Wie sieht die Architektur eines einzigartig modernen Wasserbaulabors innen aus? Und wie das Innenleben historischer Gebäude, nachhaltig sanierten Altbestands oder zukunftsfitter City-Projekte? Dies und mehr kann man bei „Open House Wien“ in Österreichs Hauptstadt kostenlos erkunden.

Wer gern Städte bereist, um deren historische und moderne Architektur zu bestaunen, steht nicht selten vor verschlossenen Türen. Weil viele faszinierende Gebäude schlicht nicht öffentlich zugänglich sind, bleibt der Blick ins Innere verwehrt. Ein Umstand, dem das alljährliche Festival „Open House Wien“ mit kostenlosen Führungen durch viele, sonst verschlossene Baujuwele in und um Österreichs Bundeshauptstadt begegnet. Auch heuer öffnen am 9. und 10. September wieder 62 architektonische Wunderwerke ihre Pforten für interessierte Besucher.

Top-Wasserforschung

Ein Highlight des „Open House Wien“ Festivals 2023 ist das erst jüngst fertiggestellte Wasserbaulabor der Universität für Bodenkultur (BOKU) am Brigittenauer Sporn. Von ATP Architekten Ingenieure konzipiert und weltweit einzigartig, ermöglicht dieses River Lab praxisorientierte Modellversuche im Originalmaßstab. 

Brandneu und faszinierend: Das von ATP Architekten Ingenieure konzipierte Wasserbaulabor der Universität für Bodenkultur, das im Rahmen von Open House Wien seine Pforten für Besucher öffnet. (Bild: Christoph Gruber / BOKU)
Brandneu und faszinierend: Das von ATP Architekten Ingenieure konzipierte Wasserbaulabor …

Brandneu und faszinierend: Das von ATP Architekten Ingenieure konzipierte Wasserbaulabor der Universität für Bodenkultur, das im Rahmen von Open House Wien seine Pforten für Besucher öffnet. (Bild: ATP / Kuball)
… der Universität für Bodenkultur, das im Rahmen von Open House Wien seine Pforten für Besucher öffnet.

Der hochmoderne Neubau nützt die Wasserspiegeldifferenz von drei Metern zwischen Donaukanal und Donau und bietet optimale Bedingungen für umfassende Forschungsarbeit zu aktuell brennenden Themen wie Hochwasser- und Umweltschutz, Gewässermorphologie, Sedimenttransport sowie Wasserkraft und -straßen.

10.000 Liter pro Sekunde

Indoor-, Outdoor- und Public Labs, wo Labor-Rinnen und -Modelle sowohl im Gebäude als auch im Freien betrieben werden, wurden innovativ verbunden. Herzstück des Labors ist allerdings der unter dem Wasserspiegel liegende „Main Channel“, durch den bis zu 10.000 Liter Donauwasser pro Sekunde geleitet werden können. Und zwar ohne Pumpen oder Fremdenergie.

Das weltweit einzigartige „River Lab“ an der Donau bietet Top-Bedingungen zur Forschung in Bereichen wie Wasserkraft, Hochwasser- und Umweltschutz. (Bild: ATP / Kuball)
Das weltweit einzigartige „River Lab“ an der Donau bietet Top-Bedingungen …

Das weltweit einzigartige „River Lab“ an der Donau bietet Top-Bedingungen zur Forschung in Bereichen wie Wasserkraft, Hochwasser- und Umweltschutz. (Bild: Christoph Gruber / BOKU)
… zur Forschung in Bereichen wie Wasserkraft, Hochwasser- und Umweltschutz.

Vor allem die Planung des Spezialtiefbaus des teilweise unterirdischen Labors erwies sich als herausforderndes Unterfangen: Das spannende River Lab Gebäude wird von einem hochkomplexen System aus Stahlbeton sowie konstruktivem Stahl- und Holzbau getragen. Details dazu erfahren „Open House Wien“ Besucher im Rahmen geführter Rundgänge. Und weil die BOKU Wien als Universität für Life Sciences und Nachhaltigkeit nicht nur zu diesen Themen lehrt und forscht, sondern sie auch „lebt“, hat das Wasserbaulabor diesbezüglich viel zu bieten.

Nachhaltig & innovativ

Im Zusammenhang mit Versuchen ist es möglich, künftig einen Beitrag zum Strom-Eigenbedarf der Anlage über Turbinen und Generatoren im Wasserkraftversuchsstand selbst zu leisten. Zudem verfügt das River Lab über eine PV-Anlage mit 250 kW/peak und bekommt einen Stromspeicher. Weil das im Rahmen von „Open House Wien“ zugängliche Wasserbaulabor anstelle bestehender, stadteigener Gebäude errichtet wurde, war für den Neubau kein weiterer Bodenverbrauch nötig.

