Siebzehn Architekten und Bildhauer wurden eingeladen, Konzepte zur Umgestaltung des Valiasr-Platzes in Teheran vorzulegen. Den Wettbewerb gewann Habibeh Madjdabadi, eine renommierte Architektin und Vorreiterin der modernen iranischen Architekturszene.

Die Valiasr-Straße in Teheran, an der der Valiasr-Platz liegt, gilt als Meilenstein der iranischen Stadtplanung. Seit 1925 erstreckt sich die Stadt entlang der Allee von ihrem historischen Kern in Richtung Berge. Auf einer Strecke von knapp 20 Kilometern repräsentiert sie eine Zeitspanne von einem Jahrhundert mit einer Vielzahl an architektonischen Stilen.

Die Straße des Modernismus

Die Straße, die den Bahnhof im Süden von Teheran mit dem Tadschrisch-Platz im Norden verbindet, ist zudem geprägt von 18.000 Platanen, die in gleichmäßigen Abständen gepflanzt wurden und an die traditionellen persischen Gärten erinnern. Der Valiasr-Platz wiederum ist heute einer der wichtigsten Knotenpunkte entlang der Allee.

Der Platz ist allerdings nicht unbedingt für seine gestalterische Schönheit, sondern vor allem für die dort herrschende Hitze und das große Verkehrsaufkommen bekannt. Autos, Busse, Motorräder und Menschen schieben sich über die breiten Straßen des Kreisverkehrs. Dabei klingt der Name Valiasr, der auf Deutsch „Prinz der Zeit“ bedeutet, eigentlich so gar nicht nach Hektik.

Valiasr-Platz

Protest-Platz

Internationale Bekanntheit erlangte der Valiasr-Platz im Herbst 2022 durch das virale Revolutionslied „Baraye“ von Shervin Hajipour. In diesem erzählt der iranische Singer-Songwriter, wofür die Menschen im Iran nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini auf die Straßen gehen. Eine Textzeile erwähnt den Platz und seine “vertrockneten Bäume”.

Schon ein paar Monate bevor die Proteste gegen das Regime im Iran begannen, fand in Teheran der Architekturwettbewerb zur Umgestaltung des Platzes statt. Siebzehn Architekten und Bildhauer wurden eingeladen, Konzepte zur Umgestaltung des Platzes vorzulegen. Den Wettbewerb gewann schließlich Habibeh Madjdabadi.

Der Vorschlag, den ich im Kopf hatte, war ziemlich provokativ

Habibeh Madjdabad

Beeindruckende Architektin

Habibeh Madjdabadi, geboren 1977 im Iran, gehört zu den bekanntesten Architektinnen im Land. Trotz der strengen religiösen Regeln und Benachteiligung von Frauen in der iranischen Gesellschaft hat sie eine beeindruckende Karriere hingelegt. Mit ihrem Konzept für die Umgestaltung des Platzes beweist sie nun erneut ihr Können: Ihr Konzept integriert Hohl- und Leerräume in die Gestaltung und vereint Stadtplanung, Architektur und Skulptur auf kreative Weise.

Die Jury des Wettbewerbs zur Umgestaltung des Valiasr-Platzes hatte einen hohen Anspruch an die Architektur. Der Platz sollte bereits 2017 umgestaltet werden, doch lehnte die Jury alle damals eingereichten 118 Beiträge ab. Der Wettbewerb wurde daher ein paar Jahre später erneut ausgeschrieben; eingeladen wurden diesmal nur noch siebzehn Architekten und Bildhauer. „Da unter den Teilnehmern mehrere Bildhauer waren, war klar, dass der Auftraggeber ein skulpturales Denkmal in der Mitte des Kreisverkehrs haben wollte”, erklärt Habibeh Madjdabad dazu. “In diesem Sinne war der Vorschlag, den ich im Kopf hatte, ziemlich provokativ”.

Valiasr-Platz

Leere spüren

Freiräume werden in der iranischen Architektur geschätzt. Denn die „Leere“ wird  hier als geistige Präsenz geschätzt, die durch Geometrie und Symmetrie spürbar wird, und nicht als Abwesenheit von Präsenz gesehen. Diese Denkweise zeigt sich auch im Baustil iranischer Städte: Dichte Strukturen sind um Freiräume in Innenhöfen angeordnet.

Habibeh Madjdabadi greift den Stil in ihrem Konzept auf. Der Fokus wurde darauf gelegt, die bestehenden städtischen Phänomene aufzuwerten, wie die Achse der Valiasr-Straße, die zusammenlaufenden Baumreihen oder die Verkehrsinfrastrukturen. Außerdem konzentrierte sich die Architektin auf die Organisation der Heterogenität am Valiasr-Platz. Dieser ist von Gebäuden in gänzlich unterschiedlicher Größe und Form umgeben, während in der Mitte eine U-Bahn-Station liegt.

Valiasr-Platz

Vom Kreisverkehr zum Begegnungsort

Das Ergebnis: Der Kreisverkehr wird in einen belebten sozialen Raum verwandelt, der von Ringen am Boden eingerahmt wird. Ringe, die aus dem Boden auftauchen und sich zu zwei symmetrischen Spitzen erheben. Dadurch erschafft die Architektin einen geschlossenen Raum innerhalb des Kreisverkehrs, in dem Menschen zusammenkommen können.

Die vom Auftraggeber verlangte Skulptur wird zudem so nicht in der Mitte des Valiasr-Platzes aufgestellt, sondern verläuft um den Platz und betont mit geschwungener Bewegung die zentrale Leere. Durch diese plastische Form mit zwei symmetrischen Spitzen werden auch die Achse der Valiasr-Allee und die dortigen Bäume betont, gleichzeitig umrahmt sie die Berge in der Ferne.

Mit diesem Konzept ist es der Architektin gelungen, einen Verkehrsknotenpunkt, der nicht für Menschen, sondern für Autos gemacht wurde, in einen Ort der Begegnungen zu verwandeln. Als Frau in einem Land, in dem Frauenrechte noch Zukunftsmusik sind. Ein doppelter Triumph.

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