Multihalle Mannheim, Renovierung, Frei Otto, Arthur Bauer
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Ein Wunder in Neuauflage

Mit der Mannheimer Multihalle schuf Pritzker-Preisträger Frei Otto ein architektonisches Meisterwerk, das als „Wunder von Mannheim“ in die Geschichte einging. Seit 2021 wird es aufwändig saniert. Das neue Nutzungskonzept soll ganz im Sinne des alten Meisters sein.

Zur Bundesgartenschau 1975 wurde im Mannheimer Herzogenriedpark die Multihalle eröffnet. Sie war weltweit einzigartig und visionär. Mit einer Höhe von 20 Metern und einer Querspannweite von 60 Metern war sie die größte freitragende – und zweifach gekrümmte, wohlgemerkt – Holzgitterschalenkonstruktion der Welt, und ist es bis heute geblieben. „Das Wunder von Mannheim“, wie die „Zeit“ damals titelte, war Ausdruck einer Suche nach neuen und freien Formen des Bauens. Mit ihrem Formfindungsprozess und der biomorphen Gestalt kann man die Multihalle auch als analogen Wegbereiter der heutigen parametrischen Formwelten bezeichnen.

Frei Otto, Denken in Modellen
Frei Otto erkannte die Modellhaftigkeit der Natur und versuchte sie Zeit seines Lebens für die Architektur und den Ingenieurbau nutzbar zu machen.

Man muss mehr denken, mehr forschen, entwickeln, erfinden und wagen…

Frei Otto, Architekt, Visionär und Pritzker-Preisträger

Der Entwurf stammt von den Architekten Carlfried Mutschler, Joachim Langner und dem Pritzker-Preisträger Frei Otto, der zuvor bereits ähnliche Leichtbauten aus Holz umgesetzt hatte. 30 Jahre später bekannte der Baupionier Otto in einem Dokumentarfilm, dass er die Multihalle für seinen „kühnsten Bau“ hielt, „viel kühner als das Olympiadach“, das er drei Jahre zuvor in München realisiert hatte. Woran heute kein Zweifel besteht: Sie ist ein wichtiges Zeugnis der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts und soll als solches für die Nachwelt erhalten bleiben. Im Jahr 2021 hat man damit begonnen, das Bauwerk umfassend zu sanieren.

Rettung vor dem Abriss

Doch die baukulturelle Bedeutung des Meisterwerks wurde in der Vergangenheit nicht immer erkannt. Die Multihalle sollte als temporäres Bauwerk ursprünglich nur für die Dauer der Bundesgartenschau bestehen. Verformungen des Daches führten in den 1990er-Jahren zu einem Auslaufen der Baugenehmigung. Nachdem der Mannheimer Gemeinderat 2016 eine Sanierung und Weiternutzung ablehnte, drohte sogar der Abriss der Multihalle. Und das, obwohl sie seit 1998 unter Denkmalschutz stand und Frei Otto kurz zuvor posthum mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde. 

Multihalle Mannheim, Frei Otto, Sanierung
Der Abriss der größten Holzgitterschalenkonstruktion der Welt von Frei Otto stand kurze Zeit zur Debatte, bevor man 2021 einen großen Sanierungs- und Transformationsprozess startete.

Der Aufschrei in der internationalen Architekturszene war entsprechend groß. Auf Initiative der Berliner Kuratorin Sally Below und Georg Vrachliotis, Professor für Architekturtheorie, erweckte man die „Sleeping Beauty“ auf der Architekturbiennale in Venedig 2018 in einer vielbeachteten Ausstellung zu neuem Leben. Es schaffte Bewusstsein für das baukulturelle Erbe und führte schließlich zur allgemeinen Verständigung darauf, dass die identitätsstiftende Ikone erhalten bleiben soll.

Ein Schirm der Demokratie

„Man muss mehr denken, mehr forschen, entwickeln, erfinden und wagen…“ Dieses Zitat von Frei Otto aus einem Vortrag in den 1980er-Jahren beschreibt exemplarisch die Arbeit und Philosophie dieses Visionärs und Erfinders. Ein Zitat, das nun auch zum Leitmotiv der Transformation und neuen Bespielung des architektonischen Erbstücks geworden ist. 

Multihalle Mannheim, Arthur Bauer
Im Zuge der Transformation soll „das Wunder von Mannheim“ zu seinem ursprünglichen Konzept zurückfinden.

Im Sinne des Frei Otto’schen Denkens wird die Multihalle zu einem vielseitig nutzbaren Raum der Möglichkeiten – als Symbol einer zukunftsorientierten Mannheimer Stadtentwicklung.

Verein Multihalle Mannheim

„Im Sinne des Frei Otto’schen Denkens wird die Multihalle zu einem vielseitig nutzbaren Raum der Möglichkeiten – als Symbol einer zukunftsorientierten Mannheimer Stadtentwicklung“, heißt es vonseiten des Vereins Multihalle Mannheim, der sich um den Erhalt des Gebäudes kümmert. Als Vereinsgründer lobten die Stadt Mannheim und die Architektenkammer Baden-Württemberg den internationalen Ideenwettbewerb „Multihalle – Democratic Umbrella” aus.

