Stefan Winter, Interview, Holzbau, Foto: Philipp Horak
#greenbuilding

„Hybrid ist der neue Holzbau“

Stefan Winter zählt zu den renommiertesten Fachleuten, wenn es um Holz als Baustoff geht. Warum Hybridlösungen kein Rückschritt für den Holzbau sind und wie langfristige Holzprodukte das Klima verbessern, erklärt der Professor und gelernte Zimmerer im Interview.

Bis vor kurzem war der Holzbau aus der Stadt fast gänzlich verschwunden. Die Entwicklung der neuen Holzbaustoffe hin zu High-Tech-Materialien hat dazu geführt, dass immer mehr und immer höher in Holz gebaut wird. Derzeit sehen wir, wie die Rückeroberung des urbanen Raums einsetzt. Gemeinsam mit anderen biobasierten Baulösungen könnte Holz ein Schlüssel für die Klimawende sein. „Reforest the planet, retimber the city“, postulierte Hans Joachim Schellnhuber, Klimaforscher und Mastermind hinter der Initiative New European Bauhaus. Ein Leitsatz, den auch Stefan Winter mitträgt – ob in seiner Funktion als Professor der TU München, als Autor von Fachpublikationen oder – mit seinem Unternehmen bauart – als Tragwerksplaner von mehrgeschossigen Holzbauten wie dem Timber Peak am Zollhafen Mainz, den UBM Development derzeit entwickelt.

Timber Peak, Zollhafen Mainz, Holz-Hybrid-Hochhaus, UBM Development, Sacker Architekten
Die Tragwerksplanung für das Holz-Hybrid-Hochhaus Timber Peak am Zollhafen Mainz kommt von Stefan Winters Unternehmen bauart.

Als Gründer und Geschäftsführer von bauart sind Sie mit dem Engineering des Timber Peak beauftragt. Es ist der erste Büroturm in Holz-Hybrid-Bauweise in Mainz. Wie sinnvoll ist es, das Baumaterial Holz in die Stadt zu bringen?

STEFAN WINTER: Holz in die Stadt zu bringen ist natürlich sinnvoll. Gerade in den mehrgeschossigen hybriden Gebäuden ergibt es absolut Sinn, so viel Material wie nur irgend möglich durch ein umweltfreundlicheres, mit niedrigem Primärenergiegehalt produzierbares Material zu ersetzen. Das kann man natürlich nicht überall machen – wir haben eine Tiefgarage, wir haben erdberührte Bauteile, da macht Holz nicht viel Sinn. Aber überall dort, wo es möglich ist, sehr wohl. Dass die UBM mit dem Timber Peak das erste Holz-Hybrid-Gebäude in Mainz baut, ist schön. Das passt in die Zeit. 

In der Buchbeschreibung zum „Atlas Mehrgeschossiger Holzbau“, an dem Sie mitgeschrieben haben, heißt es: „Hybrid ist der neue Holzbau.“ Was ist darunter zu verstehen?

Beim hybriden Bauen, also dem Bauen mit gemischten Materialien, unterscheiden wir eigentlich drei Ebenen: Die erste ist die reine Materialebene. Wir haben inzwischen Bauprodukte, die aus Laubholz und aus Nadelholz zusammengesetzt sind. Es gibt zum Beispiel Brettschichtholz, das in den äußeren Lagen aus Buche ist, die eine höhere Festigkeit hat, und in den inneren Lagen aus Nadelholz. Oder das von uns entwickelte holzbewehrte Holz, das außen aus Nadelholzlamellen besteht und im Inneren mit Buchenfurnier verstärkt ist, um damit eine innere und permanente Querzug-Verstärkung des Holzes zu erreichen.

Die nächste Ebene ist die Bauteilebene. Da verstehen wir unter hybriden Bauteilen beispielsweise Holz-Beton-Verbunddecken, bei denen über einer Lage Massivholz eine Schicht Beton vergossen wird. Das minimiert den Betoneinsatz in der Decke erheblich und kombiniert die Vorteile beider Werkstoffe miteinander. Mithilfe des Betons lassen sich etwa nicht brennbare Schichten erzeugen. 

