Urban Sequoia NOW: Ein Prototyp, der Hoffnung macht. (Bild: Miysis / SOM)
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Ein Prototyp, der Hoffnung macht

Könnten Hochhäuser wie Bäume CO2 „schlucken“, würden sie dem Klimawandel entgegenwirken, statt ihn voranzutreiben. Das US-Büro SOM hat einen Prototyp entwickelt, der genau dies leisten soll: Urban Sequoia NOW ist ein Modell, das vor allem Städten Hoffnung macht.

Obwohl Städte nur rund drei Prozent der Erdoberfläche bedecken, verursachen sie knapp drei Viertel aller globalen CO2-Emissionen. Schon jetzt leben mehr als 50 Prozent aller Menschen in urbanen Ballungsräumen. Und es werden mehr: Um genug Wohnraum zu schaffen, werden Prognosen der Vereinten Nationen zufolge bis 2060 weitere 230 Millionen Quadratmeter Gebäudeflächen nötig sein. Nur logisch also, dass Lösungen gefragt sind, die besagten Wohnraum schaffen, zugleich jedoch dem Klimawandel entgegenwirken. Das US-Büro Skidmore, Owings & Merrill (SOM) hat mit Urban Sequoia NOW ein Konzept entwickelt, das diesbezüglich hoffen lässt.

Zum Modell gereifte Vision

An der Idee tüfteln die international renommierten SOM Architekten schon länger. Entsprechende Pläne und Forschungsergebnisse präsentierten sie 2021 unter dem Titel „Urban Sequoia“ bei der 26. UN Climate Change Conference (COP26) in Glasgow. Seitdem wurde das visionäre Konzept weiterentwickelt: Zu Urban Sequoia NOW – einer Design-Vorlage, die sich jetzt und heute bereits allerorts umsetzen ließe. Und dieses, bei der COP27 in Sharm El-Sheikh erstmals vorgestellte, vielversprechende Modell hat viel zu bieten.

Wir sind uns der Notwendigkeit bewusst, den Verlauf des Klimawandels zu ändern, indem wir über den Netto-Nullpunkt hinausgehen. Wir müssen CO2 durch die gebaute Umwelt aus der Atmosphäre entfernen. Und wir haben einen Entwurf entwickelt, der genau das ermöglicht.

Chris Cooper, Architekt und SOM Partner

Urban Sequoia NOW: Ein Prototyp, der Hoffnung macht. (Bild: Miysis / SOM)

„Wir sind uns der Notwendigkeit bewusst, den Verlauf des Klimawandels zu ändern, indem wir über den Netto-Nullpunkt hinausgehen“, erläutert SOM-Partner Chris Cooper. Um dies zu erreichen, wurden Gebäude bei der Konzeption als lebende Organismen betrachtet, die nicht nur gebundenen Kohlenstoff erheblich reduzieren und während ihres Betriebs selbst Energie erzeugen. Sie können darüber hinaus auch CO2 aus der Atmosphäre absorbieren und weit über die üblicherweise angenommene Gebäude-Lebensdauer von 60 Jahren hinaus halten. 

Bauen gegen den Klimawandel

Urban Sequoia NOW ist der Prototyp eines Hochhauses, das während seines gesamten Lebenszyklus CO2 bindet. Allein beim Bau würden im Vergleich zu einem typischen Hochhaus 70 Prozent des Kohlenstoffverbrauchs eingespart. Den SOM Architekten zufolge kann ein solcher Turm den Gesamtkohlenstoffausstoß in seinen ersten fünf Lebensjahren um 100 Prozent reduzieren und so eine Netto-Nullbilanz erreichen. Über eine verlängerte Lebensdauer von 100 Jahren würde ein Urban Sequoia-Gebäude demnach mehr als 300 Prozent der CO2-Menge absorbieren, die bei Bau und Betrieb anfällt.

Zweckorientierte Design-Umkehrung

Statt bei der Errichtung wie üblich einen additiven Bauansatz anzuwenden – gefolgt von Fassade, Haustechnik, anderen Gebäudesystemen und Innenausbau – wird bei Urban Sequoia NOW alles zu einem einzigen, rationalisierten Prozess zusammengefasst. Dabei erfüllt jeder Gebäudeteil mehrere Zwecke. 

Das Design ist eine Umkehrung: Alle Systeme (z.B.: Luftkanäle, Mechanik, Elektrik, etc.), die gewöhnlich in der Decke verborgen sind, werden konsolidiert oder gar eliminiert. Um sie in den Fußböden unterzubringen, optimiert SOMs Konzept die Bodenplatten. Die Decken indes werden entfernt, was den Materialverbrauch verringert. 