Ein partizipativer Prozess

Den Sieg des Wettbewerbs holte das in Rotterdam und Barcelona angesiedelte Architekturbüro COFO, das auf urbane Projekte mit offenen partizipativen Prozessen spezialisiert ist. Das Konzept entwickelte es gemeinsam mit PEÑA architecture, das Heidelberger Büro W + unterstützte beim technischen Teil des Projekts.

Nach dem ursprünglichen Konzept sollte die Multihalle einst zum lebendigen Zentrum der Nachbarschaft werden. Zwar sorgten AC/DC und andere große Bands für erinnerungswürdige Momente in der außergewöhnlichen Location, aber ein durchgehend belebter Ort ist daraus nie geworden. Das soll sich mit dem neuen Nutzungskonzept ändern, das in einem offenen Dialog mit der Nachbarschaft erarbeitet wird. 

Skizze, COFO, Multihalle Mannheim
„Eine optimistische Kulturlandschaft für eine offene Gesellschaft im Einklang mit sich selbst und mit der Natur.“ So formuliert COFO-Gründer Guillem Colomer das Wesen der künftigen Multihalle.

Gemeinsam stellt man sich die Frage: Was braucht die Gesellschaft wirklich? „Es ist wichtig, die einzigartige Chance zu erkennen, die die neue Multihalle darstellt – für die Nachbarschaft, für Mannheim und für die gesamte Region“, erklärt Guillem Colomer, der Gründer von COFO. Bei der Transformation der Halle wird besonderes Augenmerk darauf gelegt, „einen dynamischen sozialen Raum zu schaffen, der die Kreativität der Bürger*innen anregt und ihr Wissen erweitert“ – ganz so wie es Frei Otto und Carlfried Mutschler vor einem halben Jahrhundert beabsichtigt hatten.

Zurück zu Offenheit und Transparenz

Die Restaurierung der Multihalle soll das minimalistische Tragwerk möglichst gut zur Geltung bringen und in seiner ursprünglichen Offenheit wiederherstellen. Um einen durchgehenden Raum zu schaffen und die Ästhetik der Gitterschale nicht zu stören, werden die Geländer und die veralteten Installationsrohre in der Halle entfernt. Holzbänke ergänzen die Betonplattformen und bilden eine Tribüne, die den Schall absorbiert und Raum für technische Elemente bietet.

Detail, Multihalle Mannheim, Frei Otto, Tragwerk
Eine neue Membran soll die Hülle des Bauwerks wieder transparent machen.

Wir suchen jene Baukunst, die aufgrund ähnlicher Prozesse entsteht, wie die Konstruktionen der Natur.

Frei Otto, Architekt, Visionär und Pritzker-Preisträger

Im Zuge der Transformation soll auch die Grenze zwischen Innen und Außen, die sich im Laufe der Jahre manifestiert hat, wieder aufgehoben werden. Anstatt der Kunststoff-Hülle, die in den 1980er-Jahren hinzu kam, wird eine neue Membran die ursprüngliche Transparenz des Bauwerks wiederherstellen. Damit kommt man einem weiteren Bestreben von Frei Otto nach, nämlich Mensch und Natur miteinander zu verbinden.

Pionier des ökologischen Bauens

Die Gitterschalenkonstruktion der Multihalle besteht aus kreuzweise in zwei oder vier Lagen übereinander verlegten Holzlatten. Für die denkmalgerechte Sanierung muss die Holzkonstruktion mit Holzlatten statisch verstärkt werden. Um herauszufinden, wie es gelingen kann, die Verformungen im Dach wieder rückgängig zu machen, installierte man eine Laseranlage, die im Minutentakt die Bewegungen der Dachkonstruktion misst und so die Wiederherstellung der ursprünglichen Geometrie millimetergenau abbildet und überwacht.

Multihalle Mannheim, Stützen, Tragwerk
Vor der Sanierung musste das Tragwerk durch Stützen abgesichert werden.

Damit wird die bauhistorische Ikone, die in einem analogen Formfindungsprozess entstand, mithilfe digitaler Werkzeuge repariert und konserviert. Mit seinem architektonischem Ideal, das Bauen mit einem minimalen Aufwand an Ressourcen, Fläche und Energie zu bewerkstelligen, war Frei Otto seiner Zeit weit voraus. 

„Wir suchen jene Baukunst, die aufgrund ähnlicher Prozesse entsteht, wie die Konstruktionen der Natur“, erklärte einst der 2015 verstorbene Meister der biomorphen Leichtbauten. Auch wenn es damals noch niemand wusste, so war Otto einer der großen Pioniere des ökologischen Bauens. Dass die Multihalle erhalten bleibt, ist also auch ein hoffnungsfrohes Bekenntnis an die Zukunft des Planeten.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Arthur Bauer, Getty Images, Immanuel Giel, Hubert Berberich 

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