Spannungsreicher Dreiklang
Mit dem Deconstructed House nahe bei Linz hat sich Innocad Architecture eines interessanten architektonischen Stilmittels bedient, des Dekonstruktivismus. Und das aus gutem Grund, galt es doch topografische Herausforderungen und die Vorgaben des Bauherrn ansprechend zu meistern.
Die drittgrößte österreichische Stadt, Linz in Oberösterreich, ist längst schon dem Ruf der staubigen Stahlstadt entwachsen. Der Ballungsraum ist zwar nach wie vor Österreichs führender Industriestandort, viele Besucher kennen Linz jedoch vor allem für die aufstrebende Kunstszene. Kreative stehen auf das schrullige Mural Harbor, Europas größte Graffiti und Muralismo Galerie im Linzer Hafen, sowie die ARS Electronica.
Außergewöhnliche Architektur in Hülle und Fülle
Man findet aber auch zukunftsweisende Architektur in Linz, angefangen vom Bahnhofsviertel mit dem Musiktheater über das Stadterweiterungsprojekt solarCity bis hin zum Neubau der Anton Bruckner Privatuni. Man darf also in und um Linz auch außergewöhnliche Wohnhäuser erwarten. Das Deconstructed House ist eines davon.
Dieses Einfamilienhaus nach einem Entwurf von Innocad Architecture mit außergewöhnlichem Blick auf die Stadt und die umgebende Natur ist in der Geschichte und in dem Kontext des Ortes verwurzelt. Es inkludiert nach Vorgaben des Auftraggebers einen Wohngalerieraum. Der Übergang zu den behaglichen übrigen Wohnräumen ist nahtlos, ebenso wie jener zur natürlichen Schönheit der umgebenden Natur.
Das Deconstructed House trägt die beeinflussende architektonische Stilrichtung bereits im Namen. Die Architekturströmung der Post-Moderne leitet sich vom Lebensgefühl in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts ab.
Als erstes Gebäude des Dekonstruktivismus gilt das Wohnhaus des amerikanischen Stararchitekten Frank Gehry. Dieser experimentierte bereits 1978 damit. Und er hat nicht locker gelassen: Mit dem Arts Resource Building in der französischen Stadt Arles hat Gehry dem Architektur-Stil ein weiteres Kapitel hinzugefügt.
Vertreter des Dekonstruktivismus auch in Österreich
Einer der bekanntesten Vertreter des Dekonstruktivismus in Österreich ist der 2012 verstorbene Günther Domenig. Als sein „Opus magnum” wird das „Steinhaus” erachtet. Er hat es in den Jahren 1982 bis 2008 auf seinem privaten Ufergrundstück in Steindorf am Ossiacher See geplant und errichtet.
„Dekonstruktiv“ beschreibt nicht nur das „Zerlegen“ oder „Auseinandernehmen“ von Konstruktionen, sondern vor allem den Bruch mit der üblichen Bauweise der Postmoderne. Die Bauwerke widersetzen sich oft auf radikale Weise den harmonischen Idealen von Geometrie und Geradlinigkeit.
Verzerrte Wände und Ecken, asymmetrische Flächen und scheinbar zufällig angeordnete Baukörper fügen sich wie Collagen zu künstlerischen Skulpturen zusammen. Strenge Linien und Formen werden durch freie und organische Elemente ersetzt. So können selbst massive Betonklötze wie sanfte, filigrane Kunstwerke erscheinen.
Beim Deconstructed House hat sich Innocad Architecture an diesen Stil angelehnt – nicht zuletzt, um die topografischen Herausforderungen und die Vorgaben des Bauherrn ansprechend zu meistern.
Drei miteinander verwobene Baukörper …
Denn es galt, die hügelige Landschaft zu berücksichtigen sowie mehrere Steinmauern, eine historische Kellerstruktur und die zwei statuenartigen Bäume auf dem Gelände zu erhalten und zu integrieren.
Letztendlich setzt sich das Gebäude aus drei Hauptteilen zusammen: einem vertikal orientierten, einem horizontal ausgerichteten und einem „schwebenden” Teil, dem Pool. Der Übergang zwischen diesen Volumina ist spannungsreich und reagiert auf die leichte Neigung des Geländes.
… mit jeweils unterschiedlichen Funktionalitäten
Auftraggeber des privaten Einfamilienhauses ist ein Unternehmer und Kunstsammler. Durch die Zerlegung des Gesamten in drei Teile korrelieren die Gebäudeteile gut mit den Proportionen der umliegenden Wohnhäuser. Die Dreiteilung lässt Räume mit eigenständigen Qualitäten und fließenden Übergängen zwischen Innen und Außen entstehen. Sie werden auch den unterschiedlichen funktionalen Anforderungen gerecht.
Man betritt das Haus über den vertikal ausgerichteten Teil, in dem sich Gästezimmer und eine Garage befinden. Von dort führt eine überdachte Außentreppe hinunter in den Innenhof, der den Hinterhof mit dem üppigen Vorgarten verbindet.
Pool als angenehmer Schlussakkord des Dreiklangs
Dieser hybride Zwischenraum lässt die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwimmen und führt in den zweiten Baukörper mit seinem begehbaren Dach und privaten Arbeits- und Wohnräumen.
Eine Holzterrasse erstreckt sich bis zum dritten Teil, einem freitragenden Pool. Um Schatten zu spenden und gleichzeitig das minimalistische Design beizubehalten, lässt sich die perforierte Stahlfassade abnehmen und je nach Sonnenbestrahlung oder Beschattungswunsch über den Außenbereich klappen.
Der bestehende Gewölbekeller dient als Basis für das Haupthaus. Die Erhaltung alter Strukturen fördert einerseits die Identität des Gebäudes und sichert andererseits die Anbindung der neuen Teile.
Die historischen Gemäuer werden durch sorgfältig ausgewählte Materialien ergänzt: Die Holzböden und Stahlfassaden sind eine Hommage an die Stahlstadt Linz. Das Metall wurde dem natürlichen Rost und das unbehandelte Holz der Witterung überlassen. So entsteht eine authentische Patina, die auf den natürlichen Zyklus von Wachstum und Verfall hinweist. Gleichzeitig vermitteln die Strukturen den Eindruck, immer schon auf dem Grundstück verankert gewesen zu sein.
Der Innenraum folgt der Tradition eines modernistischen Ausstellungspavillons mit hohen Decken, Oberlichtern, die den Raum mit natürlichem Licht erhellen, und raumhohen Fenstern, die einen Panoramablick bieten.
Leiste für Bilder schafft Struktur im Innenraum
Eine kreisförmige Bilderleiste für die anspruchsvolle Kunstsammlung des Bauherrn definiert einen Horizont. Zudem schafft sie einen Bereich für Interventionen im Innenraum wie Einbaumöbel und Materialien. Die reduzierte Farb- und Oberflächenpalette im Inneren mit Erdtönen und Holz, Leder und Stein korreliert mit dem Konzept der Unvollkommenheit und der Vergänglichkeit des Äußeren.
Die Einbettung der Vergangenheit schafft zudem eine unmittelbare Verbindung zwischen dem „genius loci”, dem Geist des Ortes, und den neuen Bewohnern.
Text: Linda Benkö
Fotos: Paul Ott/Innocad; Johann Jaritz (wikipedia), IK’s World Trip (wikipedia), MYR67 (wikipedia)