Liuzhou Forest City Stefano Boeri Architetti
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China baut die Stadt der Zukunft

Hitzeinseln, Luftverschmutzung, Bodenversiegelung und CO₂-Emissionen gibt es in der Forest City nicht. Nahe der südwestchinesischen Stadt Liuzhou entsteht nach den radikalen Plänen des Architekturbüros Stefano Boeri eine Stadt, die zugleich Wald ist.

Über viele Jahre war die Luftverschmutzung in Chinas Metropolen so stark, dass die Bewohner den blauen Himmel nur aus dem Fernsehen kannten. Laut einer Studie von US-Forschern aus dem Jahr 2015 fordern die erhöhten Luftschadstoffe in der Volksrepublik jeden Tag mehr als 4.000 Menschenleben. Weltweit lassen sich laut WHO etwa 24 Prozent aller Todesfälle auf Luftverschmutzung zurückführen. Das macht sie zur aktuell größten Umweltkatastrophe der Welt.

Der blaue Himmel kehrt zurück

In China hat sich seither viel getan. Das Blatt begann sich zu wenden, als die US-Botschaft in Peking damit begann, die am Gelände gemessenen Smogwerte auf Twitter zu veröffentlichen. Die erschreckenden Ergebnisse trugen mit dazu bei, dass die chinesische Regierung einen Masterplan gegen Luftverschmutzung verabschiedete. Die Schwerindustrie und andere große Verschmutzer wurden aus den Ballungszentren verbannt und in den Privathaushalten vieler Städte darf seither keine Kohle mehr in die Öfen.

Liuzhou Forest City, China, Stefano Boeri Architetti
Die neue Stadt Forest City soll Chinas Smog-Problem in den Griff kriegen und die Klimawende schaffen.

Durch diesen ganzheitlichen Ansatz wird eine urbane Region zum ersten Mal auf der Welt in der Lage sein, die Luftverschmutzung erheblich zu senken und gleichzeitig erneuerbare Energien im großen Maßstab einzusetzen.

Stefano Boeri, Architekt

Und siehe da: Der Himmel über Peking zeigt sich an schönen Tagen wieder strahlend blau. Aber der Weg hin zu gesunden Städten ist noch lang. Die Feinstaubbelastung ist vielerorts noch immer verheerend, und obendrein droht die Klimaerwärmung viele Städte unbewohnbar zu machen, nicht nur in China. Die Stadtplaner aus dem Reich der Mitte haben nun damit begonnen, die urbane Architektur radikal neu zu denken. Mit Wind- und Solarenergie, E-Mobilität und der rigorosen Bewaldung von Städten. 

Forest City, ein Stadt-Modell für die Zukunft

Dazu haben sie den Vordenker der Urban Forestry an Bord geholt, den italienischen Architekten Stefano Boeri. Mit seinem Pilotprojekt Bosco Verticale in Mailand hat er einen bewaldeten Hochhaus-Typ geschaffen, der die Städte von morgen klimafit machen soll. Dabei erfüllt der vertikale Wald laut Boeris Manifest mehrere Funktionen. Er reinigt die Luft, senkt die CO₂-Emissionen, puffert den Lärm, kühlt die Umgebung und steigert die Biodiversität im urbanen Raum.

Aerial, Liuzhou Forest City, China, Stefano Boeri Architetti
Die Forest City passt sich an die Topografie der umgebenden Landschaft an.

China will nun eine ganze Stadt nach diesem Konzept bauen. Nördlich von Liuzhou, in der bergigen Provinz Guangxi, entsteht laut dem Architekturbüro von Stefano Boeri die erste Forest City der Welt. Bewohner dieser neuen Waldstadt werden trotz modernster Infrastruktur den Planeten so hinterlassen, wie sie ihn vorgefunden haben. Durch die Bepflanzung von horizontalen und vertikalen Flächen mit 40.000 Bäumen und einer Millionen Pflanzen wird durch den Bau der Stadt de facto keine Fläche versiegelt.

Fossil betriebene Fahrzeuge müssen draußen bleiben

Dass sich die Gebäude dieser Stadt in die Umgebung einfügen, ist eine Untertreibung. Die Grenze zwischen gebauter Umwelt und Natur ist kaum auszumachen, da sich die Wohnhäuser, Hotels, Geschäfte, Schulen und Hospitäler an die Topografie der karstreichen Landschaft anpassen. Während Pflanzen und Tiere die Hügel im Umland bevölkern, sind die Erhebungen in der Forest City zusätzlich von Menschen bewohnt.

Station, Liuzhou Forest City, China, Stefano Boeri Architetti
Eine Schnellstraße für den E-Verkehr und ein Hochgeschwindigkeitszug verbinden das Stadtzentrum von Liuzhou mit der Forest City.

Ein moderner Hochgeschwindigkeitszug verbindet das Stadtzentrum von Liuzhou mit der neuen Waldstadt. Das Straßennetz für die individuelle Motorisierung wird ebenfalls ausgebaut, es soll allerdings den elektrisch betriebenen Fahrzeugen vorbehalten bleiben. Das heißt, fossil betriebene Autos und LKWs müssen draußen bleiben. Eine radikale Ansage, die den Ausbau der E-Mobilität in kürzester Zeit vorantreiben dürfte.

Ein urbaner Organismus

Der Masterplan von Stefano Boeri Architetti sieht eine grüne Stadt vor, die dank Geothermie, Sonnen- und Windenergie komplett autark ist. „Durch diesen ganzheitlichen Ansatz wird eine urbane Region zum ersten Mal auf der Welt in der Lage sein, die Luftverschmutzung erheblich zu senken und gleichzeitig erneuerbare Energien im großen Maßstab einzusetzen“, heißt es in einem Statement der Architekten. Man sei auf dem Weg in einer neue Ära urbaner Architektur. Eine, die Antworten auf die Herausforderungen des Klimawandels bietet und Modelle für die Zukunft unseres Planeten schafft.

Detail, Liuzhou Forest City, China, Stefano Boeri Architetti
Geothermie, Sonnen- und Windenergie werden die Forest City komplett energieautark machen.

Die Liuzhou Forest City ist ein urbaner Organismus, der wie eine Art nachhaltige Maschine funktioniert. Jedes Jahr absorbiert die Stadt laut Architekten an die 10.000 Tonnen CO₂ und 57 Tonnen Mikropartikel, während sie zugleich 900 Tonnen Sauerstoff produziert. Hitzeinseln und kritische Rekordtemperaturen im Sommer gibt es hier nicht. 

Wie die Stadt im täglichen Betrieb funktioniert, wird sich in der Praxis zeigen. Laut dem Büro von Boeri arbeitet das Stadtbauamt von Liuzhou bereits an der Umsetzung. Ein ähnliches Projekt mit dem Namen Smart Forest City Cancun wird derzeit in Mexiko entwickelt. Ein Leben in Harmonie mit dem Planeten scheint also in Reichweite zu sein. Zumindest für diese neuen Städte vom Reißbrett. 

Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: Stefano Boeri Architetti

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