#architektur

Leuchtturm im Kulturbezirk

Îlot Balmoral ist der außergewöhnliche Name eines außergewöhnlichen Bürogebäudes: Die „Insel“ im kanadischen Montreal fungiert als (rot) leuchtendes Beispiel für die Verbindung von Kultur und Architektur.

Seit mehr als 100 Jahren ist das Quartier des Spectacles in der Innenstadt von Montreal das kulturelle Herzstück der kanadischen Metropole. Im Laufe der Jahrzehnte siedelten sich in dem Viertel zahlreiche Kabaretts, Theater sowie das Kulturzentrum Place des Arts an.

Heute werden hier für Einheimische und Tourist:innen an mehr als 80 Veranstaltungsorten Festivals, Konzerte, Opern, Theaterstücke, Comedy sowie Tanz-Events angeboten. Öffentliche Kunstinstallationen und Lichtprojektionen sorgen für eine außergewöhnliche Atmosphäre. „Hier ist die Show allgegenwärtig: drinnen und draußen, zu jeder Jahreszeit, Tag und Nacht“, heißt es offiziell seitens der Stadt.

Montreal, Quartier des Spectacles

Für diesen beeindruckenden Stadtteil Montréals hat das lokale Architekturbüro Provencher_Roy ein nicht minder beeindruckendes Bürogebäude entworfen. Im Auftrag der Société d’Habitation de Montréal (SHDM), einer gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft, wurde ein 13-stöckiges Hochhaus namens Îlot Balmoral („Balmoral Insel“, in Anlehnung an den gleichnamigen roten Granit) errichtet, in dem mittlerweile unter anderem das National Film Board of Canada (NFB) sowie die École des arts numériques, de l’animation et du design (NAD) der Université du Québec à Chicoutimi (UQAC) beheimatet sind.

Ilot Balmoral

Ein Spalt in rot

Das Markenzeichen von Îlot Balmoral ist die rote „Verwerfung“, die das Gebäude durchbricht. Ihre leuchtende Farbe sei als künstlerisches Element zu verstehen, das „eine starke Verbindung zum Quartier des Spectacles herstellt“, wie Provencher_Roy erklärt. „Diese Öffnung teilt das Gebäude in zwei unterschiedliche Blöcke. Sie gibt den Blick auf ein durchgehendes Atrium frei, das Tageslicht ins Gebäude eindringen lässt und so auch die Fußgängerbrücken, die beide Blöcke verbinden, beleuchtet. Die rote Wand des nördlichen Teils der Insel neigt sich nach innen, bevor sie den Boden berührt, wodurch die Leichtigkeit und Transparenz des Erdgeschosses erhöht wird und ein schwebender Eindruck entsteht.“

Für das offene Atrium, das sich bis zum gläsernen Dach erstreckt, wählte das Architekturbüro neben Sichtbeton ausschließlich helle Farben, „um die Energie und Dynamik der Lobby widerzuspiegeln und zu verstärken“ und ergänzte das Design durch Elemente wie freistehende Säulen. Oberhalb der Lobbyebene wird das Atrium von hell erleuchteten Büros eingerahmt. Die Fußgängerbrücken auf jeder Ebene bieten Ausblicke auf die umliegende Stadt bis hin zu Montreals Wahrzeichen Mont Royal.

Atrium Ilot Balmora
Das Atrium erstreckt sich bis zum Dach.

Ilot Balmoral, Montreal
Zwei Blöcke, ein Spalt und eine grüne Dachterrasse.

Fassaden-Bildschirm

Der nordöstliche Block des Hochhauses weist ein Stockwerk mehr auf als der südwestliche Teil. Auf diesem ermöglicht eine begrünte Dachterrasse nicht nur einen weiteren Blick auf Montreal, hier können zudem Veranstaltungen im Freien stattfinden.

Abseits der roten Verwerfung dominiert eine Glasfassade. Deren glatte und nahtlose Fläche kann als potentielle Riesenleinwand für entsprechende Veranstaltungen im Quartier des Spectacles genutzt werden. Zudem sorgen die Paneele für einen enormen Lichteinfall im Inneren. Die „saubere“ Fassade stellt einen gewollten Kontrast zum roten Spalt dar. Îlot Balmoral soll sich von traditionellen Bürotürmen im Viertel bewusst abheben.

Hochhaus als Bildschirm

Symbol der Verbindung

„Wir hatten vier Entwürfe eingereicht, wie ein speziell für die Kulturwirtschaft konzipiertes Bürogebäude aussehen könnte. Îlot Balmoral wurde ausgewählt, da es die lebendige, dynamische Natur des Viertels widerpiegelt“, erzählt Claude Provencher, Gründungspartner von Provencher_Roy.

„Mit seiner Lage in einer symbolträchtigen Gegend Montreals wird Îlot Balmoral zu einem zentralen Punkt und wichtigen Akteur der Umgebung. An der Schnittstelle zwischen dem Geschäftszentrum und dem Quartier des Spectacles gelegen, definiert sein Standort eine starke Achse und betont die Verbindung zwischen diesen Stadtteilen.“

NFB Logo
Das „legendäre“ NFB-Logo.

Montreal Blick,
Der Blick auf Montreal.

Leuchtender Mittelpunkt

Vier Stockwerke des Gebäudes wurden von Provencher_Roy speziell für das National Film Board of Canada, den Hauptmieter im Îlot Balmoral, gestaltet. Unter anderem, um dessen technischen Anforderungen gerecht zu werden. Eine weiße Treppe führt vom Haupteingang direkt zu den NFB-Büros. In der Lobby prangt das berühmte NFB-Logo als Symbol der kanadischen Designgeschichte.

Der Einzug des NFB sei ein Beweis dafür, „dass Architektur Nachbarschaft neu definieren kann“, meint Provencher dazu. „Nicht nur auf visueller oder physischer Ebene, sondern auch in ihrer Rolle als Mittelpunkt menschlichen Zusammenlebens. Eine Reihe weiterer Kulturorganisationen haben inzwischen Mietverträge unterzeichnet. Îlot Balmoral entwickelt sich zu jenem kreativen Zentrum, das wir uns vorgestellt haben.“

Text: Michi Reichelt
Bilder: Stéphane Brügger

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