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Da wird man noch zum Schwammerl!

Inspiriert von einem chinesischen Märchen errichteten die Architekten von ZJJZ ein Gästehaus in Pilzform. Es soll seine Bewohner möglichst direkt mit der Natur einen.

Es war an den Ufern des Fairy Lake im chinesischen Xinyu. Hier lebte lange vor unserer Zeit, vor vielen Dynastien eine Fee. Aus Angst versteckte sie sich vor den Menschen. Keiner sollte ihr schönes Antlitz jemals bewundern, um es keinesfalls zerstören zu können. Doch ein am See lebender Fischer, der so unbedarft wie unschuldig war, überraschte die Fee eines besonderen Tages. Und erwies ihrer Schönheit seine tiefste Bewunderung. Ohne ihr jemals auch nur ein Haar zu krümmen.

Ein Märchen für moderne Hoteliers

So ungefähr soll es sich laut dem Märchen, das sich rund um den besagten See rankt, einst also zugetragen haben. Geblieben ist jedenfalls die Bezeichnung „Fairy Lake“ die natürlich an „Fairy Tale“ für „Märchen“ angelehnt ist. Und heute Touristen aus aller Welt anlockt.

Also finden sich an dessen Ufern nicht mehr länger einsame Fischerhütten, sondern Hotelkomplexe – wie etwa den namens Tree Wow. Eben dessen Eigentümer verfolgen aber seit vielen Jahren die Idee, der prachtvollen Natur des sagenumwobenen Gewässers eine besondere Bedeutung beizumessen. So wurden sämtliche bereits bestehende Bungalows nachhaltig und keineswegs pompös errichtet.

The Mushroom

Doch der neueste Wurf sollte seine zukünftigen Bewohner noch konkreter mit der Umwelt verbinden. So könnte man wohl den Arbeitsauftrag, mit dem das Atelier ZJJZ betraut wurde, in einem Satz zusammenfassen. Dass sich die Planer derart plakativ an die Vorgabe angenähert haben, überrascht dann aber doch. Sie stellten kurzerhand einen bewohnbaren Pilz inmitten den für das Vorhaben vorgesehenen Kiefernwald!

The Mushroom als wohnlicher Megapilz

Offizieller Name: The Mushroom. Offizielle Begründung: „Dieser Ort ist ob seiner märchenhaften Geschichte einzigartig. Er ist mit dem Geist der Folklore aufgeladen und forderte eine surreale, traumähnliche Qualität förmlich ein.“ Der Pilz sei also eine bewusst offensichtliche Hommage an die Liebesgeschichte des Fischers und der Fee. Er sei der stille Beobachter, der nur Gutes im Sinne hat.

Wenn man jetzt statt bekannter Giftpilze lieber Herrenpilze und Eierschwammerl ins architektur-philosophische Treffen führt, so lässt sich dem Gedanken durchaus folgen. Der Pilz als natürliche Frucht des Waldes, der Tiere und natürlich auch Menschen ernährt. Oder sogar jener Pilz, dessen besondere Inhaltsstoffe dessen Genießer gar in eine Traumwelt entführen? Stichwort: Magic Mushrooms

The Mushroom
The Mushroom

The Mushroom

Aber wir wollen ja nicht zu viel interpretieren. Schwamm drüber und zurück zu den Fakten von The Mushroom. Die Architekten von ZJJZ erklären nämlich weiter: „Der Kunde wollte einen Ort schaffen, der surreal scheint.  Ein Ort, der es dem Besucher ermöglicht, sich aus dem alltäglichen Leben zu entfliehen, sich zurückzuziehen und zu entspannen. Einen Ort, um nichts als bloß die wunderschöne Natur zu genießen.“ Bekräftigender Nachsatz: „Unser Entwurf ist eine räumliche Antwort auf diesen Wunsch.“

Direkter Draht zur Natur

Demzufolge muss sich The Mushroom aber auch zwingend in seine natürliche Umgebung einfügen. Deshalb schuf das Atelier ZJJZ vorab eine eigene Materialpalette, derer sich der gesamte Bau kompromisslos unterordnen musste. Das bedeutet: Es kamen ausschließlich Kiefernholz, Stahl, Glas und Beton zum Einsatz, wobei jeder Baustoff einen zwingend logischen Grund hat.

The Mushroom

The Mushroom

Damit The Mushroom seine Umgebung so wenig wie möglich in Mitleidenschaft zieht, wurde er ohne Fundament, also schwebend konzipiert. Dafür benötigt man den Stahlrahmen. Um das gesamte Objekt langfristig maximal in den Wald einzubetten, griff man für Dach und Innenwände auf Kiefernholz zurück. Dieses wird in den kommenden Jahren nachdunkeln und so das bewohnbare Märchen im Wald genau so schwer auffindbar machen, wie die besten Speisepilze.

Glas als Bindeglied

Ähnlichen Hintergrund hat der verwendete granolithische Beton. Auch er dunkelt nach, und erinnert an die Felsen die im Wald verteilt vorkommen. Bleibt nur noch der Werkstoff Glas. Er spielt vor allem beim runden Panoramafenster eine tragende Rolle. Schließlich soll dieses die Verbindung zur Natur beim bloßen Ausblick gewährleisten.

The Mushroom

Wie auch immer. Wer hier seinen Urlaub bucht, wird so oder so eher draußen in der Natur unterwegs sein. Denn auf den 50 Quadratmetern Wohnraum bleibt nicht sonderlich mehr Platz als für ein großes Bett, einen kleinen Tisch samt Stuhl und einen zweiten kleineren Begegnungsraum plus Toilette und Bad. Wer aber doch länger in seinem temporären Pilzheim verweilt, wird ein besonderes Schauspiel erleben können: Das kreisförmige Oberlicht an der Spitze des Raumes sorgt je nach Tageszeit und Wetterlage für ständig variierende Licht- und Schatteneffekte. Damit wollen die Architekten das Zusammenspiel von Natur und Zeit einem Brennglas gleich an einen Ort fokussiert darstellen.

Wenn Märchenträume erwachen

Eine schöne Idee, jedenfalls. Und eines kann man getrost festhalten: Wer diesen Pilz im Wald findet, wird garantiert seine Freude haben. Wenn auch nur deshalb, weil wohl im geistigen Augen von jedem Menschen in Anbetracht von The Mushroom kindliche Märchenträume zu neuem Leben erwachen.

Text: Johannes Stühlinger
Bilder: ZJJZ

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