Und in der dritten Ebene sprechen wir von hybriden Gebäuden. Da haben wir beispielsweise einen Treppenturm und Aufzugschächte aus Beton und um diesen Aussteifungskern werden die Geschosse in Holzmassiv- und Skelettbauweise gebaut. 

Das hybride Bauen passiert also auf ganz vielen Ebenen und mit eigentlich tausenden Kombinationsmöglichkeiten. 

Holzwerkstoffe, TUM, Holzwissenschaften
An der technischen Universität München wird intensiv an neuen Holzwerkstoffen geforscht.

Das heißt, Holz alleine macht im mehrgeschossigen Bereich keinen Sinn?

Den reinen Holzbau wie bei der Jagdhütte in Blockbauweise werden wir für moderne Gebäude nicht realisieren können und deshalb eben die Aussage in dem Buch: Hybrid ist der neue Holzbau. Wir sind davon überzeugt, dass es den ganz reinen Holzbau nicht gibt, sondern es wird immer auch eine Mischung mit anderen Materialien sein. Man muss die Ressourcen dort einsetzen, wo sie Sinn ergeben. Und es ist einfach sinnvoll, sie aufeinander abgestimmt zu mischen.

Wann sprechen wir von einem echten Holzbau?

Wir haben für uns einmal definiert: Wenn mehr als 50 Prozent der Volumen in einem Rohbau aus Holz sind, dann sprechen wir von einem Holzbau. Das ist die Mindestanforderung. Wenn man aber einen Stahlbetonturm baut und dann eine Holzfassade davorhängt, dann kann man nicht von einem Holzhaus sprechen. 

Die Skandinavier sind diesbezüglich etwas radikaler, die bauen auch die Aufzugschächte in Brettsperrholz. Was halten Sie davon?

Das haben wir selbst auch schon gemacht, zum Beispiel beim Kampa K8 in Aalen – wir kämpfen in Deutschland allerdings mit Widerständen. Rein brandschutztechnisch haben wir es bisher in Deutschland erst hinbekommen, bis zur Gebäudeklasse 4 auch Treppenräume aus Brettsperrholz geregelt bauen zu dürfen. Ich würde das gerne auch in der Gebäudeklasse 5 umsetzen.

Wir haben in Aalen – da sind wir ganz knapp unter der Hochhausgrenze geblieben – beide Treppenraumschächte als tragende Bauteile genutzt. Bei schlanken, hohen Gebäuden brauchen wir allerdings den Beton zum Aussteifen. Denn eine Fachwerkkonstruktion in der Fassade – wie bei den Holzhochhäusern Treet in Bergen oder Mjøstårnet bei Lillehammer in Norwegen – halte ich architektonisch und raumgestalterisch nicht für die beste Lösung.

Aber zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust – die des Holzbauingenieurs und die des Brandschutzingenieurs. Und der Brandschutzingenieur plädiert bei echten Hochhäusern eher für einen katastrophenfesten Schacht. Aber hier könnte ich mir in Zukunft einen Mix vorstellen: einen Schacht in Stahlbeton und alle anderen in Brettsperrholz dazu.

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Stefan Winter
hat zuerst eine Zimmererlehre absolviert, bevor er an der TU München Bauingenieurwesen studierte. 1993 gründete er die bauart Konstruktions GmbH, die im Holzbau zu den führenden Ingenieurbüros Europas zählt. Seit 2003 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Holzbau und Baukonstruktion an der TU München und hat zahlreiche Publikationen zu dem Thema verfasst.

Stefan Winter, TUM Professor, Holzbau-Ingenieur, Philip Horak

Man hat das Gefühl, dass das Thema mehrgeschossiger Holzbau und Brandschutz in jeder Stadt wieder neu erfunden wird, vor allem, wenn es das erste Projekt dieser Art ist. Sehen Sie hier eine Möglichkeit, bereits gesichertes Wissen zu teilen?

Das Beste ist immer, es gibt einheitliche Regeln. Und an diesen einheitlichen Regeln, nämlich der Musterholzbaurichtlinie (Anm.: ergänzende Bestimmung zur Bauordnung in Deutschland), arbeiten wir im Moment im Rahmen der Auswertung des Forschungsprojektes TIMpuls. Die neue Richtlinie ist jetzt im Entwurf fertig, geht dann in eine öffentliche Anhörung und wird hoffentlich im nächsten Jahr öffentlich verfügbar sein. Dass die Diskussionen um den Brandschutz weniger werden, kann man nur durch die allmähliche Überführung in allgemein bekannte Regeln erreichen.