Holz überm Wasser

Die Primärkonstruktion des Daches ist mit Holzleimbindern konzipiert und überspannt mit nahezu 30 Metern bogenförmig das River- und Public Lab sowie den Hörsaal. Durch außenliegenden Sonnenschutz und ein spezielles Fassadensystem können das Wasserbaulabor und seine Büros im Sommer ohne Klimaanlage betrieben werden. Die Beheizung erfolgt über Wärmepumpen, die als reversible Ausführung im Sommer auch der Kühlung dienen.

Das Forschungsgebäude ist Teil des Thementrails „Lebenslanges Lernen“, bei dem Open House Wien auch zum Besuch vieler weiterer interessanter Gebäude unterschiedlichen Errichtungsdatums lädt. (Bild: Christoph Gruber / BOKU)
Das Forschungsgebäude ist Teil des Thementrails „Lebenslanges Lernen“, bei dem Open House Wien auch zum Besuch vieler weiterer interessanter Gebäude unterschiedlichen Errichtungsdatums lädt.

Die brandneue, zukunftsorientierte Forschungsstätte ist nur eines der interessanten Objekte, deren Innenleben Besucher des „Open House Wien” Festivals bei kostenlosen Führungen erkunden können. Das River Lab ist dabei Teil des Thementrails „Lebenslanges Lernen“, der etwa auch Gebäude wie die 1884 nach Plänen von Heinrich von Ferstel fertiggestellte Universitätsbibliothek und den faszinierenden Rundbau des 1785 errichteten „Narrenturms“ (Pathologisch-Anatomische Sammlung, Architektur: Josef II., Josef Gerl, Isidore Canevale) für Besucher öffnet.

62 Baujuwele & drei „Trails“

Nicht minder spannend: Die um 1860 erbaute und 1909 aufgestockte Handelsakademie von Ferdinand Fellner dem Älteren, die der Akademiestraße im Zentrum Wiens ihren Namen gab und heute die Vienna Business School beherbergt. Oder das Palais Cumberland aus 1744, in dem das berühmte Max Reinhardt Seminar logiert, an dem Schauspiel-Stars wie O. W. Fischer, Elisabeth Orth oder Oscar-Preisträger Christoph Waltz studierten. Oder das von Boris Podrecca und Gerhard Hagelkrüys entworfene IMBA (Institut für Molekulare Biotechnologie der ÖAW), mit dem 2006 ein beeindruckend innovativer Forschungscluster mit „Stadt in der Stadt“-Charakter entstand.

Architekt Roland Rainers 1963 fertiggestellte Glaubenskirche: Das schlichte Konstrukt aus Beton, Ziegel, Glas und Fichtenholz ist einer der vielen Höhepunkte des Open House Wien Thementrails „Mid-Century Vienna“. (Bild: Filmgut / Thomas Zeller)
Architekt Roland Rainers 1963 fertiggestellte Glaubenskirche: Das schlichte Konstrukt aus Beton, Ziegel, …

Architekt Roland Rainers 1963 fertiggestellte Glaubenskirche: Das schlichte Konstrukt aus Beton, Ziegel, Glas und Fichtenholz ist einer der vielen Höhepunkte des Open House Wien Thementrails „Mid-Century Vienna“. (Bild: Filmgut / Thomas Zeller)
… Glas und Fichtenholz ist einer der vielen Höhepunkte des Open House Wien Thementrails „Mid-Century Vienna“.

Der Thementrail „Mid-Century Vienna“ indes gibt Einblick in herausragende, aber noch kaum entdeckte architektonische Wunderwerke aus den 1950er und frühen 1960er Jahren. Dazu zählen unter anderem das 2021 achtsam generalsanierte Gartenbaukino, Star-Architekt Roland Rainers 1962/63 erbaute Glaubenskirche oder das Magdas Hotel City, für das ein einstiges Priesterwohnheim geschickt, cool und möglichst nachhaltig zum sinnstiftend sozialen Projekt umdesignt wurde.