Bauen für den Klimaschutz: Der von SOM entwickelte Prototyp Urban Sequoia NOW. (Bild: Miysis/ SOM)

Luft dringt durch Öffnungen im Untergeschoss, die zwischen Decke und Holzfußboden liegen. Und durch „Sky Gardens“, die als große Luft-Auffangzonen und zugleich als Aufenthaltsräume dienen. Dort strömt kühle Luft in offene Hohlräume in den Gebäudekern. Mittels Kamineffekt wird sie über eine in Kern und Dach eingebettete Technologie zur direkten Reinhaltung nach oben befördert. Aufgefangener Kohlenstoff wird gespeichert und für industrielle Anwendungen bereitgestellt. Dieser geschlossene Kohlenstoffkreislauf soll die Basis einer neuen Wirtschaft zur CO2-Reduktion schaffen. 

Holz, Bio-Beton und Solarkraft

Den SOM Architekten zufolge ist Urban Sequoia NOW für jeden Gebäudetyp, in jeder Größenordnung und an jedem Ort anwendbar. In jedem Fall werden CO2-bindende Materialien wie Holz und Bio-Beton verwendet. Und moderne Technologien wie energieerzeugendes Solarglas senken den Schadstoffausstoß während des Betriebs.

Zeitlos und anpassungsfähig

Erklärtes Ziel des Projekts ist es, die Umwelt an den dichtesten Orten der Welt zu regenerieren. Dort, wo die umweltbelastenden Emissionen am höchsten sind. Mit einem zeitlosen Design, das im Laufe eines Jahrhunderts flexibel angepasst werden kann. 

Urban Sequoia ist eine Denkweise, die Städte als Ökosysteme betrachtet. Als lebende und atmende Systeme, die neu konfiguriert werden können, um eine drastische Reduktion des CO2-Ausstoßes über die gesamte Lebensdauer zu erreichen.

Mina Hasman, SOM Sustainability Director

Dass es mit einigen wenigen, nach dem Urban Sequoia NOW Konzept errichteten Bauten längst nicht getan ist und keine umwälzenden Sofort-Effekte erreichbar sind, versteht sich von selbst. Doch das Team von SOM ist zuversichtlich. So heißt es etwa in einer Projektbeschreibung: „Die Umsetzung dieser Idee in die Realität wird ein Netz von Urban Sequoia-Gebäuden auf der ganzen Welt schaffen, die jedes Jahr für die nächsten 100 Jahre oder länger Kohlenstoff absorbieren“.

Urban Sequoia NOW: Ein Prototyp, der Hoffnung macht. (Bild: Miysis / SOM)

Die bei SOM für Nachhaltigkeit zuständige Direktorin Mina Hasman erklärt: „Urban Sequoia ist ein Systemansatz, eine Philosophie. Es ist eine Denkweise, die Städte als Ökosysteme betrachtet. Als lebende und atmende Systeme, die neu konfiguriert werden können, um eine drastische Reduktion des CO2-Ausstoßes über die gesamte Lebensdauer zu erreichen“. Die gebaute Umwelt soll zur Lösung der Klimakrise beitragen. 

Hoffnungsträger Urban Sequoia

Sieht man, mit wie viel Verve sich das Büro SOM der Entwicklung umweltfreundlicher Strategien widmet, klingt dies gar nicht mehr so futuristisch. Denn auch andere Projekte des Teams stehen ganz in diesem Zeichen. So etwa der mit Experten der University of Michigan konzipierte „SPLAM“-Pavillon oder der nachhaltige Wolkenkratzer „8 Shenton Way“ in Singapur. Spannende Innovationen, die Hoffnung schüren. Auf viele Interessenten, die dem Beispiel folgen. Und darauf, dass für wachsende Probleme wie Wohnungsnot und Erderwärmung doch noch rechtzeitig zukunftstaugliche Lösungen gefunden werden. 

Namensvetter Mammutbaum

Sequoia (Sequoiadendron giganteum) werden übrigens auch die weltberühmten, in Kaliforniens Sierra Nevada beheimateten Mammutbäume genannt. Man weiß, dass diese natürlich gewachsenen Riesen Jahrtausende überdauern können. Der „President“ zum Beispiel zählt mit seinen rund 3.200 Jahren zu den ältesten seiner Art. Doch auch Naturwundern wie ihm setzt der Klimawandel zu. Und Ideen wie sein gebauter Namensvetter sind dringend vonnöten, um nicht nur sie vor einem tristen Morgen zu bewahren.

Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Miysis / SOM 

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