Aber es ist natürlich tatsächlich so, wie Sie sagen. Der Grund dafür liegt darin, dass die Ausbildung im Moment mehr auf Stahlbeton und auf Stahlbau ausgerichtet ist. Beim Folgeprojekt TIMpuls-Dissemination arbeiten wir gezielt an Weiterbildungsprogrammen für die Berufsfeuerwehren, die Feuerwehren und die unteren Bauaufsichtsbehörden. Alle Beteiligten müssen aus- und weitergebildet werden. Je mehr Gebäude zukünftig in Holz gebaut werden, umso einfacher wird es.

Und so ist es überall. Ich kenne die Leute, die das Engineering für Mjøstårnet (Anm.: derzeit höchstes Holzhochhaus der Welt) gemacht haben. Glauben Sie mal nicht, dass das ohne Diskussionen abgelaufen ist.

Inzwischen sollte jeder den Schuss gehört haben. Wir haben es jetzt eilig und wir haben im Bausektor einen riesigen Einfluss auf die Gesamtentwicklung des Klimas.

Stefan Winter, Holzbau-Ingenieur und Professor an der TU München

Der Timber Peak liegt am Kopf des Hafenbeckens auf aufgeschüttetem Grund. Lag darin eine besondere Herausforderung?

Der Untergrund war schon ziemlich herausfordernd. Die statisch notwendigen Bohrpfähle werden gleichzeitig zum Heizen und Kühlen genutzt, damit schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Wenn man sowieso tief bohren muss, kann man auch die Geothermie erschließen, das ist eine ziemlich gute Idee. Alles, woraus man Mehrfachnutzen ziehen kann, ist am Ende effizienter, ökonomischer und auch ökologischer.

Timber Peak, Sacker Architekten
Der Timber Peak nach dem Entwurf von Sacker Architekten liegt am Kopf des historischen Hafenbeckens in Mainz.

Eine andere gute Idee, nämlich mit einer zentralen Photovoltaikanlage alle Gebäude der UBM am Zollhafen zu versorgen, konnte allerdings nicht umgesetzt werden. 

Oft gibt es Bebauungspläne, die sind 20, 30 Jahre alt. Dass daran festgehalten wird, daran verzweifeln wir manchmal ein bisschen. Inzwischen sollte jeder den Schuss gehört haben. Wir haben es jetzt eilig und wir haben im Bausektor einen riesigen Einfluss auf die Gesamtentwicklung des Klimas. Da braucht es noch viel gesellschaftliche Entwicklung, und da ist auch die Politik gefordert. Man muss anfangen, die Menschen mitzunehmen. Es muss in der breiten Masse ankommen. Jeder muss verstehen, dass wir unser Verhalten ändern müssen, und dass wir auch städtebauliche Ansätze neu denken müssen. Wir werden in Zukunft, davon bin ich überzeugt, Gebäude viel mehr danach entwerfen und entwickeln, wie sie an der Energiegewinnung und an der Kühlung beteiligt werden können.

Der Holzbau gilt als Hoffnungsträger der Bauwende und als ein Mittel, um die Bauindustrie zu dekarbonisieren. Mit dem Green Deal und der New Bauhaus-Initiative hat die EU den Weg dafür geebnet. In der Praxis fehlt es aber oft an Fachkräften und die Holzbauproduzenten kommen der gestiegenen Nachfrage nicht hinterher. Wie kann man hier gegensteuern?

Auf der einen Seite regelt der Markt natürlich vieles. Und der Markt hat auch schon angefangen zu regeln, indem sich viele der traditionellen Baufirmen inzwischen sehr intensiv um den Holzbau kümmern. Menschen erkennen, in welche Richtung die Entwicklung geht, und investieren entsprechend. Das geht nicht von heute auf morgen, aber wir sind dabei, massiv Kapazitäten aufzubauen.