Legendäre Gemeindebauten

Besonders sehenswert sind allerdings auch Bauten, die Wien weltweit zum gern erwähnten Pionier gekonnten sozialen Wohnbaus gemacht haben. Zwei davon kann man beim diesjährigen „Open House Wien“ Festival genau betrachten: Den zwischen 1953 und 1957 errichteten und 2022 sanierten, zentral gelegenen Georg-Emmerling-Hof am Donaukanal. Und den 1928 fertiggestellten Sandleitenhof mit seinen mehr als 1.500 Wohnungen, der verschiedene Baustile in einer Anlage vereint.

Gemeindebauten wie der Sandleitenhof haben Wien den Ruf einer Pionierstadt in Sachen sozialem Wohnbau eingetragen. (Bild: Filmgut / Thomas Zeller)
Gemeindebauten wie der Sandleitenhof haben Wien den Ruf einer Pionierstadt in Sachen sozialem Wohnbau eingetragen.

Beim Thementrail Nummer drei lädt die IG Architektur unter dem Titel „Das gute Leben in der Stadt?“ zum Dialog zwischen Bewohnern, Planern, Bauherren und Interessierten ein. Beispielhafte Projekte demonstrieren, welchen Beitrag Architektur zu urbaner Lebensqualität leisten kann. Im Fokus:  Sorgsamer Umgang mit dem Bestand sowie gemeinschaftliches Bauen, Leben und Arbeiten. Und dieser Trail wartet mit vielen eindrucksvoll „verwandelten“ Gebäuden auf: Gelungene städtische Nachverdichtung durch Dachgeschossausbauten kann man dabei ebenso betrachten, wie nachhaltige Revitalisierung und innovative Lösungen für verschiedenste Wohnbedürfnisse.

Open House Wien Thema „Umnutzung“

Da wäre etwa Architektin Regina M. Lettners „Skywood“, das sonst vorwiegend im Industriebau verwendete Holzelemente erstmals in einem Wiener Wohnprojekt einsetzt. Oder das von gaupenraub+/- entworfene, großartige Nach- und Umnutzungsprojekt „VinziRast“ im niederösterreichischen Mayerling, im Umland von Wien: Ein altes Hotel wurde zum neuen Wohn- und Beschäftigungsprojekt der Vinzenzgemeinschaft St. Stephan zur Inklusion obdachloser Menschen, das nun auch durch Permakultur-Landwirtschaft brilliert.

Mehr als 1.500 Wohnungen, Bücherei, Waschsalon und mehr: Der 1929 fertiggestellte Sandleitenhof gilt als größter Gemeindebau des Roten Wien der Zwischenkriegszeit und kann bei Open House auch von innen besichtigt werden. (Bild: Filmgut / Thomas Zeller)
Mehr als 1.500 Wohnungen, Bücherei, Waschsalon und mehr: Der 1929 fertiggestellte Sandleitenhof gilt als größter …

Mehr als 1.500 Wohnungen, Bücherei, Waschsalon und mehr: Der 1929 fertiggestellte Sandleitenhof gilt als größter Gemeindebau des Roten Wien der Zwischenkriegszeit und kann bei Open House auch von innen besichtigt werden. (Bild: Filmgut / Thomas Zeller)
… Gemeindebau des Roten Wien der Zwischenkriegszeit und kann bei Open House auch von innen besichtigt werden.

Nachhaltigkeit spielt auch beim im Rahmen von „Open House Wien“ für Besucher offenen Wohnprojekt „Wientalterrassen“ eine zentrale Rolle. Dieser preisgekrönte Neubau im 14. Bezirk zeigt innovative Lösungen für verschiedene Wohnbedürfnisse und ein nachhaltiges Energiekonzept. Mit nahezu 100 Prozent erneuerbarer Energie und dem Modell „Nutzen statt Kaufen“ setzt er neue Maßstäbe für ökologisches Wohnen.

Gekonnte City-Nachverdichtung

Ein Exempel famos gelungenen Dachgeschoßausbaus in einem 1896 errichteten Wohnhaus präsentiert das noch nicht ganz fertige Projekt „Jo5“:  Zwei Dachgeschoßwohnungen mit originalen Ziegeln, Dachkonstruktion aus Holz und begrüntem Steildach verfügen in luftiger Höhe nicht nur über grandiosen Blick über die Stadt, sondern auch über eine umweltfreundliche Wärmepumpe.

Umweltfreudlich geschaffener Wohnraum mitten in der Stadt: Für „Jo5“ wurde der Dachboden eines 1896 errichteten Gebäudes ausgebaut. (Bild: Sandra Hinterlechner)
Umweltfreudlich geschaffener Wohnraum mitten in der Stadt: Für „Jo5“ wurde der Dachboden eines 1896 errichteten Gebäudes ausgebaut.

