Den jährlichen Auftrag für den temporären Serpentine Pavilion in London erhielt 2023 die Architektin Lina Ghotmeh. Sie entwarf À Table, einen überdachten Esstisch, der Menschen zum Verweilen und zum Gespräch einlädt.

Wer London kennt, kennt mit ziemlicher Sicherheit auch den Hyde Park sowie die – nur durch den West Carriage Drive davon getrennten – Kensington Gardens. Hat man diese einmal besucht, so wird auch The Serpentine kein Unbekannter sein: Jener See, der sich über beide Parks erstreckt und seinen Namen im 18. Jahrhundert aufgrund der gebogenen Form erhalten hatte.

Freier Eintritt

The Serpentine ist allerdings nicht nur ein Gewässer. Seit 1970 existiert eine Galerie gleichen Namens in den Kensington Gardens, die im Jahr 2013 mit der Serpentine North Gallery eine „Schwester“ auf der gegenüberliegenden Seite des Sees bekommen hat. Das Original-Haus heißt seit damals Serpentine South; beide Häuser bieten Ausstellungen bei freiem Eintritt an.

Serpentine North Gallery
Serpentine North Gallery

Ein weiteres regelmäßiges Angebot der Galerien: Der Serpentine Pavilion. Seit über zwei Jahrzehnten werden unter diesem Namen jedes Jahr internationale Architektinnen und Architekten von den Galerie-Betreibern mit der Errichtung eines temporären Gebäudes beauftragt. Das Projekt 2023 entwarf Lina Ghotmeh und nennt sich À Table (französisch für „Zu Tisch!“).

Aufgetischt im Serpentine Pavilion

„Die im Libanon geborene und in Paris lebende Architektin wurde inspiriert von den intensiven Diskussionen über aktuelle Angelegenheiten, Politik, Privatleben und Träume, die an Esstischen stattfinden“, erklären dazu die Verantwortlichen. „Darum trägt der Pavillon den Titel À Table – ein französischer Aufruf, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen, um in Dialog zu treten und gemeinsam zu essen.“

À Table, Serpentine Pavilion
Lina Ghotmehs Entwurf von À Table

Lina Ghotmeh
Lina Ghotmeh

Um dieser Idee gerecht zu werden, platzierte Ghotmeh im Inneren des kreisrunden Pavillons eine lange Tafel entlang der Innenwand. „Diese lädt uns ein, zusammenzukommen, uns hinzusetzen, nachzudenken, Gedanken zu teilen und diesen Austausch, der neue Beziehungen untereinander ermöglicht, anzunehmen“, heißt es dazu seitens der Serpentine Gallery. Das Design des Pavillons soll „Raum für Erdung und Reflexion“ geben – „über unsere Beziehung zum Land, zur Natur und zur Umwelt“.

Nachhaltige Tafelrunde

„Lina Ghotmeh bietet einen Moment der Geselligkeit an einem Tisch“, heißt es weiter. „Sie lädt uns ein, Ideen, Sorgen, Freude, Unzufriedenheit, Verantwortlichkeit, Traditionen, kulturelle Erinnerungen und Geschichten zu teilen, die uns zusammenbringen.“

Serpentine Pavilion 2023
Die Tafelrunde im Inneren des Pavillons

Dabei setzt die Architektin auf Nachhaltigkeit: Der Serpentine Pavilion 2023 wird überwiegend aus biologischen und CO2-armen Materialien hergestellt. Die Gestaltung des Raums orientiert sich an den umgebenden Baumkronen; dünne Birkenstämme dienen im Inneren des Pavillons als Holzbalken.

Durchdachte Überdachung

Das Plisseedach des Pavillons wiederum ist einem Palmblatt nachempfunden. In der Mitte ermöglicht ein Lichtschacht natürliche Beleuchtung sowie Belüftung und fördert die Integration des Raums in seine Umgebung. Das Dach von À Table ist bewusst niedrig gehalten; die Inspiration dafür stammt von Togunas, die in Mali zu finden sind. In diesen traditionellen, öffentlichen Gemeinschaftshütten werden aktuelle Themen diskutiert. Zudem bieten sie Schatten und Schutz vor der Hitze zu. Die niedrigen Dächer dieser Strukturen ermöglichen es den Menschen, für den Zeitraum der Diskussionen innezuhalten und sich auszuruhen.

Serpentine South Gallery
Serpentine South Gallery, ein ehemaliges Teehaus

Das Design des Pavillons will darüber hinaus auch Bezug auf die Serpentine South Gallery nehmen. Denn dieses Gebäude hat eine lange Geschichte: Vom britischen Architekten James Gray West entworfen, wurde es 1934 eröffnet und diente ursprünglich als Teehaus, bevor es in eine Kunstgalerie umgewandelt wurde. Auch Lina Ghotmeh involviert Geschichte in ihre Arbeit. Sie nennt diese Herangehensweise „Archäologie der Zukunft“: „Historische Erzählungen werden in innovative Entwürfe eingewoben.“

Serpentine Pavilion 2000 von Zaha Hadid

Black Chapel von Theaster Gates (2022)

Pavillon 2021 von Sumayya Vally, Counterspace

Serpentine Pavilion 2019: Junya Ishigami

Offenheit in jeder Hinsicht

À Table ist bereits das 22. Projekt im Rahmen der Serpentine-Pavilion-Initiative der Galerie: Zaha Hadid designte den ersten Pavillon im Jahr 2000. Mit Ausnahme des „Corona-Jahres“ 2020 wurde seither in jedem Jahr ein temporäres Projekt präsentiert.

Der jeweilige Pavillon ist immer von Sommerbeginn an frei zugänglich und beherbergt Live-Programme und Veranstaltungen, einschließlich sogenannter Park Nights. „Der Serpentine Pavilion steht von Juni bis Oktober offen“, so die Veranstalter. „Er entwickelte sich zu einer internationalen Fläche für architektonisches Experimentieren, hier waren Projekte einiger der weltweit besten Architektinnen und Architekten zu sehen.“

Text: Michi Reichelt
Bilder: Serpentine Galleries, Lina Ghotmeh, Gilbert Hage

Jetzt Newsletter Bestellen <>