Auf der anderen Seite hat die Holzbranche im Vergleich zum Maurer oder Betonbauer zum Glück wenig Probleme Nachwuchs zu rekrutieren. Das ist nach wie vor ein attraktives Berufsbild bei den jungen Leuten. Die reizt einerseits das Handwerkliche und der schöne Werkstoff Holz. Andererseits bietet der Beruf des Zimmerers heute auch digitale Arbeitsprozesse mit softwaregesteuerten CNC-Maschinen – das ist ein guter Mix. Der Holzbau ist mit Sicherheit der Baubereich, der bisher in der Vorfertigung und Digitalisierung am weitesten ist.

Wenn Holz vermehrt zum Bauen eingesetzt wird, kann es da nicht sein, dass die Ressource knapp wird?

Hier gibt es zum einen globale Entwicklungen, die den Markt beeinflussen. Wir hatten vor zwei Jahren einen wahnsinnigen Peak im Holzpreis, weil Amerika plötzlich nach Holz geschrien hat und vieles nach Übersee verschifft wurde.

Es ist natürlich eine richtige Fragestellung, ob wir in dieser Form des Produktportfolios, insbesondere im Massivholz-Bereich, also beim Brettsperrholz, so weitermachen können. Wir arbeiten gerade an einem Forschungsprojekt namens LaNaSys (Anm.: Laub-, Nadelholz-Bausystem), bei dem das Brettsperrholz mithilfe einer Mittellage aus Laubholz weiterentwickelt wird. Da die Laubholzeigenschaften deutlich besser sind als die von Nadelholz, braucht man insgesamt weniger Holz, um die gleichen Leistungseigenschaften zu erreichen.

Der Holzbau muss jetzt anfangen ressourceneffizienter zu werden. Denn nachhaltige Waldwirtschaft ist auch beschränkt in ihren Zuwächsen. Es wird im Moment weltweit sehr viel gepflanzt, aber das dauert natürlich eine gewisse Weile bis zur Hiebreife.

Sägewerk, Foto, Philipp Horak

Holzquerschnitt, Foto, Philipp Horak

Bei einer ökologischen Waldwirtschaft und einer sinnvollen Holznutzung in langfristigen Produkten besteht die realistische Chance, tatsächlich den Klimawandel zu bekämpfen und die CO₂-Menge in der Luft zu reduzieren.

Stefan Winter, Holzbau-Ingenieur und Professor an der TU München

Sie zählen also nicht zu den Optimisten, die sagen, wir könnten theoretisch alles in Holz bauen?

Ich sehe das ein bisschen kritischer, denn die Ressource Holz geht ja nicht nur ins Bauwesen, das darf man nicht vergessen. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel baut UPM Biochemicals derzeit eine Fabrik, in der Biochemikalien auf Holzbasis hergestellt werden. Zu den Produkten zählen etwa PET-Flaschen und Bio-Ruß für Autoreifen, in anderen Fabriken werden Textilien aus Holz hergestellt. In der ersten Ausbaustufe einer solchen chemischen Fabrik benötigt man circa eineinhalb Millionen, in der Endausbaustufe dann zehn Millionen Kubikmeter Holz pro Jahr. Das wäre ungefähr ein Siebtel von unserem Regeleinschlag in Deutschland. 

Aber ich glaube dennoch, dass es genug Holz zum Bauen gibt, wenn man sich gleichzeitig damit beschäftigt, ressourceneffizienter zu werden.

Wie sieht es mit dem Zustand unserer Wälder aus?

Wir hatten große Borkenkäferschäden nicht nur in Deutschland, auch in Österreich und in der Schweiz. Wir müssen uns überlegen, welcher Waldumbau künftig notwendig ist. Aber da bin ich sehr optimistisch, denn ich bin davon überzeugt: Egal was uns der Forst aus dem Wald bringt, mit modernen Verarbeitungstechnologien kann man daraus Werkstoffe herstellen, die den Kohlenstoff in einer langfristigen Verwendung 50, 100, 150 Jahre speichern können.

Der schlechteste Ansatz für mich ist, zu sagen, wir müssen die Wälder einfach nur von allein wachsen lassen und dann ist alles gut. Es ist ja schon wissenschaftlich bewiesen, dass das nicht stimmt. Bei einer ökologischen Waldwirtschaft und einer sinnvollen Holznutzung in langfristigen Produkten besteht die realistische Chance, tatsächlich den Klimawandel zu bekämpfen und die CO₂-Menge in der Luft zu reduzieren.