In enger Kooperation zwischen den Bauherren-Familien und GHEORGHE Strategy.Architecture.Research und mit viel persönlichem Einsatz gefertigt, erfüllt „Jo5“ den Wohntraum seiner Nutzer auf leistbare Art – und zeigt, wie schön zukunftsfitte Stadtverdichtung ausfallen kann.

Einblick in neue Wohnmodelle

Eine weitere, hochinteressante Anlage, die ausnahmsweise ihre Pforten für Besucher öffnet, ist das Wohnprojekt „Auenweide” in St. Andrä-Wördern, nur 30 Kilometer von Wien. Denn im alternativ mit Vermögenspool finanzierten, leistbaren und naturnahen Wohnraum erproben die Bewohner nachhaltige Lebensstile: Ausgedehnte Gemeinschaftsflächen wie Veranstaltungsraum, Co-Working-Space, Gästewohnung und Gemeinschaftshaus samt Küche und Kinderbereich ermöglichen ein Miteinander durch alltägliche, geplante oder auch zufällige Begegnungen.

Hinter „Jo5“ steht enge Zusammenarbeit von Bauherrenfamilien und Architekten, die es möglich machte, individuelle Wohnträume auf leistbare Art wahr werden zu lassen. Das Ergebnis können Open House Wien Besucher „live“ vor Ort erkunden. (Bild: Sandra Hinterlechner)
Hinter „Jo5“ steht enge Zusammenarbeit von Bauherrenfamilien und Architekten, die es möglich machte, individuelle …

Hinter „Jo5“ steht enge Zusammenarbeit von Bauherrenfamilien und Architekten, die es möglich machte, individuelle Wohnträume auf leistbare Art wahr werden zu lassen. Das Ergebnis können Open House Wien Besucher „live“ vor Ort erkunden. (Bild: Sandra Hinterlechner)
… Wohnträume auf leistbare Art wahr werden zu lassen. Das Ergebnis können Open House Wien Besucher „live“ vor Ort erkunden.

Raum für Individualität bieten die acht ums grüne Herz des Grundstücks angeordneten Privathäuser mit Wohnungsgrößen von 35 bis 115 Quadratmetern. Ökologische Bauweise, das Nutzen alternativer Energiequellen und Erhalten natürlicher Lebensräume stehen für den achtsamen Umgang mit der Natur. Die Niedrigenergiehäuser sind ressourcenschonend in vorgefertigtem Holzständerbau errichtet und mit Stroh und Jute gedämmt, die Außenwände innen mit Lehmplatten und Lehmfeinputz beplankt.

Architektur-Genuss ohne Fach-Latein

Was das alljährliche „Open House Wien“ Festival auszeichnet, ist nicht allein, dass es die Besichtigung außergewöhnlicher Bauwerke ermöglicht, die sonst nicht oder nur bedingt öffentlich zugänglich sind. Es sorgt auch dafür, Architektur auch interessierten Laien abseits von Fachbegriffen auf faszinierende Art näherzubringen.

Open House Wien: Türöffner mit Mission

Das erklärte Ziel: „Architektur am Puls der Zeit vermitteln, die unser aller Leben beeinflusst“. Und zwar nicht nur Baukunst-Fans aus aller Welt, sondern vor allem auch jenen, die in Wien und Umgebung leben. Denn: „Werden Stadtgestaltung und Baukultur in für Laien verständlicher Sprache vermittelt, schärft dies den Blick für die Stadt und sensibilisiert für den öffentlichen Raum.“

Die von einszueins Architektur designte, schöne „Auenweide“: Lebensqualität im neuen, nachhaltigen Wohnmodell. (Bild: Hertha Hurnaus)
Die von einszueins Architektur designte, schöne „Auenweide“: Lebensqualität im neuen, nachhaltigen Wohnmodell.

Anders gesagt: „Open House Wien“ sieht die Identifikation mit der eigenen Stadt als wichtige gesellschaftliche Kernkompetenz, die es zu fördern gilt. Ein Aspekt, den mittlerweile auch in anderen Metropolen rund um den Globus tätige Planer und Architekten hervorheben. Weil kaum jemand nicht schätzt und pflegt, was er als sein Zuhause betrachtet – als vertrautes Umfeld, in dem er oder sie sich zugehörig fühlen kann.

Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Christoph Gruber / BOKU, ATP / Kuball, Filmgut / Thomas Zeller, Hertha Hurnaus, Sandra Hinterlechner

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