Seit Jahren versuchen die Bauträger Hammerson und Ballymore ihr Konzept für das größte unverbaute Areal Londons durchzupauken. Erfolglos. Nun haben Studenten einen Gegenvorschlag für The Goodsyard präsentiert …

Es ist ein riesiges Areal. Einst als Güterbahnhof genutzt, liegt die The Goodsyard genannte Fläche in Shoreditch, London seit vielen Jahren brach. Nur logisch, dass sich um dieses Filetstückchen Investoren, Baufirmen und natürlich auch die Anrainer gehörig matchen.

Schlacht um The Goodsyard

Seit 2015 geht es um die 0,97 Hektar große Baufläche mächtig rund. Und lange hat es danach ausgesehen, dass die „Schlacht um Goodsyard“ vom Joint Venture der beiden Bauträger Hammerson und Ballymore gewonnen würde. Zwölf Gebäude, von denen das höchste eine Höhe von 166 Metern und 46 Stockwerken haben sollte, stehen hier zur Debatte. Insgesamt sind 1.356 Wohnungen, Büros, Einzelhandels- und Werkstattflächen geplant.

Doch dann kam das spektakuläre Vorhaben ins Stocken: Anrainer und Politiker wie Boris Johnson selbst haben Bedenken, Zweifel – und schließlich Einspruch eingelegt. Die Sache geht seither hin und her. Anwälte sind am Zug. Menschen protestieren. Interessensvertretungen machen mobil.

Angelehnt an Zaha Hadid

Und zwischen drinnen haben sich ein paar Studenten der Yale School of Architecture zusammengetan, um einen Gegenvorschlag zu präsentieren. Und das gibt dem ganzen Projekt jetzt freilich eine besondere Würze. Zumal sich die jungen Architekten mit ihrem Entwurf an einer ganz Großen orientiert haben – an Zaha Hadid!

Konkret habe sich Lisa Albaugh, Benjamin Bourgoin, Jamie Edindjiklian, Roberto Jenkins und Justin Oh darüber Gedanken gemacht, wie sich ein richtig großes Gebäude möglichst unaufgeregt aber dennoch spektakulär in das Londoner Stadtbild einfügen kann.

Getarnt wie die Tiere

Dazu hätten sie sich aus der Welt der Biomimikry bedient, wie sie betonen. Also jener Fähigkeit von Tieren, sich an die jeweilige Außenwelt so anzupassen, dass sie darin für Feinde nicht mehr erkennbar sind. Nun – aus solchen Überlegungen ist der Weg zur organisch-architektonischen Vision von Zaha Hadid naturgemäß kein weiter mehr.

Wechselspiel der Höhen und Dichten

Und so sieht die Sache nun kurz umrissen aus: Die Studenten wollen einen Komplex schaffen, der aus einem Hochhaus mit hoher Dichte und einem mittelhohen Block mit geringerer Dichte besteht. Von diesen beiden höheren Strukturen soll ein eigener Bahnhof als Brücke zu einer Parklandschaft fungieren. Diese soll in der Vision zwischen dem bestehenden Viadukt und verschiedenen Zugangspunkten auf dem Gelände vermitteln, wie es in der Projektbeschreibung heißt.

Der Biomimikry-Gedanke kommt bei The Goodsyard vor allem bei der nahtlos geplanten Verbindung zwischen den in die Höhe ragenden Türmen zum Tragen. Hier wollte das Team auf den Collage-Charakter der Londoner Skyline reagieren, wo „die Anhäufung von Unterschieden zwischen den Türmen in der bestehenden Londoner Skyline die Wirkung im städtischen Maßstab beeinträchtigt.“

War auch Gaudi in Gedanken dabei?

Sprich: Die verschieden hohen Bauten würden sich in das so oder so unregelmäßige Stadtbild einfügen, aber gleichzeitig die Skyline verändern. „Die Türme ragen aus dem Boden und sehen aus wie Skulpturen mit sanften Kurven, die in scharfen Kanten enden“, schreiben die engagierten Planer. Vielleicht eine Mischung aus den Werken von Zaha Hadid und Antoni Gaudi? Jedenfalls optisch anspruchsvoll und ansprechend, wie die Renderings belegen.

The Goodsyard: Türme, neu gedacht

Doch auch in Sachen Baustruktur und Technik haben sich die Zaha Hadids von Morgen ganz konkrete Gedanken gemacht: „Eine Voraussetzung für jedes Hochhaus ist sein vertikales Transportsystem“, erklären sie in ihrem Konzept. Das bedeutet, Aufzüge, Rolltreppen, Luftschächte und dergleichen stellen in der Regel den Kern jedes Turmbaus dar. Das Team aber untersuchte diese herkömmlichen Typologien und stellte mit seinem Entwurf eben diese Norm in Frage.

Muss so ein Gebäude von einem Kern definiert sein? Ihre Antwort: Nein! Stattdessen entwarfen sie separate Minitürme, die an den bestehenden Turm angebaut werden. So entstünde eine Faserkomposition für verschiedene Funktionen, die allesamt außerhalb verankert wären.

Diese Elemente verleihen dem Turm ein einzigartiges Aussehen. Sowohl von der Straße aus als auch vor der Skyline der Stadt, die aus zwei verschiedenen Blickwinkeln niemals gleich aussieht. Vor allem aber wird auf diese Weise die Mitte des Turms frei. So, dass diese freien Flächen anders genutzt werden können. Für die darin lebenden Menschen nämlich.

Sieger der Herzens

Wie dieses Match zwischen David und Goliath ausgehen wird, ist zwar noch nicht ganz klar. Tatsache ist, dass jedenfalls die Bewohner der umliegenden Stadtteile dem neuen Entwurf von The Goodsyard wohlwollend gegenüberstehen. Und das wiederum bedeutet: Die Sieger der Herzen stehen längst fest.

Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Yale School of Architecture

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