Sehen Sie auch in anderen Baubereichen Potenzial zur Dekarbonisierung?

Es gibt natürlich auch spannende Entwicklungen bei den anderen Werkstoffen. Die Betonbauer beschäftigen sich intensiv mit CO₂-ärmeren Betonen, mit anderen Zuschlagstoffen und Leichtbetonen. Es ist immer so, in Krisensituationen fängt man an, den Ingenieurverstand auf neue Lösungen zu fokussieren. Erfreulicherweise gibt es heute zusätzlich sehr viel Ingenieurverstand von jungen Frauen, die gerade an umweltrelevanten Themen interessiert sind und eine neue Kreativität einbringen. Ich bin überzeugt, da wird es noch eine Menge Erfindungen und Weiterentwicklungen geben.

Stefan Winter, TU München, Holzbau, Foto, Philipp Horak
Stefan Winter hält Holz-Hybrid-Hochhäuser bis zur 300-Meter-Grenze für realistisch.

Derzeit werden Holz-Hybrid-Hochhäuser gebaut, die schon bald die 100-Meter-Marke knacken werden. Was glauben Sie, welche Entwicklung steht uns im urbanen Holzbau noch bevor?

Ich kann mir vorstellen, dass man hybride Hochhäuser bis zur 300-Meter-Grenze baut. Rein technisch fällt mit nichts Limitierendes ein. Holz ist ein Werkstoff mit einem extrem guten Leistungsgewicht, das heißt, dass sein Gewicht im Verhältnis zu seinen statischen Eigenschaften sehr niedrig ist. Daher kann ich mir Holz vor allen Dingen in der Nachverdichtung der Städte auf dem Gebäudebestand vorstellen. Das wird zumindest in Mitteleuropa erst mal das ganz große Geschäft werden: dranbauen, dazubauen, oben draufbauen, aufstocken. Für unser Büro ist das inzwischen eine regelmäßige Aufgabe, da wird quasi am offenen Herzen operiert, also ohne Unterbrechung der Nutzung.

Die Masse der Gebäude in Städten liegt höhenmäßig zwischen sechs und zehn Geschossen, ein Bereich, der sich mit dem Holzbau gut abdecken lässt – nicht nur bei uns. Ich habe auch die Hoffnung, dass in der Ukraine die Chance genutzt wird, sie als eines der ersten wirklich nachhaltigen Länder wiederaufzubauen.

Womit wird sich die Baubranche künftig noch auseinandersetzen müssen?

Wir werden uns intensiv mit Urban Mining beschäftigen müssen, also mit der Rückgewinnung von Materialien, die wir bereits verbaut haben. Das betrifft auch den Holzbau. In einem größeren Forschungsprojekt zusammen mit dem Karlsruher Institut für Technologie analysieren wir derzeit, wie gebrauchte Hölzer in ihren Leistungseigenschaften zu bewerten sind. Das gilt für andere Baustoffe gleichermaßen.

Letztendlich muss man die Menschheit vor allen Dingen davon überzeugen, dass die Wälder, wenn man sie richtig bewirtschaftet, eine unendliche Ressource sind.

Stefan Winter, Holzbau-Ingenieur und Professor an der TU München

Erhebungen zufolge landet Altholz derzeit meist auf der Müllhalde, weil es angeblich zu kostspielig ist, es auf Statik und chemische Behandlung untersuchen zu lassen.

Kosten sind immer relativ und auch von der Verfügbarkeit abhängig. Wenn ich genug Frischholz habe und das billig ist, wird es die erste Option sein. Wenn ich insgesamt aber in eine Verknappung komme, dann wird auch die Wiederverwendung von Ressourcen attraktiver. Wenn ein Karl Moser (Anm.: erster industrieller Brettsperrholz-Produzent) vor einem Vierteljahrhundert gedacht hätte, das ist doch viel zu teuer, dann hätten wir heute nicht eine Produktion von 1,5 Millionen Kubikmeter Brettsperrholz in Europa, Tendenz: steigend.

