanften, gemütlichen Look und schaffen allerlei Verstecke und Winkel, die Besucher erkunden und nützen können.

Kühne Ergänzung aus Stahlbeton

Die gesamte Struktur des Zubaus der IGI-Bibliothek, einschließlich der Fundamente, besteht aus monolithischem Stahlbeton. Ebenso, wie die Außenmauern, die die neue Piazetta begrenzen. Das Äußere des Neubaus ist vollständig kontaktisoliert und mit schwarzem, gefaltetem Blech umhüllt. Die Fenster und Glasfronten sind in minimalistische Aluminiumrahmen gefasst. Die Verbindungsbrücke zum alten Pfarrhaus hat atakarchitekti als vorgefertigte Stahlkonstruktion konzipiert und mit einer isolierenden Doppelverglasung versehen.

Das Team von atakarchitekti hat durch Um- und Zubau dafür gesorgt, dass die IGI-Bibliothek alle gewünschten Funktionen erfüllt. (Bild: Tomáš Souček)
Mehr als eine Stadtbibliothek: Das Team von atakarchitekti hat durch Um- und Zubau dafür gesorgt, dass die IGI-Bibliothek alle gewünschten Funktionen erfüllt.

Das Tragwerk des alten Gebäudes hingegen war zu seiner Zeit aus Ziegelmauerwerk mit Holzbalkendecken errichtet worden. Mit hölzernen Dachstühlen, die das Mansardendach tragen. Bei Renovierung und Umbau mussten die Architekten feststellen, dass die Holzkonstruktionen durch hohe Luftfeuchtigkeit und Wurmbefall stark abgenutzt waren. Anders als ursprünglich geplant, konnten diese Konstruktionen also nicht erhalten werden.

Alles neu im Pfarrhaus

Der neue Innenausbau im alten Teil der IGI-Bibliothek besteht aus gebrannten Ziegeln. Was das Deckentragwerk betrifft, hat das renovierte Pfarrhaus nun etwas mit seinem modernen Zubau gemeinsam: Stahl. Denn die neuen Deckenkonstruktionen wurden aus Stahlbeton oder Stahldeckenträgern gebaut. 

Die von atakarchitekti designte IGI-Bibliothek in Vratislavice nad Nisou. (Bild: Tomáš Souček)

Die von atakarchitekti designte IGI-Bibliothek in Vratislavice nad Nisou. (Bild: Tomáš Souček)

Stahl ist auch Hauptthema der beiden neuen Innentreppen: Einer Stahlspindeltreppe und einer vierarmigen, die aus Stahlbetonplatten geformt wurde. Den Dachstuhl hingegen hat das Studio atakarchitekti durch eine neue Zimmereikonstruktion ersetzt, die der ursprünglichen Dachform vollständig entspricht und mit Naturschiefer Schablonen gedeckt ist. 

Preisverdächtiges Design

Fast hätte das 2010 von Jana Medlíková und Jiří Janďourek gegründete Atelier atakarchitekti für die Gestaltung der IGI-Bibliothek den Tschechischen Architekturpreis bekommen. Denn 2022 fand sich das Projekt unter den nur noch fünf Finalisten – ehe die Jury Platz eins an „Kozina House“ von Atelier 111 architekti vergab. 

Die von atakarchitekti designte IGI-Bibliothek in Vratislavice nad Nisou. (Bild: Tomáš Souček)

Die von atakarchitekti designte IGI-Bibliothek in Vratislavice nad Nisou. (Bild: Tomáš Souček)

Mit der IGI-Bibliothek hat das inzwischen aus sechs Architekten und einem Hund bestehende Studio atakarchitekti allerdings auch so bereits viel Aufmerksamkeit erregt. Ein weiteres tschechisches Büro, das international von sich reden macht. Zwar noch nicht so berühmt wie etwa Formafatal Gründerin Dagmar Štěpánová mit ihren famosen Lehm-Villen oder Petr Janda mit seiner großartigen Wiederbelebung des Prager Moldau-Ufers. Aber, wie die spannende Lösung für Vratislavices Kombination aus Stadtbibliothek und Gemeinde-Treffpunkt zeigt: Mit besten Aussichten.

Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: atakarchitekti / Tomáš Souček

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