Das Dorf liegt in der Stadt
Kommunaler Gemüseanbau, geteilte Fahrzeuge und ein Holzbau, der manch andere überragt. Schwedens größte Wohnbaugenossenschaft feiert mit dem Projekt Västerbroplan ihr 100-jähriges Jubiläum und zeigt, wie das Wohnen der Zukunft geht.
Västerbroplan ist eine Verkehrskreuzung in Kungsholmen, Stockholm. So lautet das derzeitige Ergebnis, wenn man Västerbroplan in eine Suchmaschine eingibt. Ein Umstand, der sich schon sehr bald ändern dürfte. Spätestens im Jahr 2023, wenn das gleichnamige Holzhochhaus zur neuen, weithin sichtbaren Landmark auf der „Königsinsel“ wird. Mit der Eröffnung des sozial und ökologisch nachhaltigen Wohnturms will Schwedens größte Wohnbaugenossenschaft HSB ihr 100-jähriges Jubiläum gebührend feiern.
Die Ausschreibung des Architekturwettbewerbs liegt mittlerweile schon einige Jahre zurück. Bei der Wahl des innovativsten Konzeptes setzte der Bauherr HSB auf Bürgerbeteiligung und ließ die User auf seiner Facebook-Seite abstimmen, wie sie in Zukunft am liebsten wohnen würden. Bereits 2013 fiel die Entscheidung auf den Entwurf der Architekturbüros C.F. Møller und Dinell Johansson. Der Superlativ „größtes Holz-Hochhaus der Welt“ als Beschreibung für den 34 Stockwerke hohen Turm mag damals noch zutreffend gewesen sein. Mittlerweile haben sich einige Projekte, wie The Dutch Mountains in Eindhoven, aufgetan, die zumindest höhenmäßig die Nase vorn haben.
Holz als Brandschutz
Die Konstruktionsweise von Västerbroplan ist State of the Art. Abgesehen von Betonkernen zur nötigen Aussteifung ist das Hochhaus zu Hundert Prozent aus Holz gebaut. Die Säulen und Träger bestehen aus Massivholz, die Wände, Böden und Decken aus Brettsperrholz (CLT). „Holz ist die erste Wahl, wenn es um Materialien für innovative Entwicklungen im Wohnbau geht“, sind die Architekten von C.F. Møller überzeugt.
Nicht nur im Hinblick auf die Klimawende ist Holz als nachwachsender Baustoff unübertroffen, er bringt noch viele andere Vorteile mit sich. „Es mag überraschend klingen zu erfahren, dass die Holzstruktur auch eine sehr effiziente Form des Brandschutzes darstellt“, heißt es in der Projektbeschreibung.
Holz ist die erste Wahl, wenn es um innovative Entwicklungen im Wohnbau geht.
C.F. Møller
Tatsächlich stimmen Experten darin überein, dass Hölzer einen verhältnismäßig hohen Feuerwiderstand haben. Holz brennt kontrolliert ab und leitet Wärme nicht besonders gut. Die an der Oberfläche des Holzes entstehende Verkohlung sorgt zudem für eine Schutzschicht. Dieser Effekt wird bei der japanischen Holzversiegelung Shou Sugi Ban genutzt.
Penthouse-Feeling und Klimapuffer
Das Alleinstellungsmerkmal des Projektes ist sicher die Fassade mit der von außen sichtbaren Holzkonstruktion. Die doppelte Gebäudehülle aus Glas schützt das Holz vor Witterungseinflüssen. Gleichzeitig bildet sie einen durchgehenden Wintergarten um den gesamten Wohnblock.
So verfügt jedes Apartment über einen energieeffizienten Klimapuffer und einen nach außen erweiterten Wohnraum. Diese verglaste Loggia schafft – unabhängig von der individuellen Lage – eine Art Penthouse-Feeling für alle Bewohner.
Ökologisch, sozial, nachhaltig
Ein zentrales Element des Entwurfes ist die ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Im Community Center können künftige Mieter ihre eigenen Gurken und Radieschen anbauen oder das Gemüse im hauseigenen Supermarkt einkaufen. Es wurde eigens im Glashaus nebenan gezogen, und hat keine langen Wege zurückgelegt. Künftige Bewohner können zudem das Bike-Sharing-Angebot nutzen, ihr Fahrrad reparieren lassen, in den Waschsalon gehen oder sich im Fitness-Center verausgaben.
Die begrünten Dachterrassen des Hochhauses haben nicht nur Naherholungswert, hier wird auch Sonnenstrom erzeugt und Regenwasser gesammelt, das eine Anlage anschließend trinkfertig aufbereitet. Der Kindergarten ist nur eine Liftfahrt entfernt und für den Familienausflug wird per App ein Car-Sharing-Angebot gebucht.
Autarke Dorfgemeinschaft
Västerbroplan ist der Gegenentwurf zum Nahversorgersterben und der Verödung von Stadtzentren der letzten Jahrzehnte. Hier soll eine lebendige Dorfgemeinschaft im urbanen Setting entstehen, die autark ist und ihre Nahversorgung selbst in die Hand nimmt.
Die Bewohner des gesamten Viertels werden von den Grünanlagen und der geschaffenen Infrastruktur profitieren. Der geringe ökologische Fußabdruck des Hauses und seiner Bewohner könnte die Fahrkarte sein in eine Zukunft, in der die Klimawende nicht nur Theorie bleibt.
Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: C.F. Møller Architects