Mit einer Höhe von 280 Metern könnte der River Beech Tower alle bisherigen Holz-Hochhäuser überragen. Das Architekturbüro Perkins+Will möchte mit einem neuen Tragwerksystem die Grenzen des konstruktiven Holzbaus neu ausloten.

Anders als in Europa steckt der konstruktive Holzbau in Nordamerika noch in den Kinderschuhen. Nicht umsonst stammen das Holz und das Knowhow für den bald welthöchsten Ascent Tower, der zur Zeit in Milwaukee gebaut wird, aus Österreich. Doch das soll sich ändern. Die Architekten von Perkins+Will möchten mit ihren Konzepten und Studien den klimaneutralen Holzbau in Nordamerika vorantreiben.

Atrium, River Beech Tower, Perkins + Will, Chicago
Das Etagenübergreifende Atrium soll gemeinschaftlich genutzt werden.

Ein Wolkenkratzer ohne Stahl und Beton

Ihr Entwurf für den Earth Tower in Vancouver lieferte bereits die Grundlage für das höchste Passivhaus der Welt, einen 40-geschossigen Holz-Hybrid-Bau. Aber da geht noch mehr, wie sie fanden. Gemeinsam mit den Ingenieuren von Thornton Tomasetti und Forschern der University of Cambridge legten sie zudem ein Konzept für einen 80-geschossigen Holzbau vor. Der modulare River Beech Tower ist ein Wolkenkratzer, der ganz ohne Stahl und Beton Höhen von bis zu 280 Metern erreichen soll.

Die statischen Limits, die dem Baumaterial Holz gegeben sind, wollen die Planer durch einen neuen Denkansatz aufheben und sprechen von einer „Revolution im nachhaltigen Wolkenkratzer-Design“. Während andere versuchen würden, Betonkonstruktionen in Holz umzusetzen, hätten sie bei ihren Überlegungen bei Null begonnen. Als Ausgangsparameter dienten lediglich die derzeit am Markt befindlichen Holzprodukte CLT (Brettsperrholz) und Glulam (Brettschichtholz). 

Front, River Beech Tower, Perkins + Will, Chicago
Seite, River Beech Tower, Perkins + Will, Chicago
Front- und Seitenansicht des River Beech Towers zeigen das spezielle Tragwerksystem.

Doppelte Diagrid-Struktur

Ein neuartiges Tragwerksystem soll es möglich machen, die Grenzen des konstruktiven Holzbaus neu auszuloten. Überkreuzte diagonale Glulam-Träger legen sich dabei wie ein Netz um den Baukörper und nutzen so die natürliche Druckfestigkeit des Holzes. Die vertikalen und seitlichen Lasten werden durch die Verbindung der äußeren mit der inneren Diagrid-Struktur getragen. Dabei erfolge eine gleichmäßige Lastenverteilung auf alle Holz-Elemente, so die Planer.

Damit verfolgen sie einen ähnlichen Ansatz wie die Forscher der Google-Schwester Sidewalk-Labs, die bei ihrem digitalen Hochhaus-Modell ebenfalls auf ein stabilisierendes Exoskelett setzen. Ziel des Projektes River Beech Tower sei es, „zu beweisen, dass ein tragfähiges Hochhaus beides sein kann: aus Holz gebaut und sicher für den Wohnbau“, so Perkins+Will über das mit Ingenieuren und Wissenschaftlern erarbeitete Konzept.

Chicago River, River Beech Tower, Perkins + Will, Chicago
Der Wolkenkratzer aus Holz wurde für das neue Entwicklungsgebiet am Chicago River entworfen.

Der klimaneutrale Baustoff

Damit ließen sich neue Wege im konstruktiven Holzbau erschließen. „Ich denke nicht, dass es ein Höhenlimit gibt“, sagt Andrew Tsay Jacobs, Leiter des Building Technology Labs von Perkins + Will. „Mit Holz lassen sich problemlos 80 Stockwerke bauen. Die Hürden liegen nicht so sehr auf der technischen, als auf der Seite der Bauverordnungen.“

„Holz kann einen negativen CO₂-Fußabdruck bewirken. Hier wird mit einem natürlichen, erneuerbaren Rohstoff gebaut. Das Erz oder das Gestein, das für Stahl und Beton abgebaut wird, kann nicht nachgepflanzt werden“, erklärt Jacobs und stimmt damit mit einer Riege an Experten überein, die Holz als vielversprechendsten Baustoff im Kampf gegen die Klimaerhitzung sehen.

Atrium, River Beech Tower, Perkins + Will, Chicago
Riesige Wintergärten sollen für Aufenthaltsqualität sorgen und einen sozialen Mehrwert bringen.

Zumindest eine Moduleinheit wird gebaut

Der River Beech Tower ist Teil des neuen Masterplans entlang des Chicago River. 300 Wohneinheiten sollen hier Platz haben, die durch etagenübergreifende Gemeinschaftszonen und Gewerbeflächen ergänzt werden. Ob das Projekt in seinem vollen Umfang gebaut wird, ist derzeit nicht klar. Das Architekturbüro Perkins + Will hat allerdings angekündigt, dass es zumindest einen Teil des Projektes als Prototypen realisieren wird.

„Wir planen den Bau einer maßstabsgetreuen Moduleinheit im Entwicklungsgebiet River Beech mit den Verbindungen, die wir konstruiert und getestet haben. Mit diesem Konzept wollen wir nachhaltige, schöne Lösungen finden und die Grenzen von Materialien neu ausloten.“ Gleichzeitig werden die Architekten damit den Ingenieur-Holzbau in den USA ein weiteres Stück voranbringen.

Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: River Beech Tower, Perkins + Will

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