Bei Althölzern aus den 1950er-Jahren, die mit Arsen behandelt wurden, ist es natürlich unmöglich, sie weiter als Bauholz zu verwenden. Aber die chemische Behandlung haben wir ja zum Glück seit Anfang der Neunzigerjahre abgeschafft. Heute wissen wir, es ist keine chemische Imprägnierung nötig, sondern eine technische Trocknung und ein vernünftiger baulicher Holzschutz sind vollkommen ausreichend.

In Portland, Oregon, hat ein Architekturbüro kürzlich 80 Jahre altes Holz aus einem Industriegebäude geborgen und neu verbaut (Projekt: Redfox Commons). Das Holz war in tadellosem Zustand.

Holz ist eigentlich unzerstörbar, solange es trocken bleibt. Es gibt keine Karbonatisierung wie beim Beton, es gibt keine Korrosion wie beim Stahl. Den besten Beweis liefern die aus Holz gebauten Stabkirchen in Norwegen ebenso wie die Tempel in Japan. Die sind an die tausend Jahre alt. 

Redfox Commons, Lever Architecture, Portland, Oregon
Beim Re-Use-Projekt Redfox Commons in Portland, Oregon, hat das Architekturbüro Lever Architecture an die 80 Jahre altes Holz geborgen und neu verbaut.

Der aktuelle Run auf den Klimahoffnungsträger Holz fällt mit einem Rekordniveau an globaler Abholzung und Entwaldung zusammen. Wie schafft die Menschheit diesen Spagat?

Die Menschheit ist manchmal regelrecht dumm, das kann man nicht anders sagen. Der Machtwechsel in Brasilien gibt Anlass zur Hoffnung, dass die Landgewinnung für Ackerbau und Viehzucht eingebremst wird. Letztendlich muss man die Menschheit aber vor allen Dingen davon überzeugen, dass die Wälder, wenn man sie richtig bewirtschaftet, eine unendliche Ressource sind. Das muss man einerseits über Erziehung, Bildung, Forschungsarbeit und Ausbildungswege sicherstellen und andererseits durch politischen Willen, das auch tatsächlich umzusetzen. Bei dieser Mammutaufgabe fühlt man sich als Einzelner manchmal ohnmächtig. Man kann nur mit kleinen Schritten versuchen weiterzukommen. 

Wie zum Beispiel?

Wir reichen an der TU München aktuell gerade ein Projekt ein: das „Intra-Africa Education Team for Sustainable Construction“, bei dem wir mit der KNUST (Anm.: Kwame-Nkrumah-Universität für Wissenschaft und Technik) in Ghana, der Universität in Johannesburg und einer Universität in Tansania zusammenarbeiten wollen, um entsprechende Studiengänge aufzubauen und ein Bewusstsein zu schaffen für nachhaltiges Bauen und ökologische Forstwirtschaft. Wir müssen verstehen, dass wir in Europa auf einem wahnsinnig hohen Niveau leben und dass wir die, die sich angleichen wollen, von vornherein mit allen Kräften unterstützen müssen, damit sie dies auf eine umweltverträgliche Art und Weise tun können.

Welche kleinen Schritte kann jeder Einzelne setzen?

Wir müssen daran arbeiten, uns zurückzunehmen. Auch das hat etwas mit Bildung zu tun. Es ist auch in unseren Gesellschaften sehr schwierig, den Leuten beizubringen, dass ein bisschen weniger Fleisch für sie selber gesund und für die Umwelt gut ist. Oder dass mit dem Zug fahren tatsächlich besser ist als mit dem SUV. Da muss eigentlich jeder bei sich selber anfangen.

Das heißt, wir schaffen das?

Dass das Scheitern der Menschheit völlig außerhalb des Wahrscheinlichen liegt, das würde ich nicht behaupten. Aber Holz könnte ein Schlüssel für die Klimawende sein. Um Hans Joachim Schellnhuber zu zitieren, den emeritierten Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung: „Reforest the planet, retimber the city.“ Das finde ich einen sehr schönen Ansatz, den ich auch gerne weiter mit unterstütze.

Interview: Gertraud Gerst
Fotos: Philipp Horak, Technische Universität München, Jeremy Bittermann, Lever Architecture
Visualisierungen: Sacker Architekten

Jetzt Newsletter Bestellen <>