Tirols neue Schatzkiste
Die historischen Artefakte der Tiroler Landesmuseen sind über eine Milliarde Euro wert und lagern in einem neuen Tresor. Das hybride Konzept des Architekturbüros Franz&Sue wurde mit dem österreichischen Staatspreis Architektur ausgezeichnet.
Wertvolle gotische Skulpturen, steinzeitliche Keile und der Fuß einer 3000 Jahre alten Mumie. Diese Beispiele an Artefakten zeigen, wie groß die Bandbreite historischer Kostbarkeiten ist, die im neuen Sammlungs- und Forschungszentrum der Tiroler Landesmuseen lagern. Der Bestand ist einer der größten in Österreich, sein Wert wird auf über eine Milliarde Euro geschätzt. Er ist quasi das kulturelle Gedächtnis des Landes, das hier, in Hall in Tirol, für nachfolgende Generationen erforscht und bewahrt wird.
Spannungsvolle Dualität
So uneinnehmbar der Kunst-Tresor von außen wirkt, so freundlich und hell präsentieren sich die Arbeitswelten in seinem Inneren. Ein Spannungsfeld zwischen hell und dunkel, offen und geschlossen, innen und außen. Diese Dualität schafft nicht nur gut inszenierte Architektur, sie entspricht auch der multifunktionalen Aufgabe des Bauwerks.
Wir wollten, dass das Gebäude Selbstbewusstsein und Beständigkeit ausstrahlt, sicher und unnahbar wirkt.
Robert Diem, Architekt
“Wir wollten, dass das Gebäude Selbstbewusstsein und Beständigkeit ausstrahlt, sicher und unnahbar wirkt“, sagt Robert Diem, Architekt und Partner des Wiener Büros Franz&Sue, das nach einem EU-weiten Wettbewerb mit dem Bau des Kulturtresors beauftragt wurde. Während die Bestände der Tiroler Landesmuseen zuvor an unterschiedlichen Standorten in Innsbruck untergebracht waren, bekamen sie mit dem neuen Zentrum ein kompaktes Gebäude, das Depots, Werkstätten, Arbeitsräume und Forschungslabors an einem Ort bündelt.
Das Zwiebelprinzip
So unterschiedlich die Nutzungen der einzelnen Abteilungen sind, so divers sind auch ihre Anforderungen an die Architektur. Dazu haben die Architekten ein räumliches Konzept erdacht, das sie „Zwiebelprinzip“ nennen. Räume mit ähnlichen Funktionen haben sie – wie die Schichten einer Zwiebel – von außen nach innen angeordnet.
Im äußersten Ring hinter der panzerartigen Hülle des Gebäudes befinden sich die Depots und Lagerstätten. Rund um das begrünte Atrium im Inneren liegen die hellen Arbeits- und Atelierräume der rund 40 Mitarbeiter. Zwischen den beiden Schichten befindet sich ein Erschließungsring, der alle Bereiche miteinander verbindet. Diese einfache und klare Gliederung im Entwurf war es, die die Wettbewerbsjury überzeugen konnte und dem Projekt einige Auszeichnungen bescherte, darunter den österreichischen Staatspreis Architektur und den AIT Award.
Depots werden natürlich gekühlt
Sehr zurückgenommen, als dunkler, flacher Monolith, liegt das Bauwerk vor der imposanten Bergkulisse des Tiroler Inntals. Kaum zu glauben, dass es eine Fläche von 7.800 Quadratmeter unter seinem Dach vereint. Möglich ist dies dadurch, dass zwei der insgesamt drei Geschosse unter der Erdoberfläche liegen. Eine umweltfreundliche Lösung, die auf natürliche Kühlung durch thermische Masse setzt.
Ohne aufwendige Klimatechnik konnten für den klimatisch sensiblen Depotbereich somit optimale Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsverhältnisse geschaffen werden.
Franz&Sue, Architekturbüro
„Eine der zentralen Aufgaben der PlanerInnen war es, ein konstantes Raumklima herzustellen und den Anteil konventioneller Technik möglichst gering zu halten“, erklären die Architekten. „Ohne aufwendige Klimatechnik konnten für den klimatisch sensiblen Depotbereich somit optimale Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsverhältnisse geschaffen werden.“
Zudem produziert das Gebäude über eine Photovoltaikanlage so viel Strom, wie 25 Haushalte im Durchschnitt verbrauchen. „In der gesamten Projektabwicklung wurde ein besonderes Augenmerk auf Ressourcenschonung und den Einsatz bauökologischer Materialien gelegt“, heißt es in der Projektbeschreibung.
Gelegenheit zu entspannen haben die Wissenschaftler im zentralen Atrium. Eine grüne Oase, die man in dem hermetisch wirkenden Bau nicht vermuten würde. „Das Atrium assoziiert eine Atmosphäre wie in einem Klosterkreuzgang. Wir fanden das sehr reizvoll, dass das Außen und das Innen in einem so großen Kontrast zueinander stehen“, erklärt Projektleiterin Corinna Toell.
Faustkeil als Fassadenrelief
Und was hat es mit den sternförmigen Reliefs an der Fassade auf sich? „Die Form wurde einem Faustkeil aus dem siebten bis achten Jahrtausend vor Christus nachempfunden, dem ältesten von Menschen erzeugten Werkzeug in der Sammlung.“ Seine Anordnung entspricht den geografischen Fundorten der Artefakte in Tirol.
Der Einsatz von Glasfaserbeton machte es möglich, diese filigrane Form in die Fassadenelemente zu bringen. Durch dieses fraktale Stilelement wird das älteste Exponat in der Fassade quasi konserviert.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Franz&Sue/Andreas Buchberger/Christian Flatscher